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Phantom On Ice: Mit 2,7 Tonnen über Fische driften

Radio NRK warnt ganz Norwegen an diesem Morgen vor Extremwetter mit Schneestürmen und strengem Frost bis minus 20 Grad. Am Flughafen Oslo Gardermoen sind die Räumkolonnen im Dauereinsatz. Der 200 Meter lange Schneeberg auf dem Rollfeld erreicht mit seiner gewaltig weißen Masse die Höhe eines vierstöckigen Wohnhauses. In der Provinz Buskerud, drei Autostunden westlich von Oslo gelegen, sind die Bedingungen noch rauer.

Text: Oliver Luxenburger / Fotos: Marius Beck Dahle

Hier, in den Bergen, kommt der Schnee herunter wie aus einem Puderzuckerstreuer, bei dem der Siebdeckel abfällt. Höchst ungewöhnlich ist dann auch das, was sich dort gegen 8 Uhr 45 abspielt. Auf der Passstraße, kommend von der Ortschaft Hemsedal, fährt ein seltsamer Konvoi langsam talwärts Richtung See. Er besteht aus vier Fahrzeugen im Gesamtwert von rund 1,6 Millionen Euro. Angeführt wird die Kolonne von einem Rolls-Royce Ghost Black Badge, gefolgt von einem Cullinan, einem Phantom und einem weiteren Ghost. Als die Fahrzeuge zum Golsfjellet abbiegen, peitscht ein eisiger Nordwind über den zugefrorenen See. Ich selbst sitze ausgerechnet am Steuer des dicksten Brummers. In meinem Kopf kreisen die Gedanken: Wird die Eisdecke gleich der Belastung durch die tonnenschweren Gefährte standhalten? Ist es eine gute Idee, sich mit super teuren Luxusgefährten auf die spiegelglatte Oberfläche eines norwegischen Bergsees zu begeben? Als ich es wage, den Koloss auf die bläulich schimmernde Eisplatte zu lenken, höre ich ein leises Krachen. Gott stehe mir jetzt bei.

Eis, Eis Baby…

„Das norwegische Militär fährt hier mit Panzern drauf“, beruhigt mich einer der Instruktoren. Die BMW Group hat sich genau hier mit einem Camp niedergelassen, um winterliche Fahrertrainings abzuhalten. Man hat also Erfahrung und es bestehe keinerlei Gefahr, heißt es. Ab einer Dicke von 40 Zentimetern trägt die Eisdecke problemlos ganze Militärkolonnen. Aktuell werden gerade fast 60 Zentimeter gemessen. Mehr geht nur in der Arktis. Eigentlich rutschen hier nur BMWs durch die Gegend, Fahrertrainings unter rauen Bedingungen sind hoch im Kurs für die Fans der Marke. Man kann das Abenteuer regulär buchen wie eine Reise im TUI-Katalog. Die Rolls-Royce Ice Experience dagegen gibt es bisher nicht zu ­kaufen. „Eigentlich könnte man das doch auch mal mit Rolls-Royce Autos ausprobieren“, erzählt Pressechefin Ruth Hilse vergnügt von ihrem crazy Vorschlag bei einem Konzern-Informationsbesuch in Norwegen. Umso grandioser, dass wir nun tatsächlich hier sind, um an diesem verrückten Experiment teilnehmen zu dürfen.

Die Gruppe ist klein, gerade mal acht Teilnehmer. Unter anderem aus Frankreich, Spanien, den Niederlanden und Italien. Ich vertrete allein die Nation Österreich, eine wirkliche Ehre. Dabei habe ich meine Teilnahme diesmal nur der unglücklichen Unpässlichkeit des WIENER-Herausgebers Sauer zu verdanken. Bei Testfahrten mit Lamborghini im Schnee des vorweltmeisterschaftlichen Courchevel klemmte ihm ein unachtsamer (er hat ihn etwas detailierter und expliziter beschrieben und auch benannt …) Ratrakfahrer den Finger in der Ratraktür ein. Weil dieser dabei brach und aufs dreifache anschwoll (der Finger, nicht der Fahrer), war bis auf weiteres weder an Autofahren, noch an Schreiben zu denken. Also fiel einer der wirklich guten Termine auch mal an einen seiner Mitarbeiter ab (der Ratrakfahrer lebt angeblich noch …).

Und ich konnte meinen alten Freund in dieser ­Situation natürlich nicht hängen lassen.
So kam ich also mit dem Phantom auf den See. Er, der Rolls (nicht der Sauer), schillert in seiner Bicolor-Lackierung, Twilight Purple und Silver Satin Bonnet heißen die Farbtöne offiziell. Eine halbe Million kostet das Gefährt, genauer gesagt 509.975 Euro. Ohne Mehrwertsteuer. Ich glaube, das istr das teuerste Auto, das ich je unterm Hintern hatte. In der Türschwelle steht der Schriftzug „The Extrovert – Hand Built in Goodwood, England“. Mit an Bord ist eine Minibar mit Kühlschrank und kristallenen Champagnergläsern im Fond. Der Sternenhimmel im Dach hat das Zusatzfeature „Sternschnuppen“, die immer wieder geisterhaft über die Köpfe der Passagiere huschen. Und irre: Sogar die Bedienhebel für Blinker und Scheibenwischer sind handvernäht mit Leder ummantelt. Alles hier ist besonders. Nichts ist ­trivial.

Neben Antonio Banderas im Bademantel

Überhaupt: Dieser ganze Termin ist nicht normal. Wenn du früher mal zum Ford Mondeo nach Köln geflogen bist, erwarteten dich dort die Ölbüffel. So pflegte die einstige BMW Lifestyle-Beauftragte Karin Elvers weiland die Schar der einfachen Autoschreiberlinge zu nennen. Gar nicht mal abwertend gemeint. Allesamt gutmütige Technik-Fritzen, die brav ihren Job machten. Spaltmaße von Türen nachmaßen, Fahrwerke der Brot-und-Butter-Autos bei Tempo 50 auf dem Kölner Ring „extrem-testeten“ und letztlich die Texte aus den Pressemappen – leicht abgewandelt – als ihre Auto-Stories verkauften. Inhaltlich solide lasen sich die Artikel in der Tagespresse dann aber nie wirklich spannend. Wie auch? Auf Rolls-Royce Events triffst du solche Langweiler nicht. Hier sind die Avantgardisten und Freaks der Motorpresse am Start, handverlesen. Der Franzose Yves zum Beispiel. Ich traf ihn schon mal auf einer Range Rover Veranstaltung. Da erzählte er mir so ganz nebenbei, dass er die Ranges selbst sammle – aber nur die mit V8-Motor. Diesel möge er nicht. Er lebt in Paris und auf Mauritius, schrieb die Familienchronik des einst befreundeten Modeschöpfers Pierre Cardin und ist Herausgeber des Lifestyle Magazins „Dandy“. Ein Franzose, der britische Mode und Lebensart zelebriert. Wundervoll! Mein Beifahrer heute hier ist der Spanier Emilio. Er ist Herausgeber des renommierten Automagazins „Car“, in Spanien eine ganz große Nummer. Im norwegischen Schneesturm trägt er einen grünkarierten Bademantel mit goldenen Knöpfen und Wap­pen­aufnähern, weil sein Koffer nicht mitgekommen war und er nichts anders zum Anziehen hat – denke ich. Falsch. Als der Koffer wieder auftaucht, trägt er den Bademantel immer noch. Stolz erzählt er, dass seine Frau Brasilianerin und Modedesignerin sei. Sie habe den Mantel entworfen, den er – wie einst Hugh Hefner – als Markenzeichen im Alltag und bei hochkarätigen Anlässen trüge. Auf dem Handy zeigt er mir, wie er im Bademantel neben „my good friend“ Antonio Banderas steht. Dann noch ein Bild von Gucci, dem Familienschwein. „Micropig, fantastic!“ freut er sich und lacht, hahaha. Viel Englisch spricht Emilio nicht, aber mit Händen und Füßen geht es schon irgendwie. Bei den folgenden Slalom- und Bremstests auf dem Eis macht er immer genau das Gegenteil von dem, was geplant ist – weil er die Anweisungen halt nicht versteht. Er beschleunigt zum Startpunkt hin, hackt dort auf die Bremse, wo er eigentlich Gas geben soll. Der mit im Auto sitzende Instruktor verzweifelt, ich werf mich weg und raste innerlich aus, es ist zum Schreien. Nein, man muss nicht immer das machen, was alle tun. Ich halte zu meinem neuen Freund Emilio. Schade nur, dass ich genausowenig spanisch kann wie Senor Emilio englisch.

Drei Tonnen im driftigen Schnee, juheeh!

Jetzt macht es richtig Spaß! Wie Kinder auf der Kettcarbahn schlittern, driften und rutschen wir mit den Rolls-Royces übers blanke Eis. Was sich die Fische unter uns wohl denken? Mein Phantom und der dunkelgrüne Ghost Black Badge haben Spike-Reifen. Die sind in Norwegen tatsächlich erlaubt und bieten kräftigen Grip. Der silberne Ghost von Yves hat keine Spikes. Er will es trotzdem wissen und schießt im Halbdrift an uns vorbei. Ich meine, ihn am Steuer noch lachen zu sehen, er winkt – und fliegt ab in die Schneewächte. Auf dem See kann eh nix passieren. Während die Strecke gesperrt ist, um Yves’ Auto zu bergen, plane ich meinen Coup des Tages. Franzose und Spanier haben die Messlatte der Extrava­ganz schon sehr hoch gelegt. Ich werde nun testen, ob man mit Moon Boots autofahren kann. Mehr noch, ob man damit einen Rolls-Royce Phantom querstellen und im Drift über einen zugefrorenen See schubsen kann. Seit meiner Kindheit hatte ich solche klobigen Dinger nicht mehr an den Füßen. Für den Test habe ich mir welche besorgt – selbstredend in … Gold! Sogleich erfinde ich – versehentlich – eine neue Fahrtechnik. Ist Linksbrem­sen ja aus dem Rallyesport bekannt (laut Walter Roehrl, Stig Blomqvist und Ari Vatanen: rechter Fuß am Gas, linker Fuß statt Kupplung auf die Bremse und so mit Gas- und Bremsstößen durch die Kurve ziehen), heißt es jetzt: Gasbremsen! Der rechte Moon Boot ist so dick, dass ich damit mühelos gleichzeitig auf Gas und Bremse latschen kann. Jawohl, es ist total sinnlos, der Rolls bleibt augenblicklich stehen. Trotzdem Leute: Hey, es ist neu, ok? Das Driften geht mit dem 2,7-Tonnen-Phantom nur bedingt. Kann man beim Ghost und dem SUV Cullinan sämtliche Fahrassistenzsysteme deaktivieren, ist das beim Phantom nicht vorgesehen. Noblesse oblige. Somit schaffe ich es trotz redlicher ­Bemühung und Einsatz beider Moon Boots nicht, quer wie Yves grazil in eine Wächte zu knallen. Aber, Spaß beiseite: Mit den ultra fetten Mondtretern fährt es sich besser Auto als gedacht. Mit etwas Feingefühl geht das durchaus. Mandy und Chantalle können es nach dem Aprés Ski in Kitz gleich mal mit dem X7 des Gatten ausprobieren. Der findet das bestimmt groovie.

Flinker als die Robbe

Es ist atemberaubend, welche Fahrdynamik die schweren Rolls-Royce aufs Eis bringen. Genau das war die Intention, zu zeigen, wie leichtfüßig und agil die Fahrzeuge sind. Von Behäbigkeit keine Spur. Die britischen Salons zeigen auf dem Eis hier jeder Robbe, wo der Hummer – pardon, der Hammer – hängt. Auf dem Weg zurück zum Skarsnuten Hotel in Hemsedal geraten wir abermals in einen derben Schneesturm. Wenn wir in der Krone dann wieder mal von der „Russenpeitsche“ lesen, die als „Schneewalze“ übers Burgenland rollt, sollten wir uns versinnbildlichen: Richtig Winter ist’s in ­Norwegen. Drei Meter türmt sich der Schnee neben der Straße auf. Sogar ein Schneepflug ist gerade in den Straßengraben gerutscht. Yves, unser Helldriver, bleibt auch ­wieder hängen. Diesmal an der Steigung, kurz vor dem Ziel. Die Wartezeit, bis er im Hotel eintrifft, verkürzt uns Emilio mit niedlichen Schweinevideos. Rolls-Royce-­Fahrer sind eben speziell, abseits vom Mainstream. Individualisten, people with bespoke expectations. „Micro-Pig, hahahaha…!“

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