Scheinbar ist es nun endgültig aus der Mode, dass Kleinwagen lieb oder niedlich sein sollen. So stellt der Nissan Micra 2017 künftig eines der erwachseneren Modelle des Herstellers dar. Blumenstrauß und schlagkräftig, sozusagen.
von Franz J. Sauer
Sie erinnern sich sicher (mein Gott, jetz fang ich meine Artikel schon an wie Heinz Prüller dereinst seine Moderationen) – einst gab es das Mausi. So diminuierte die gelernte Wienerin ihren Nissan Micra Mouse und klar war das nette kleine Wägelchen bloß dann männlich konnotiert, wenn der Markenname dazu genannt wurde. Ansonsten war es die „Micramaus“, meist in einem Wort gesprochen und – anders als etwa in der Bundesrepublik üblich – gerne auch einge-englischt, also ausgesprochen „Meikramaus“. Klein, kompakt, niedlich, doch aber sicher und aus heutiger Sicht eigentlich schon ein liebenswerter Klassiker, den sich in der Wolle gefärbte Autoisten wie etwa der Kollege Roland Scharf von Alles Auto schon mal in der Garage zur Seite legen, fürs Kuscheln auf die Nacht. Man kennt das ja – jahrelang fällt einem ein Auto nicht mal auf, auch wenns stundenlang vor einem herstaut und plötzlich, eines Tages – zusch! liebt man das nämliche Objekt. Und will es unbedingt haben.
Gut, bis wir die vorangegangenen, beiden Modellreihen des Nissan Micra zu lieben beginnen, werden wohl noch einige Jährchen in die Lande ziehen. Gar zu rund präsentierte sich das Stückchen Auto in den letzten 15 Jahren, herzlich wenig ernstzunehmen, obwohl von Anmutung und Fahrkomfort durchaus erwachsen. „Glupschi“ nennt meine zehnjährige Tochter das Auto ihrer Mutter, einen ebensolchen Micra von 2003. Sie fährt das Ding nun schon lange und mit vollster Zufriedenheit. Aber dennoch – eine Gefühlsebene zu uns Automännern will da noch nicht so recht aufkommen. Und das wird auch noch ein Weilchen so bleiben.
Gottlob ändern sich ja auch die Zeiten und neuerdings ist es ganz und gar uncool für ein Auto, lieb und nett und unter vollster Aufbietung des Kindchen-Schemas aufzutreten. Autos, seien sie auch noch so klein, wollen wieder erwachsen sein. Und der neueste Nissan Micra, immerhin schon die fünfte Generation seit 1983, fügt sich dieser Mode nur allzu beflissen.
Damit tritt der neue kleinste Nissan nun also weitaus erwachsener auf, als dies beispielsweise seine Verwandten Juke oder Note auf den ersten oder auch zweiten Blick tun. Der Kleine ganz groß, könnte man nun eine olle Kamelle vortrefflich bedienen. Oder man könnte einfach zugeben, dass es einem der neue Micra ziemlich leicht macht, ihn auf Anhieb zu mögen.
Basiswissen
30 Jahre gibts die Baureihe nun also. 3,5 Millionen Autos wurden seither in Europa verkauft (65.000 in Österreich). Die erste Generation mußte – mit leichten Retuschen – zehn Jahre lang halten. Die zweite Variante tauchte ebenso lang durch und blieb unauffällig – oder wissen Sie noch, wie der K11 aussah? Die dritte Version schließlich kam 2002 und polarisierte, Kindchenschema, Sie erinnern sich. Und versteckte unter dem herzigen Äußeren bereits eine Menge Oberklasse-Technik. 2010 wurde der Runde, optisch weitgehend unverändert, zum Global Car aufgemascherlt, das rundliche blieb der Generation vier.
Vollmundig gibt Nissan nun anlässlich des neuen Modells, der fünften Baureihe also, zu, dass der Micra bislang ein Mädelsauto war. Oder was für jüngere Leut‘. Nun war es Zeit für eine Revolution, schließlich greifen immer mehr ältere Menschen, die sogenannten „Golden Ager“ zu kompakten Autos. Und das Ziel von Nissan ist, so wird kolportiert, kein geringeres, als das „Kompaktsegment-Schlachtfeld gehörig aufzumischen“. Ausserdem gibt der neue Micra nun den herzhaften Europäer; hier (im Renault-Werk bei Paris, nebenbei) gebaut und auch FÜR hier gebaut.
Familienbande
Den Renault in seinen Genen kann der neue Nissan Micra kaum verbergen, was ja grundsätzlich und angesichts jüngster Modelle der französischen Konzernschwester durchaus ein Kompliment ist. Die unteren Türfalze wurden vielleicht ein bisschen zu kompromißlos von Clio und Co kopiert, vor allem wenn in Chrom ausgeführt. Besonders stolz zeigt sich Nissan auf die Bumerang-Scheinwerfer und die scharf gefalzten Rücklichter, die versteckte, hintere Türschnalle kennen wir ja schon vom Juke. Das schwebend gestaltete Dach (diesen Effekt erzielt man, wenn man die C-Säule dunkel anfärbelt) endet wie selbstverständlich in einem Heckspoiler, den man so auch gerne übersieht. Verschiedene Style-Applikationen für untenrum oder obendrüber sind anno 2017 conditio sine qua non, „Personalization“ heißt das Zauberwort und pflanzt sich logischerweise auch im Inneren fort.
Edle Materialien in Haptik wie Optik (mehrfarbig ist Trumpf) finden sich innen drinnen, auch hier ist Großjährigkeit angezeigt. Luxus lässt grüßen, alles fühlt sich fett und wertig an, die Taster sind griffig und richtig platziert und was das große Infodisplay in der Mitte alles kann, will man kaum glauben (Carplay, Touchscreen, alles da). Der Sound schließlich beeindruckt – und damit ist nicht jener des Dreizylinder-Motors gemeint, den unser Testfahrzeug verbaut hatte. Es geht um die Musik, wahlweise von CD (heutzutage schon eine Seltenheit!) oder vom streamenden Smartphone eingespielt: diese pumpt und poppt als wäre man in der Diskothek und auf die diesbezügliche Verwandtschaft mit BOSE ist man bei Nissan rechtschaffen stolz. Auch hier wurde personalisiert, vor allem aber ziemlich aufwändig geforscht. Man bekommt fast den Eindruck, es wurde mehr Hirnschmalz in Sound-Design als in Fahrwerk oder Motorneuerungen investiert. Originell jedenfalls: Lautsprecher finden sich in den Kopfstützen und bassen ordentlich an, ohne per Subwoofer irgendwelchen Platz im kompakten Kofferraum wegzuzwacken.
Ein kurzer Rundgang ums Auto kurz vor Dubrovnik.
Aufhorchen lässt Nissan mit einem hauseigenen Carsharing-Modell für den Micra, das gleich zur Modelleinführung mit angeboten wird. Vorerst in Paris.
So fährt er sich
Womit wir endlich doch noch beim Fahrgefühl ankommen. Verblüffend präsentiert sich das Platzangebot. Man sitzt gemütlich, rundherum ist Raum und Luft, da ziept und zwickt es in einem Audi A4 Allroad mehr. Das Lenkrad ist fett, der Schalthebel noch fetter. Alle Anzeigen sind gut einsehbar, alles findet sich schnell. Und die Illusion, das alles ließe sich auch so erwachsen fortbewegen, hält an, bis man das Motörchen startet.
Bitte nicht falsch verstehen – für seine Eckdaten (0,9 Liter Turbo mit 90 PS) geht der Dreizylinder richtig gut, vor allem wenn man ihn hoch rauforgelt, da kommt dann fast schon Motorradfeeling auf. Bloß fehlt es ihm untenrum derart empfindlich an Morch, dass man ungern bergauf wo raus startet, vor allem wenn es gilt, sich schnell in den Fließverkehr einzupflegen.
Fließt er einmal, der Verkehr, dann überrascht die Leichtfüßigkeit des Wagens. „Keep the things rolling“ lautet die Devise und es geht hier schließlich nicht um Speed-Rekorde sondern um effizientes Fortbewegen im Rahmen europäischer Straßenverhältnisse. Und natürlich um minimalen Verbrauch – diesfalls unter 5 Liter im Mix.
Wie schon beim Vorgänger wurden einige Assistenz-Features aus der Mittelklasse geborgt, Spurhalteassistent, Verkehrszeichenerkennung, Notbremsassistent, Totwinkel-Dings und Kameras rundherum. Die arbeiten akkurat, überraschen halt nicht mehr so besonders, weil sich das Auto eben so wenig nach Kompaktklasse anfühlt. Trotzdem gut zu wissen, dass sie alle da sind.
Nismo? Elektro? Sonst noch Derivate to follow? Weiß man heute noch nicht, will man auch noch nicht verkünden. Nicht mal, ob die Automatik ein Doppelkupplungsgetriebe sein wird, steht derzeit fest.
Vorauseilender Gehorsam
Aufhorchen lässt Nissan mit der Präsentation nicht nur des Autos, sondern auch eines hauseigenen Carsharing-Modells namens „Get and Go„, das mit Erstauslieferung des Micra 2017 im März als Pilot in Paris startet. Man eilt hier den Trends voraus, nimmt an, dass die Leute neuerdings zwar neue Autos fahren, aber nicht unbedingt besitzen wollen. Also gestaltet man ein eigenes, aufwändiges Sharing-Modell, ganz socialmediakonform, also auch mit Freundschaftsanfragen und Dings. Am Monatsende gibts dann eine einzige Rechnung. Für Sprit, Service, Wartung, Leasingrate und was es sonst noch so alles im Webshop geben wird, wenn sich das ganze durchsetzt. Falls es das tut, wird das Angebot auf weitere Städte in Europa ausgeweitet. Wir sind gespannt.
Die Preise
Fünf Ausstattungsvarianten und zwei Motoren stehen ab Start zur Verfügung, der Einstieg beginnt bei schon eher wohlfeilen 12.605 Euro. Derlei lässt sich durch verschiedenste Konfigurationen hochlizitieren, als Tekna und mit allem drauf und dran kostet der neue Micra als Benziner 20.129 Euro, als Diesel (beide 90 PS, selbstgezündet aber auf vier Töpfen und mit deutlich mehr Drehmoment) 21.775 Euro.