Die Zeiten, in denen sich Autohersteller auf der CES noch über die Bildschirmgröße definiert haben, sind lange vorbei. Und über Batteriekapazitäten oder Elektromotoren redet auf der größten Consumer Electronic Show der Welt auch keiner mit. Sondern wichtig ist allein, was das Auto seinen Insassen künftig sonst noch zu bieten hat und vor allem wie Mensch und Maschine miteinander umgehen. Ging es früher bei der Verbindung zwischen Fahrer und Fahrzeug um ingenieuse Finessen wie das Federungsverhalten, die Gasannahme oder die Lenkung, reden darüber heute nur noch in Würde ergraute Petrolheads. Wer mit der Zeit geht oder ihr gar voraus sein will – und nur deshalb präsentiert man sich schließlich auf der CES – der der meint den digitalen Dialog und das elektronische Erleben – und landet damit zwangläufig bei der künstlichen Intelligenz, die dieses Miteinander künftig entscheidend prägen wird.
Fotos: Thomas Geiger
Das wissen sie auch bei Mercedes, dem deutschen Dauergast auf der CES: So stolz sie auch auf ihr Concept CLA sind mit seiner Plattform für die nächste Generation von E-Modellen, dem ersten eigenen Betriebssystem und – das natürlich auch – dem Bildschirm über die gesamte Fahrzeugbreite, geht es Entwicklungsvorstand Markus Schäfer deshalb in Las Vegas mehr noch das „hyperpersonalisierte Kundenerlebnis “, das mit dem der eigenen Software, der neuesten Generation von MB.UX und Partnern wie Google & Co möglich wird. Damit „verändern wir die Beziehung, die unsere Kundinnen und Kunden mit ihrem Mercedes-Benz haben, sagt Schäfer und skizziert ein Fahrerlebnis, in dem die Insassen eine digitale Vollversorgung genießen, die vorausschauend ist, individuell und allumfassend wie die Liebe der Eltern zu ihrem Kind.
Ach, die KI! Noch vor gar nicht allzu langer Zeit Jahren ein Thema, bei dem nur die Nerds mitreden konnten, ist sie nicht einmal zwei Jahren nach dem Debüt von künstlichen Intelligenzen wie ChatGPT in aller Munde – und bald auch in allen Autos. Denn Mercedes ist beileibe nicht alleine. Sondern VW integriert den Sprachbot ChatGPT jetzt ebenfalls in sein Infotainment, verbessert so die Sprachsteuerung und erweitert den Wissenshorizont des Bordcomputers schier ins Unendliche: Ein Märchen für die Kinder? Stilberatung bei der Wahl der Abendgarderobe oder einfach nur eine technische Frage zum Auto: Die Füllung für alle Wissenslücken der Welt ist nur ein „Hey Volkswagen“ entfernt.
Und BMW nutzt die KI natürlich ebenfalls. „Denn BMW steht für beides: Die Ultimate Driving Machine plus die Ultimate Digital Experience“, sagt Entwicklungsvorstand Frank Weber und demonstriert deshalb in Vegas nicht nur den neuen Tiefgang in der Kommunikation etwa mit dem 7er, einen immer praller gefüllten Appstore im jüngsten Betriebsystem der Bayern oder neue Gaming-Anwendungen mit vollwertigen Controllern. Sondern wer mit den Entwicklern über den Strip fährt, sieht die reale Welt da draußen durch eine neu integrierten AR-Brille gar vollends mit der virtuellen verschmelzen.
Hyundai geht sogar noch weiter. Statt die KI einfach nur zu integrieren, wollen sie das Auto selbst zu einer Art KI aufrüsten, die ständig lernt und in einem neuen Mobilitäts-Ökosystem die Bedürfnisse der Nutzer frühzeitig erkennt und jederzeit und überall erfüllen kann. Nach Ansicht der Hyundai-Verantwortlichen werden sich Fahrzeuge im Laufe der nächsten Jahre zu „KI-Maschinen“ entwickeln, die kontinuierlich lernen. „Diese Transformation schafft neue Möglichkeiten zur Automatisierung, liefert Daten, verhindert potenzielle Problemstellen, personalisiert das Nutzererlebnis und optimiert Dienste und Lösungen, um Nutzern einen Mehrwert zu bieten“, schwärmen die Verantwortlichen.
Während die künstliche Intelligenz in rasendem Tempo ihren Weg ins Auto findet, ist der Hype ums autonome Fahren weiter abgekühlt. Zwar machen Hard- und Softwarespezialisten einen Gutteil der Stände in der imposanten Westhall aus, es geht um Lidar und Radar und um die Fusion der Sensordaten – doch der Durchbruch ist nach wie vor nicht in Sicht. Stattdessen werden wir wohl noch lange Zeit selber lenken müssen und die Segnungen der animierten, augmentierten und künstlich aufgeschlauten Inhalte aus den Datennetzen dieser Welt zumindest während der Fahrt nur eingeschränkt genießen können.
Da trifft es sich ganz gut, dass es in Las Vegas auch ein paar neue Autos zu sehen gibt: Klar, die CLA-Studie von Mercedes kennen die Europäer schon von der IAA in München und die vier sich wie Brummkreisel drehenden Elektroversionen der G-Klasse sind zwar ein Blickfang für die Nachtschwärmer, tragen aber noch die immer Prototypentarnung und werden erst im April in Peking enthüllt. Genau übrigens wie der Golf GTI, den VW nur in psychedlischen Tarnfarben zeigt, um die Spannung bis zur Premiere des Facelifts später im Monat hoch zu halten. Und für einen elektrischen Pick-Up des von Startschwierigkeiten geplagten vietnamesischen Großkonzerns Vinfast interessiert man sich genauso wenig wie für eine elektrische Kompaktlimousine aus der Türkei, selbst wenn der Togg T10F noch so schmuck aussieht und sein Interieur sogar dem CLA Showcar die Schau stiehlt. Doch hat Kia hier zum ersten Mal vor großem Publikum die schmucke Coupélimousine EV4 und vor allem den EV3 gezeigt, mit denen die Koreaner der Elektrifizierung durch sinkende Preise und steigende Stückzahlen noch mehr Drive geben wollen. Und Honda, bislang bei der Elektrifizierung von allen großen aus der alten Welt am weitesten hintendran, hat mit der 0-Serie ein imposantes Aufholprogramm gestartet. Schon 2026 wollen die Japaner mit einer ausgesprochen futuristischen Limousine auf einer neuen E-Plattform kommen und dann kurz drauf auch einen Van nachschieben. „Und das ist nur der Anfang“, sagen die Japaner, die nicht umsonst von der Null-Serie sprechen, weil sie noch einmal ganz bei Null anfangen wollen.
Aber es bleibt nicht beim klassischen Auto. Sondern so wie im Netz, in der Cloud und in der mehr oder minder virtuellen Realität alles irgendwie zusammenwächst, so verwachsen auch Fahrzeug und Lebensraum miteinander – zumindest in der Vision von Kia-Designchef Karim Habib. Denn wo andere einfach eine schnöde Plattform für elektrische Nutzfahrzeuge vorgestellt hätten , machen die Koreaner daraus die neue Fahrzeugkategorie der „Purpose-Built Vehicles“ und skizzieren mit einer Handvoll solcher „PV“-Studien eine Familie von ebenso auffälligen wie stimmigen Schuhschachteln auf Rädern, die sich dank ihres modularen Aufbaus und ihres skalierbaren Unterbodens jedem Einsatzzweck anpassen können – mal als Lieferwagen und mal als Kleinbus, mal als Büro oder Wohnzimmer, dann wieder als Pop-Up-Store oder auch als Schlafkapsel und das immer mit und später dann auch mal ohne Lenkrad und stattdessen mit Autopilot. Und selbst wenn Habib diese Welt in wunderbar bunten Farben malt und ihr so den Anschein einer fernen Utopie gibt, ist das ausgesprochen greifbare Zukunft. Denn in Korea baut Kia bereits eine Fabrik für 100.000 solcher PVs pro Jahr und während wir auf den kleinen PV3 genau wie auf den großen PV7 noch etwas warten müssen, geht der PV5 im Format von VW Bulli oder Mercedes V-Klasse schon 2025 in Serie.
Wem das noch nicht abgehoben genug ist, den schicken die endlosen Messehelfer und -hostessen entweder zu Hyundais Ausgründung Supernal oder zum XPeng-Ableger Aeroht. Denn da wie dort manifestiert sich die Idee vom Flugauto und kommt der Wirklichkeit wieder ein Stück näher: Die Koreaner haben nach vier Jahren die Konzeptphase hinter sich gelassen und präsentieren nun die Serienfassung eines Fünfsitzers mit acht elektrischen Kipprotoren, der mit knapp 200 km/h in 500 Metern Höhe dem Stau den schrecken nehmen und pro Flug Distanzen von bis zu 100 Kilometern zurück legen soll. Und die Chinesen haben neben einem Pick-Up als fahrendem Flugzeugträger auch noch ein Supersportwagen vorgestellt, bei dem auf Knopfdruck vier Rotoren ausfahren, damit ihn auch ja kein Stau ausbremsen kann.
Künstliche Intelligenz und immersive Erlebnisse bei Fahrzeugbedienung und Infotainment, mobile Unterhaltung jedweder Art, mehr Assistenz denn je und mehr oder minder konkrete Ausblicke auf greifbare Autos und ferne Visionen – während klassische Automessen zuletzt wenn überhaupt, dann allenfalls vorhersehbare Premieren zu bieten hatten, markiert die CES einmal mehr den Aufbruch nach Morgen und zeugt vom optimistischen Weitblick der Hersteller. Aber die CES ist längst nicht mehr nur ein schillerndes Schaufenster in die Zukunft der Mobilität. Sondern mit dem dramatischen Bedeutungsverlust der klassischen Autoshows wird sie zudem auch zur wichtigsten Arena für das Kräftemessen der PS-Giganten. Haben Europäer, Asiaten und Amerikaner früher mal in Frankfurt, Genf, Detroit oder Tokio beim Messebau ihren Meister gesucht, ist jetzt die CES-Präsenz der ultimative Contest für die Stärke und die Entschlossenheit der einzelnen Autonationen. Dabei glänzen ausgerechnet die Amerikaner diesmal geschlossen mit Abwesenheit, die sonst allgegenwärtigen und zunehmend dominanten Chinesen sind in den USA eher unerwünscht und deshalb in Las Vegas nur Nebendarsteller. Von deutscher Dominanz ist kaum etwas zu spüren, wenn nur Mercedes einen ernsthaften Stand hat, dort aber nur bekanntes Blech zeigt, BMW kaum mehr als ein paar Fähnchen als Platzhalter aufstellt, VW nur im Messeumfeld auftritt und Audi oder Porsche gänzlich mit Abwesenheit glänzen. Und aus Japan ist auch nur Honda groß dabei. Dafür lassen die Koreaner hier ihre Muskeln spielen und stellen alles andere in den Schatten: Hyundai kommt mit Autos, Lastern, Baumaschinen, Software und Sensoren sowie mit der Luftnummer von Supernal und Konzernschwester Kia hat gleich ein halbes Dutzend Showcars auf seinen zwei riesigen Ständen verteilt. Über 1000 Mitarbeiter aus Korea, so war auf der Messe zu hören, seien dafür nach Las Vegas geflogen – etwa drei Jumbojets voll. Demnächst allerdings können die vielleicht auf eigene Faust anreisen. Schließlich soll ihr Flugauto schon in wenigen Jahren in Serie gehen.