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Porsche 911 Altitude: High wie nie

Gegen diesen Elfer der Extreme ist selbst der Dakar kaum mehr als Spielzeug: Mit Portalachsen und XXL-Reifen hat Romain Dumas „Edith“ auf bald 7000 Meter Höhe getrieben – und ins Guinnessbuch der Rekorde. Auf dem Rückweg ins Museum durften wir beim Zwischenstopp in Malibu kurz ans Steuer.

Fotos: Hersteller

Der Gipfel des Ojos Del Salado gehört zu den unwirtlichsten Gegenden auf dem Globus. Auch im Hochsommer hat es hier auf dem höchsten Vulkan der Welt in der chilenischen Atacama-Wüste gerne mal -20 Grad, in der Luft ist nur noch halb so viel Sauerstoff wie am Boden, die letzte Straße endet auf 4.500 Metern und selbst für die Pick-Ups der einheimischen Bergführer ist bei 5.800 Metern Schluss.

Nur nicht für den Porsche 911. Zumindest nicht für diesen hier. Denn der schillernd rote Prototyp mit dem Spitznamen „Edith“ hat es – in völlig untypischer Porsche-Manier in zehn Stunden für 40 Kilometer – als erster bis auf den 6.734 Meter hohen Gipfel geschafft und damit ins Guinness Buch der Rekorde: Kein Kraftfahrzeug hat bislang eine höhere Höhe erklommen als der Überflieger aus Stuttgart. Allerdings ist „Edith“ auch kein gewöhnlicher Elfer, sondern einer von zwei ausrangierten Prototypen des Carrera 4S, die in Weissach und in der Rennwagenschmiede des Rallye-Profis Dumas mit Portalachsen und Stollenreifen, Unterbodenschutz und Seilwinde, schaltbarem Allradantrieb und dem Warp-Connector als spezieller Verwindungstechnik zu Hardcore-Geländewagen umgerüstet wurden, neben denen ein Porsche Cayenne wie ein Spielzeug für den Boulevard wirkt, vom 911 Dakar ganz zu schweigen. Von den 35 Zentimetern Bodenfreiheit jedenfalls können Porsche-Piloten sonst nur träumen, genau wie von der Bodenplatte, die so stabil ist, dass der Elfer darauf auch den gesamten Vulkan wieder herunter rutschen könnte.

Die Idee reicht zurück ins Jahr 2019, als Porsche sich auf 30 Jahre Allrad im Elfer vorbereitet hat und diese technologische Errungenschaft mit einem Höhenrekord feiern wollte. In nicht einmal einem halben Jahr haben daraufhin einen ausrangierten 911 4S zu Doris umgebaut und im chilenischen Sommer des gleichen Jahres den ersten Anlauf genommen, der allerdings weit unter dem Gipfel in einem Eisfeld und einer Schlechtwetterfront stecken blieb. 6.007 Meter waren zwar für Porsche schon damals ein Bestwert, für Guinness aber nicht rekordwürdig, so dass die Schwaben nach Corona einen zweiten Anlauf genommen, die Erfahrungen von Doris in Edith gesteckt und Rekordpilot Romain Dumas ins Boot geholt und am 4. Dezember tatsächlich den Westgipfel des Ojos Del Salado erreicht haben.

Noch völlig verdreckt, im Tank die letzten Liter E-Fuel aus der Pilotanlage in Punta Arenas und im Fußraum sogar noch ein paar angebissene Müsli-Riegel ist Edith jetzt auf dem Heimweg und macht beim Umladen einen Zwischenstopp in den Malibu Mountains. Die sind zwar nicht so schroff sind wie in der Atacama-Wüste, dafür aber auch nicht so hoch. Statt in der dünnen Luft vielleicht nur noch 200 PS leistet der 3,0-Liter-Boxer hier deshalb die vollen 450 PS und der Dreck spritzt meterweit, wenn sich die grobstolligen BFGoodrich beim Kickdown in den Feldweg krallen und der Sportwagen auf Stelzen davonschießt. Mit der vierfachen Untersetzung in den Portalgetrieben entwickelt er schließlich so viel Drehmoment, dass es für ihn kein Halten gibt und ihn weder der Schlamm stört noch die Steigung, wenn der Berg ruft. Nur dass man halt schnell genug schalten muss, weil man sonst ständig im Begrenzer hängt.

Aber wenn der Fahrer das beherzigt, schwingt sich Edith mühelos wie eine Puma-Dame auf der Pirsch sich dem Gipfel entgegen und genauso behände leistet sie sich in den engen Serpentinen einen kessen Heckschwung. Dass tiefe Spurrillen und Wassergräben den Weg für andere Autos schier unpassierbar machen? Schlamm drüber! Der Elfer walzt einfach drüber, genau wie über die Steinbrocken, die groß wie Basketbälle quer zur – na ja – Fahrbahn liegen. Und von knietiefen Kuhlen lässt er sich erst recht nicht stoppen. Sondern tapfer taucht er ein Rad nach dem anderen ein und dass es die Karosserie dabei nicht zerreißt ist nur dem Warp Connector aus dem 919-Rennwagen zu verdanken, der die Achsen so miteinander verbindet, dass sie sich gegenseitig stark verdrehen können, ohne dass der Aufbau darunter leidet und man sich fast wähnt, wie auf einem fliegenden Teppich – nur dass man dabei in einen Schraubstock von Schalensitz geschnallt ist und das offene Gestänge so knarzt und kreischt, wie der Bohrer bei einer Wurzelbehandlung am Weisheitszahn.

Überhaupt die Geräuschkulisse: Während draußen der schier ungedämpfte Sound des Boxers so laut von den Berghängen zurück hallt, das schon die nächsten Steine auf die Strecke kullern, dröhnt, rappelt und klappert es drinnen, als schüttele man eine Handvoll Kieselsteine in einer Konservendose. Und in der Kabine so ganz ohne Konsolen, Zierrat und Verkleidung ist dieser Vergleich gar nicht so weit hergeholt: Rustikal an die Träger gebundene Kabel, das Schaltgestänge offen neben dem Sitz, blankes Blech, die Eingeweide des Antriebs frei einsehbar und die Kühler hinter einer Karbontrennwand anstelle der Heckscheibe – lasst das bloß nicht eure Designer sehen.

Und wie Edith nach ihren Abenteurern aussieht: Verschrammt, verbeult und starrend vor Dreck. Wo sie einen sonst gerne mal böse anschauen bei Porsche, wenn man ihr Auto nicht blitzblank zurückbringt, trägt dieser Elfer die Schlammplacken wie Ehrenzeichen, ist stolz auf jedes Staubkorn und für jeden neuen Flatscher Dreck gibt’s anerkennendes Schulterklopfen.

Und natürlich wird Edith auch nicht mehr gewaschen, bevor sie in ein paar Wochen einen Ehrenplatz im Werksmuseum bekommt. Sondern sie trägt ihren Staub mit Stolz – und zwar nicht nur den von Romain Dumas am des Ojos Del Salado, sondern ein klein bisschen auch meinen aus den Malibu Mountains.

Zwar ist das nicht das erste Mal, dass der Elfer zum Extremisten wurde. Schließlich hat der Sportwagen in den späten Achtzigern auch schon Wüstenrallyes in Afrika gewonnen – und damit sogar die Produktentwicklung beeinflusst. Doch anders als der Safari-Elfer werden Edith und ihre ältere Schwester Doris definitiv Einzelstücke bleiben. Während die Porsche-Gemeinde so lange nach einem Offroad-Elfer gegiert hat, bis daraus der Dakar wurde, dürfte sich die Beschwerlichkeit bei diesem Elfer der Extreme in engen Grenzen halten. Klar, das vollkommen zerfledderte Interieur könnte man sicher hübsch verkleiden. So katastrophal wie befürchtet ist der Fahrkomfort gar nicht, und was an Edith an Gleichmut und Kuschelanz fehlt, das wird mehr als aufgewogen vom unbändigen Spaß beim Sprint über Stock und Stein und dem Staunen der andren, wenn man auf dem Weg in die Berge durch Venice kreuzt oder durch Hollywood. Doch spätestens der Blick auf die technischen Daten stempelt den Gipfelstürmer zum No-Go. Mit einem Spitzentempo von kaum 80 km/h ist Edith nach den Traktoren aus der Frühzeit der Firmen-Historie der langsamste Porsche aller Zeiten.

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