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Opel Corsa-e Rally: Dreckskerl statt Saubermann

Zugegeben: Es ist eine Zeitlang her, dass mir ein Kleinwagen zuletzt den Atem geraubt hat. Erst recht nicht mit einem Elektromotor, mit mageren 136 PS und lächerlichen 150 km/h Spitze. Doch in diesem Corsa E bleibt mir die Puste weg. Und das liegt nicht nur an den Hosenträger-Gurten, mit denen mich die Opel-Mechaniker eben in den engen Sitz gezurrt haben. Sondern auch an der Strecke, auf die sie mich schicken. Denn vor mir liegt keine gewöhnliche Landstraße, sondern eine Schotterpiste und statt Vernunft ist Vollgas angesagt. Nicht umsonst sitze ich in einem von knapp zwei Dutzend Corsa Electric, mit denen Opel für einen Preis von 65.000 Euro plus Startgebühr in diesem Sommer in der dritten Saison den Motorsport-Nachwuchs im ADAC Opel Electric Rally Cup durch Feld, Wald und Wiese jagen lässt: Acht Rennen in vier Ländern stehen dafür im Kalender und die Macher können sich vor weiteren kaum retten.

Dafür haben sie in Rüsselsheim das gerade mit einem neuen Grill und etwas frischer Schminke aufgewertete Straßenauto bis auf die Knochen gestrippt, einen Käfig und Schalensitze eingebaut sowie eine neue Vorderachse samt Thorsen-Differential montiert. Und sie haben eine Fly-Off-Handbremse installiert, mit der man den Wagen an einem meterlangen Hebel vor der Mittelkonsole in der Kurve herumreißen kann, dass die Reifen nur so qualmen und der Schotter meterweit spritzt. Schon ein kleiner Zug an diesem Hebel reicht, schon fühlt es sich an als reite man auf einem Hasen, der auf der Flucht seine Haken schlägt– schneller kann man einen Kleinwagen kaum um die Ecke bringen.

Nur unter dem mit schlagfestem Aluminium von unten verstärkten Blech bleibt alles beim Alten: Auch der Rallye-Corsa fährt mit dem Standard-Antrieb, den Opel und seine Schwestermarken in ihren E-Modellen verbauen, Und zwar der Version vor dem Facelift: An den Vorderrädern zerrt deshalb eine E-Maschine mit 136 PS und 260 Nm und im Boden steckt eine Batterie von 50 kWh. Auch die Fahrleistungen entsprechen dem Serienmodell, so dass der Corsa-E in 8,1 Sekunden auf Tempo 100 sprintet und die Elektronik bei 150 km/h den Stecker zieht. Auf der Autobahn mag das ein limitierender Faktor sein. Doch im Rallye-Einsatz fühlt sich der Fahrer davon nur selten ausgebremst. Im Gegenteil: In Spitzkehren und Schikanen freut er sich viel mehr am schnellen Antritt der E-Maschine, und wer mit Bleifuß über einen engen, holprigen Feldweg fliegt, dem kommen die 150 km/h schneller vor als 250 Sachen mit einem Porsche auf der Autobahn.

Die ersten Sekunden sind verstörend vertraut und neu zugleich. Vertraut, weil in dem ausgemergelten Cockpit noch die digitalen Instrumente aus der Serie stecken und in den Türen sogar noch die elektrischen Fensterheber. Und neu, weil nach es nach dem Druck auf den Startknopf gespenstisch still ist. Wo Rennwagen sonst röhren wie Hirsche in der Brunft, surren hier nur ein paar Relais. 

Doch kaum senkt sich der Fuß auch nur einen Millimeter aufs Fahrpedal, passt plötzlich alles zusammen. Ein Soundprozessor macht die Show für die Zuschauer, in den Radkästen prasseln Splitt und Schotter und mit quietschenden Reifen stürmt der Corsa über die Piste. Mit dem tiefen Schwerpunkt durch die Batterie im Boden hält er perfekt die Balance, die Bremsen beißen wie ein wütender Rottweiler und spätestens beim Kickdown nach der ersten Kurve merkt man, wie explosiv auch magere 260 Nm sein können, wenn sie ab der ersten Millisekunde anliegen. 

Von wegen Motorsport mit Elektroautos ist wie Playstation für Große? Wer mit dem Corsa-E zwischen Pylonen tanzt und durch Pappel-Alleen rast, der fühlt sich nicht wie in einer Simulation, sondern ist ganz fest im Hier und Heute – und kommt dabei ganz schön aus der Puste. Ja, ein Kleinwagen kann einem sehr wohl den Atem rauben. Zumindest, wenn es so ein kleiner Dreckskerl ist. Fast schon dankbar schaue ich deshalb auf die Reichweitenanzeige: Wo die auf der Straße mit dem kleineren der mittlerweile zwei Akkus im Angebot im besten Fall 330 Kilometer zeigt, sind im Rennen maximal 60 Kilometer im Wertungsprüfungsmodus drin, bevor der Corsa in den eigens eingerichteten Ladepark mit Trafos und Anschluss ans Hochspannungsnetz muss – und ich endlich eine Atempause bekomme. 

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