Die Szenerie hat etwas von einem Stummfilm, nur dass er in der Zukunft spielt. Denn was da tonlos und in tiefblauer Beklebung durchs Bild wischt, ist ein Prototyp für den ersten Supersportwagen der nächsten Generation – elektrisch und deshalb flüsterleise, aber dafür so stark und schnell, dass aktuelle Hypercars wie ein Bugatti Chiron plötzlich verdammt alt aussehen und keinen Stich mehr machen. 1.900 PS, 2.300 Nm und weniger als zwei Sekunden von 0 auf 100 km/h machen ihn zum neuen Spitzentrumpf im Autoquartett der Generation E: Willkommen auf dem Highspeed-Oval in Nardò, willkommen bei den letzten Abstimmungsfahrten mit dem Pininfarina Battista.
Ein gutes halbes Jahr, bevor sich die italienische Designschmiede endgültig emanzipiert und nach 90 Jahren Auftragsarbeit für alle großen und kleinen Namen der PS-Branche endlich ihr erstes eigenes, wenn auch mit geplanten 150 Exemplaren eher limitiertes Auto in den Handel bringt, bekommt dieser elektrische Tiefflieger hier seinen letzten Schliff. Denn in der Theorie sind solche Leistungen bei Elektroautos vergleichsweise leicht darzustellen, räumt Entwicklungschef René Wollmann ein. Nicht umsonst hat jetzt schon Tesla für das Model S mit dem Facelift mehr als 1.000 PS angekündigt. „Doch die Kunst ist es, diese Leistung kontrollierbar zu machen und sie sauber auf die Straße zu bringen.“
Dafür hat Wollmann, der früher bei AMG schon den elektrischen SLS verantwortet und zuletzt den AMG One auf den Weg gebracht hat, zwei prominente Helfer. Der eine ist Mate Rimac. Als europäische Antwort auf Elon Musk gefeiert, hat der Kroate seine eigene Sportwagenfirma gegründet, mit dem Concept One den ersten elektrischen Supersportwagen gebaut und Porsche zur Teilhaberschaft motiviert. Und mittlerweile wird er sogar als Käufer für Bugatti gehandelt. Von ihm bekommt Wollmann das so genannte Skateboard, jene Einheit, in der die 800 Volt-Batterie, die vier Elektromotoren, die Leistungs- und die Ladeelektronik zusammengefasst sind, die sie in Cambiano vor den Toren Turins mit einer zeitlos eleganten aber erschreckend konventionell gestalteten Karbon-Karosserie einkleiden und auf ein selbst abgestimmtes Fahrwerk stellen.
Der andere ist Nick Heidfeld, der seine Meriten in der Formel 1 und der Formel E gesammelt hat und Wollman als Testfahrer beratend zur Seite steht. Er sitzt auch hier in Nardò am Steuer und macht sich einen diebischen Spaß daraus, seine Passagiere einer Beschleunigung auszusetzen, wie man sie am Boden sonst nirgends erleben kann: Klammheimlich wechselt er an dem in der Tür eingelassenen Drehregler für die fünf Fahrmodi von „calma“ auf „furioso“, dann knallt sein Fuß die vollen 13 Zentimeter Pedalweg zum Bodenblech und wie aus dem Nichts rammen sich den Insassen die vereinten 2.300 Nm der vier radnah montierten Motoren wie ein Katapult in den Rücken. Ohne jedes Geräusch und damit ohne jede Vorwarnung trifft sie die explosive Kraft der Elektromotoren und schleudert sie dem Horizont entgegen. Die Rippen biegen sich über der eingefallenen Lunge, der Mund öffnet sich zu einem stillen Schrei und schmerzhaft knallt der Schädel gegen die Kopfstütze: Nicht nur die Vorstellungskraft ist überfordert von den weniger als zwei Sekunden für den Sprint auf Tempo 100, sondern auch die Physiognomie. Und der Rausch des Rasens reißt danach nicht ab. Sondern nach weniger als sechs Sekunden flimmert die 200er-Marke über den Bildschirm, und wenn wir nicht auf dem Handlingkurs wären, sondern auf dem Highspeedkreis, würde nach weiteren sechs Sekunden auch die 300 km/h-Marke fallen und erst bei 350 Sachen wäre Schluss.
Neben dem schieren Schub begeistert Heidfeld die Präzision, mit der er den Battista fahren kann, wenn jeder Motor einzeln angesteuert und die Kraft so perfekt an alle vier Räder verteilt wird. Und selbst er muss sich daran gewöhnen, wie schnell hier alles geht. Nicht nur die Beschleunigung sei unerreicht, sondern auch die Zeit, die für die Umsetzung einzelner Befehle vergeht. „Es gibt null Reaktionszeit und keinerlei Verzögerung, sondern jedes Kommando wird sofort umgesetzt und ist sofort fühlbar“, schwärmt der Profi. Dass ihm dabei der Kitzel in den Ohren fehlt, kann er gut verschmerzen. Zumal Wollmann verspricht, dass auch der Battista einen ganz eigenen Sound bekommt. Nicht artifiziell, sondern authentisch aus dem Antrieb abgeleitet, soll er der Faszination eines Verbrenners in nichts nachstehen und trotzdem sehr viel sozialverträglicher sein, stellt der Entwicklungschef in Aussicht.
So gut sich der Battista trotz seiner mehr als zwei Tonnen Gewicht in Nardò schlägt, sprechen die Italiener allerdings nicht von einem „Track-Tool“ für die Rennstrecke, sondern von einem Hyper-GT, also einem Gran Turismo, der sich auch auf langen Überlandfahrten zu Hause fühlen soll. Deshalb gibt’s nicht nur eine luxuriöse Innenausstattung rund um das vollkommen digitalisierte Cockpit, sondern gleich noch einen Superlativ: Die aus knapp 7.000 Zellen montierte Batterie ist mit 120 kWh die größte, die bislang in einem Auto verbaut wurde, und soll eine Normreichweite von mehr als 500 Kilometern ermöglichen. Mit später bis zu 250 kW geladen und in 25 Minuten von 20 auf 80 Prozent gefüllt, soll sie aber auch bei verschärfter Gangart mindestens eine Stunde lang Strom liefern. Jeder Bugatti steht da schon wieder an der Tankstelle. Und viel länger hält ohnehin kein Fahrer so ein Tempo durch.
Als Heidfeld nach ein paar Runden aus dem Tiefflieger klettert, ist ihm aller Erschöpfung zum Trotz die Begeisterung anzumerken. Fast schauen die Mundwinkel aus der Corona-Maske heraus, so breit ist sein Grinsen. Nicht nur, weil der Battista so brutal stark und schnell ist und so unglaublich präzise, sondern auch weil er so handzahm ist, dass ihn wirklich jeder fahren kann. Na ja, beinahe zumindest. Denn bei einem Grundpreis von fast 2,5 Millionen Euro taugt er als Auto für jedermann dann vielleicht doch nur eingeschränkt.