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MG4 Electric: Vier gewinnt?

Daheim in China sind sie Partner und predigen die traute Zweisamkeit. Denn die gleichen Mitarbeiter des Staatsgiganten SAIC, die im Joint Venture mit VW Autos wie den Tiguan bauen, die schrauben auch die Modelle von MG zusammen, die nach der von BMW angezettelten Rover-Pleite im Fernen Osten eine neue Heimat und vor allem eine Zukunft gefunden haben. Doch hier bei uns werden aus den Partnern direkte Konkurrenten, die sich an der Ladesäule einen engagierten Wettkampf liefern. Wurden die MG-Modelle dabei bislang höflich belächelt, weil es doch nur umgebaute Verbrenner waren, könnte den Bossen in Wolfsburg dieses Lächeln jetzt süß-sauer aufstoßen. Denn wenn MG noch vor dem Jahreswechsel zu Preisen ab 32.990 Euro den MG4 Electric ins Land holt, stiehlt der dem ID.3 die Schau und hat die Chance zum besseren Volkswagen zu werden.

Das Design des 4,30 Meter langen Fünftürers wirkt gefällig und beweist mehr Charakter als die rundgelutschten VW-Modelle, wenngleich der mächtige Spoiler an der Dachkante sportliche Erwartungen weckt, die das Elektromodell so gar nicht erfüllen will. Und auch wenn das Cockpit mit dem kleinen Bildschirm hinter dem Lenkrad und dem großen daneben gefährlich nach Blaupause aussieht, fällt die Bedienung schon in einem noch nicht ganz fertig entwickelten Prototypen leichter als beim noch immer ziemlich verkorksten VW-System mit seiner unglücklichen Slider-Leiste. Erst recht, weil es auf einem kleinen Vorsprung darunter neben einer Ladeschale fürs Smartphone noch einen klassischen Drehregler gibt. Und die Platzverhältnisse sind bei 2,71 Meter Radstand und kurzen Überhängen sowie der komplett im flachen Boden verstauten Elektrotechnik mehr als ausreichend. Wie alle dezidierten E-Autos macht auch der MG4 Electric so einen Klassensprung und ist innen geräumiger, als man es ihm von außen zutraut. 

Beim Fahren gibt sich der Prototyp keine Blöße. Die Lenkung ist zwar für den europäischen Geschmack sehr stark unterstützt, wirkt aber hinreichend präzise und zusammen mit der ausgeglichenen Gewichtsverteilung und dem tiefen Schwerpunkt macht der ID-Gegner so einen ziemlich agilen Eindruck. So lockt schnell die Landstraße, auf der sich das Fahrwerk von seinen erfolgreichen Mühen mit den urbanen Unpässlichkeiten erholen und locker flockig über die wenigen Wellen hinweg bügeln kann. 

Nur die Assistenzsysteme sind noch ein bisschen nervös und greifen öfter und vor allem fester ins Geschehen ein, als es dem Fahrer lieb ist – aber genau deshalb sind die Entwickler ja gerade in China und 120.000 Kilometer kreuz und quer durch Europa unterwegs und bis zum Marktstart sind es ja noch ein paar Monate. Da werden sie der Elektronik schon noch die nötige Gelassenheit beibringen.

Treibende Kraft im Prototypen ist eine E-Maschine, die genau wie bei VW 150 kW/204 PS leistet und an der Hinterachse montiert ist. Sie ist stark genug, den Fünftürer in weniger als acht Sekunden auf Tempo 100 zu bringen und jene 160 km/h zu erreichen, bei denen die Elektronik den Stecker zieht. 

Gespeist wird der Motor aus einer neuen Batterie, die mit gerade mal elf Zentimetern ungewöhnlich flach ist und deshalb eine sehr natürliche Sitzposition ermöglicht. Sie hat 64 kWh und sollte für rund 450 Kilometer reichen. Genau wie der Modulare Elektro-Baukasten MEB ist auch die Modular Scalable Platform (MSP) der Chinesen, die dem MG4 Electric als Basis dient, ausgesprochen flexibel. Für den Erstling bedeutet das die Option auf eine zweite Version mit 125 kW/170 PS und einem Akku mit 51 kWh für 350 Kilometer sowie wenig später eine Variante mit Allradantrieb und dann wohl um die 300 kW/400 PS, und für seine Schwestermodelle hat SAIC alle Möglichkeiten: „Mit Radständen von 2,65 bis 3,10 Metern können wir vom Kleinwagen bis zum großen SUV alle Segmente abdecken“, sagt Entwicklungschef Zhu Jun. „Und bei den Batteriegrößen reicht das Spektrum von 40 bis 150 kWh.“ Wo der MG4 aktuell noch mit einem 400 Volt-Netzwerk arbeitet, könnte die Spannung bald auf 800 Volt steigen und selbst für Batterie-Wechselsysteme sei die Plattform vorbereitet. Spätestens dann dürfte auch die Ladeleistung steigen, die aktuell noch auf allenfalls durchschnittliche 117 oder 135 kW limitiert ist .

Mag ja sein, dass VW seine ID-Modelle noch aufwändiger entwickelt und noch gründlicher abgestimmt hat, und vielleicht ist der ID.3 am Ende womöglich auf den allerletzten Zehnteln auch das bessere Auto. Doch wo der Golf mal als unangreifbar galt, kommt der MG4 Electric den ID-Modellen zumindest auf der ersten Fahrt im Prototypen so nahe, dass die Unterschiede für den Endkunden nicht mehr ins Gewicht fallen. Wären es nicht auch Markenstärke, Image, Händlernetz und Restwert, die den Kauf mitbestimmen, gäbe es bei dem Preisvorteil der Chinesen nicht mehr viele gute Gründe, die für den VW sprechen würden.

Natürlich wissen sie auch bei MG, dass VW ein Koloss ist, dem sie nicht so schnell am Zeug flicken werden. Zumal der in seiner Zwitterrolle als Konkurrent in der Ferne und als Kooperationspartner in der Heimat auch politisch kein leichter Gegner ist. Doch schon ohne den Vierer hat es MG längst aus dem Zulassungskeller geschafft und als erfolgreichster Chinese mittlerweile Marken wie Alfa Romeo hinter sich gelassen und Land Rover bedrängt. Und selbst wenn es nicht gleich für VW reicht, gibt es ja noch andere Gegner: Mit ihrem schwachen Motor, ihrem kleinen Akku und ihrem eingeschränkten Platzangebot sind zum Beispiel die Elektro-Umbauten aus dem Stellantis-Konzern schon viel leichter zu packen. Noch bevor er überhaupt im Handel ist, sieht deshalb etwa ein elektrischer Opel Astra verglichen mit dem MG4 Electric schon ziemlich alt aus – und wäre ein wichtiger Etappensieg beim Durchmarsch auf dem Golfplatz.

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