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Mercedes S 350 d 4Matic: Der Vorstand kann aufatmen

Um die neue S-Klasse zu beurteilen, müssen Perspektiven gewechselt werden. Für den Test schlüpft der unterbezahlte Sauprolet Barcelli in die Rolle des Vorstandsvorsitzenden einer selbstverständlich fiktiven, staatlichen Beteiligungs AG. Weil sonst wär’s schon nach der ersten Hot Relax Massage um uns und unsere Objektivität geschehen.

Sie müssen wissen: Die letzten beiden Jahre waren hart für mich. Dabei hat eigentlich alles so gut begonnen. Das Rennen in Kitzbühel 2020 war ein Traum, glaube ich zumindest, an das meiste kann ich mich ob des ausufernden Dom Perignon-Konsums nämlich nicht mehr erinnern. Ein Österreicher hat jedenfalls gewonnen, Maier oder so. Wahrscheinlich eh der Hermann. Auch privat lief alles bestens. Die Gattin wusste weiterhin nichts von Affäre 1, Affäre 1 nichts von Affäre 2, Affäre 2 nichts von Affäre 3, und immer so weiter. Außerdem wechselte mein kleiner Justus-Cornelius-Theodor nun auch endlich in die St. Gilgen International School, wo seine Schwester Bernice-Henriette schon seit vielen Jahren residiert. Oder ist sie nicht doch schon in Sankt Gallen? Auch egal jetzt.

Für viel Druck bei moderatem Verbrauch und eine hervorragende Laufruhe sorgt der Sechszylinder-Selbstzünder.

Die Kinder aus der Villa, feminine Vielfalt, ein neuer Rolls-Royce in der Einfahrt – das Leben war schön. Doch dann das Drama. Dass die Gattin, mittlerweile Ex-Gattin, doch von Affäre 1 erfuhr (die dann wiederum zur neuen Gattin wurde, während Affäre 2 zu Affäre 1 wurde, Affäre 3 zu Affäre 2, Affäre 4 zu Affäre 3, und immer so weiter), war ja noch verkraftbar. Dass ich aber aufgrund der Pandemie auf meine siebenstelligen Boni verzichten musste – trotz meiner hohen Qualifikationen (exklusive internationaler Erfahrungen) – hat dann das Single-Malt-Fass zum Überlaufen gebracht. Der Rolls musste weg, eine Alternative her. Vielleicht eine nicht ganz so astronomisch teure, aber 175.000 Euro (inklusive Ausstattung) dürfen es schon sein. Wichtig nur: Das Auto muss mich vom Pöbel da draußen abkapseln.

Eleganz in einem Bild zusammengefasst.

Die Wahl fiel auf die neue Mercedes-Benz S-Klasse – ein wirklich schönes Auto. Sehr elegant, kaum bis gar nicht protzig, und das bei Außenabmessungen eines kleinen Privatjets (Die S-Klasse ist als Langversion noch einmal 3,5 Zentimeter gewachsen, der Radstand sogar um 5,1 Zentimeter. Sie misst jetzt stolze 5,289 Meter). Ein bisschen irritierend vielleicht: Die schwarze Fläche am Kühlergrill, die Sensoren und Kameras, welche die Armee an Assistenzsystemen handlungsfähig machen, beherbergt. Dafür ist der Stern genau da, wo er sein soll.

Apropos Privatjet: Den hab‘ ich behalten dürfen. Nur so nebenbei. Zurück zur S-Klasse: Der akustische Komfort ist beängstigend, da dringt kein Ton durch die perfekten Spaltmaße, kein Winseln der Unterschicht macht sich bemerkbar, nervige Journalistenfragen prallen an der Außenhaut dieses Automobils ab, quasi Message Control auf vier Rädern. Zum akustischen Komfort passend, gibt’s auch ein Fahrwerk, das selbst die vom Sozialismus schwerst gezeichneten Straßen der postsowjetischen Welt bezwingt.

Vor der Wiener Staatsoper fühlt sich so eine S-Klasse besonders wohl.

Zwar sollten meiner Meinung nach Motoren mit weniger als zwölf Zylinder höchstens in Motorsägen oder Rasenmähern verwendet werden dürfen, doch der halbe und selbstzündende V12 im S 350 d 4Matic hat mich tatsächlich zum Überdenken dieser Ansicht bewegt. Das Triebwerk mit seinen 286 PS und fetten 600 Nm bietet Durchzug sondergleichen, in 6,2 Sekunden geht’s von 0 auf 100 km/h, die Spitzengeschwindigkeit liegt bei 250 km/h, was für Entlastung an Tagen mit vielen Terminen sorgt. Vor allem aber ist der 2,9-Liter-Turbodiesel so kultiviert wie der Radiosender Ö1. Und auch, wenn es unwesentlich ist, aber sparsam ist er – in Anbetracht der 2,1 Tonnen, die er bewegen muss – mit einem Verbrauch von 6,6 bis acht Litern pro 100 Kilometer ebenfalls.

Was wiederum sehr wesentlich ist, weil man mir den Chauffeur gestrichen hat: Wie es sich links vorne sitzt. Bequem, eh klar. Die Kopfpolster sind majestätisch. Doch was gibt es über das Fahrgefühl zu berichten? Sanftes 9-Gang-Getriebe, leichtgängige Lenkung, wenig Wanken – alles nicht überraschend. Und doch fährt sich die neue S-Klasse hoch spektakulär, zumindest diese. Weil nämlich die Hinterachslenkung mit an Bord war.

Ziemlich irre: die Hinterachslenkung.

Der Lenkwinkel der hinteren Räder beträgt so bis zu zehn Grad. Zehn Grad! Das ist schon ziemlich heftig, zugegeben auch anfangs etwas anpassungsbedürftig. Mit der Zeit gewöhnt man sich aber daran, dass sich diese über fünf Meter lange Limousine so fährt wie eine A-Klasse, also freilich nur die Wendigkeit betreffend. Die Sorge vor noch so engen Kurven, vor Sackgassen und Parkgaragen – sie ist non-existent. Nur den Randstein, den fürchtet man jetzt noch mehr.

Ein bisserl gefürchtet hab‘ ich mich auch vorm Innenraum – zu Unrecht, wie sich herausstellen sollte. Zwar entfallen so gut wie alle Knöpfe, stattdessen gibt’s jetzt „nur“ noch einen 12,8 Zoll großen Touchscreen. Dennoch hat Mercedes es hinbekommen, die Bedienung intuitiv zu gestalten. Klar, das liegt einerseits an der schieren Größe des Screens, durch die das Herumgetouche nicht so viel Aufmerksamkeit in Geiselhaft nimmt. Verfehlen kann da nur ein Blinder was – und der sollt‘ sowieso nicht fahren. Anderseits liegt das auch an MBUX, dem Betriebssystem von Mercedes. Das ist jetzt nämlich hochintelligent und schlägt basierend auf gesammelten Erfahrungen jene Funktionen vor, auf die der Fahrer mutmaßlich zugreifen möchte. Bemerkt hätte ich das zwar nicht, aber das soll ja vielleicht genau so sein.

Mehr Boot als Auto.

Dass Verarbeitung und Materialienauswahl von aller höchster Güte sind, dass die Funktionen des Systems ins Unendliche gehen – eh klar. Erwähnt sei vielleicht noch, dass die 3D-Animation des 12,3-Zoll-Armaturendisplays die Verwendung psychedelischer Substanzen obsolet macht. Wer LSD-Trips während dem Fahren aber nur so semi-geil findet: Man kann die Animation freilich deaktivieren.

Die neue Mercedes S-Klasse tröstet mich auch über den Verlust meiner, an der Küste Ibizas anliegenden, Yacht „Basti Fantasti“ hinweg, weil die fette Zierleiste mehr an Boot- denn Autodesign erinnert. Contra: Zumindest in „Holz Pappel schwarz glänzend“ gehalten macht sich relativ schnell Staub bemerkbar. Aber gut, wozu beschäftigt man denn eine Handvoll slawischer Reinigungskräfte.

Verdammt schade, dass man mir den Chauffeur gestrichen hat.

Einen großen Pluspunkt gibt’s auch für die Ambientebeleuchtung, weil sie türkis in petto hat. Dass sie selbst bei Tageslicht sehr sichtbar ist und nebst optischer Aufwertung auch mit den Assistenzsystemen kooperiert, ist die Kirsche auf der Torte. Letztes Contra: Die Farben Rot und Grün gibt’s auch. Man bekommt halt doch nicht immer alles, was man will. Bussi.

Maximilian Barcelli

Bei 7.000 Touren beginnt der Spaß für den mehr begeisterten denn begnadeten Autofahrer.

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