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VW Arteon R Shooting Brake: Mutig in die neue alte Zeit

Wer meint, VW baue nur fade Autos; man zeige ihm den Arteon R Shooting Brake. Und bringe den Spritzwein. Es ist ja endlich Sommer.

Lange ist es her, dass ein Auto aus Wolfsburg so progressiv und extrovertiert aufgetreten ist, wie der Arteon Shooting Brake. In erster Linie hierfür verantwortlich ist die Karosserieform: Die langgezogene Dachlinie fällt sportlich nach unten ab, die Heckscheibe steht schräg, der Radstand ist lang. Außerdem sind die Scheiben rahmenlos, vor allem von der Seite sieht der Wolfsburger richtig spannend aus.

Beim R kommen dann noch, fast schon dezente, Ingredienzien dazu, wie die größeren Lufteinlässe an der Front, der Diffusor und die Abgasanlage am Heck, die (optionalen) 20-Zöller, hinter denen sich auch noch blau lackierte Bremssättel „verstecken“, und natürlich die klassische R-Lackierung „Lapiz Blau“, wobei die schon weniger dezent ist. Von manchen Winkeln sieht der Arteon R Shooting Brake so aus, als hätte er noch als Designskizze den Zweiliter-Turbo zum Leben erweckt und sich vom Zettel geschlichen. Mehr oder weniger geschlichen halt, der Sound ist nämlich wirklich ordentlich, besonders für 2021. Fehlzündungen inklusive.

Die Silhouette: traumhaft. Sowas über einen VW zu schreiben: seltsam.

Im Innenraum ähnliches Spiel: Ganz so digital, wie der neue Golf (oder Leon) ist er noch nicht, macht aber seit dem Facelift auch keinen eingestaubten Eindruck, zumindest wenn man den 9,2 Zoll großen Touchscreen ordert. Es gibt auch eine eigene Bedieneinheit für die Klimaanlage, was schön ist, weil: intuitiv. Wobei auch hier richtige Knöpfe und Regler irgendwo im Jahr 2019 stecken geblieben sind, es gibt fast nur noch Slidebars. Selbiges gilt für das griffige Sport-Lenkrad, auch hier slidet man jetzt vorwiegend mit den Fingern über die sensitiven Flächen. Hinter diesem befindet sich übrigens noch etwas, das die Fahrfreude potenziert, aber dazu kommen wir noch.

Nicht die ganz große digitale Show, aber durchaus modern.

Erstmal: Wie hebt sich das Interieur des R vom normalen Arteon ab? Überwiegend durch blaue Details, was natürlich präzise zur Lackierung passt. An den feschen Sportsitzen, die einen guten Kompromiss zwischen Komfort und Halt bieten, sind sie etwa zu finden. Ansonsten: Sehr aufgeräumt und cleanes Design sowie überwiegend hochwertige Materialen. Plastik gibt’s aber schon auch.

Technisch betrachtet ist der VW Arteon R Shooting Brake natürlich weniger mutig, als es das Exterieur-Design vermuten lässt. Man hat ja schon alles im Regal gehabt; den Antriebsstrang, die Plattform, zumindest seit dem Facelift auch sie SB-Karossiere. Allerdings: Vor allem der Antriebsstrang wurde mächtig weiterentwickelt – und zwar in die exakt richtige Richtung.

Sensitive Flächen am Lenkrad statt analoge Knöpfe.

Starten wir den Motor. Es erwacht: der EA888. Klar, what else? In seiner neuesten Evolution leistet der turboaufgeladene 2-Liter-Vierzylinder jetzt 320 PS. Das Drehmoment von 420 Nm liegt ab 2.100 Touren an und reißt dann erst wieder bei 5.350 Touren ab. Dass genügend Drehmoment vorhanden ist, weiß auch das siebengängige Doppelkupplungsgetriebe (wieder: what else?): Es schaltet selten hektisch zurück, wenn man’s am Gaspedal nicht übertreibt, sondern greift auf das zurück, was im aktuellen Gang vorhanden ist – meistens eh mehr als genug.

Ein alter Bekannter.

Noch ein paar Werte für den Stammtisch: Von 0 auf 100 km/h marschiert der Arteon R in 4,9 Sekunden. Gefühlt geht’s sogar noch flotter, was vielleicht am schönen Krach aus den zwei Endrohren (die anderen zwei sind fake) liegt, der den Vorwärtsgalopp musikalisch untermalt. Das Spitzentempo beträgt 250 ohne, 270 km/h mit Vmax-Aufhebung für rund 1.700 Euro.

Doch mehr als die Längs- imponiert bei den neuen Volkswagen R-Modellen fast schon die Querdynamik. Das hat einen Grund: Das Haldex-System, das ja nicht gerade für ein verspieltes Heck bekannt war, ist Geschichte. Stattdessen kommt beim Arteon R, wie auch bei Golf und Tiguan R, der neue Allradantrieb zum Einsatz. Dieser kann dank zwei weiteren Lamellenkupplungen die Kraft nicht nur zwischen Vorder- und Hinterachse, sondern auch zwischen den beiden Hinterrädern verteilen.

Das Resultat: Der Arteon R wird zwar nicht zum heftigen Quergänger, besonders nicht auf öffentlichen Straßen, aber hat ein so sehr aktiveres Heck, als wir das von anderen VWs gewohnt waren. Die Bremsen sehen hinter den Felgen nicht nur gut aus, sondern beißen auch richtig giftig zu. Dann: Einlenken, Scheitelpunkt anvisieren, Scheitelpunkt passieren, und Pedal-to-the-Metal. Das geht ja jetzt früher, man spürt richtig, wie man von der Hinterachse aus der Kurve gedrückt wird, untermalt vom – im Racemodus – an der Grenze zu Prolligkeit tönenden Motorsound. Ja, den Wagen forciert zu bewegen macht richtig Freude. Aber nicht nur wegen des Antriebsstranges.

Wir haben es schon angesprochen: VW hat es getan, endlich. Nach Jahren der vielleicht grauslichsten Schaltwippen überhaupt, gibt es jetzt richtig feine Ohrwascheln, zumindest für die R-Modelle. Schön und groß sind sie, auch hochwertig, obwohl sie aus Plastik gefertigt sind. Aber das haptische Gefühl beim Betätigen ist jetzt einfach dem 320 PS-Motor, dem neuen Allradantrieb, dem feinen Fahrwerk (natürlich: variabel), kurzum: dem ganzen Auto angemessen. Es ist endlich ein Genuss geworden, die Gänge in einem VW R „selbtständig“ durchzujagen.

Cool: Wippen, mit denen das Schalten Spaß macht. Weniger cool: Plastikscheibe für das Head-up-Display.

Das ist aber nur ein Teil der Geschichte. Der andere: Sind alle Systeme, von Fahrwerk und Getriebe bis hin zur Lenkung, auf zahm geschaltet, wird das Triebwerk an der kurzen Leine gehalten, dann hat man hier einen erstklassigen Reisewagen mit guten Platzverhältnissen und 565 Litern Kofferraumvolumen. Das lässt sich Volkswagen aber auch auszahlen, und zwar saftig: In Österreich startet der VW Arteon R Shooting Brake bei rund 76.000 Euro. Was eigentlich fair wäre, wäre er gut ausgestattet. Nur: Das Leben ist kein Konjunktiv.

Maximilian Barcelli

Bei 7.000 Touren beginnt der Spaß für den mehr begeisterten denn begnadeten Autofahrer.

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