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20 Jahre Audi RS6 Avant: Aller Laster Anfang

„Schöne Kombis heißen Avant“ – dieser Slogan ist fast so eng mit Audi verbunden wie der „Vorsprung durch Technik“. Doch seit ziemlich genau 20 Jahren erzählt er nur noch die halbe Wahrheit. Denn nachdem die Bayern bei RS2 und RS4 schon ein bisschen geübt hatten, kam mit dem RS6 Avant im Jahr 2002 das erste mächtige Muskel-Modell dazu. Bis dato vor allem Praktiker für Vielfahrer und Familien und für den Architekten die elegante Alternative zur Handwerker-Limousine, wurde der Kombi so gar vollends zum Sportwagen geadelt und der Claim hätte auch „Starke oder schnelle Kombis heißen Avant“ lauten können.

Schließlich hat die Quattro GmbH den 4,2 Liter großen V8-Motor aus A8 und S6 zusammen mit der damaligen Audi-Tochter Cosworth mit einem Doppel-Turbo bestückt und die Leistung so von 340 auf 450 PS gesteigert – übrigens genauso viel wie im A4 des DTM-Siegers im gleichen Jahr. Dass dafür der Vorderwagen um vier Zentimeter gestreckt werden und deshalb tief in die Struktur gegriffen werden musste, hat offenbar keinen gestört. Denn Aufwand haben sie damals keinen gescheut bei der Quattro GmbH, hatten dafür aber auch bei der Preisfindung wenig Scham und haben immerhin knapp 90.000 Euro (D) aufgerufen.

„Die Zeit dafür war damals einfach reif“, erinnert sich Stephan Reil, der ab 1998 die Entwicklung der Quattro GmbH geleitet hat: Der RS4 ist so erfolgreich gestartet, dass sich alle Fragen, wie es weitergehen soll, der A6 steht unmittelbar vor seinem Facelift zur Mittel der Laufzeit und Audi strotzt nach aus dem Stand vier Siegen in Le Mans nur so vor Selbstbewusstsein. „Was lag da näher, als dem Kombi die Krone aufzusetzen“, fragt Reil rhetorisch und antwortet darauf mit einem Zündschlüssel, den er sich bei seinen Kollegen von der Audi Tradition ausgeliehen hat. Denn 20 Jahre nach dem Debüt haben die mittlerweile die Verantwortung für den Erstling übernommen und ihn jetzt noch einmal für eine Ausfahrt im Kreise der Familie aus der Fahrzeugsammlung geholt. 

Breit und bullig steht der Kombi deshalb da und knurrt kein bisschen müde, als der Motor noch ganz ohne Startknopf mit dem Schlüssel zum Leben erweckt wird. Die damals typisch rote Instrumentenbeleuchtung flackert auf, die analogen Zeiger zucken über die runden Skalen und gierig scharrt der RS6 mit den Hufen. Automatik auf D, Fuß aufs Gas – und noch ehe die Navigation auf dem kaum handtellergroßen Bildschirm ihre pixelige Landkarte aufgebaut hat, schießt der Elder Sportsman davon, als müsse er noch immer dem M5 und dem E 63 davonfahren – dabei waren die schon damals schwächer und mit einem Sprintwert von 4,7 Sekunden hat der Audi dank seiner maximal 560 Nm jeden Stich gemacht. Und dass die 310 km/h auf dem Tacho eine leere Versprechung war, hat ihm keiner übel genommen. Denn 250 km/h galten als Gentlemen’s Agreement, das vor 20 Jahren noch nicht so verwässert war wie heute. Erst der um noch einmal 30 PS erstarkte und 15 Prozent teurere RS6 plus hat diese Hürde genommen und immerhin 280 km/h geboten. 

Neben dem Turbo und der entsprechenden Power gibt’s für den RS6 von damals allerdings noch eine zweite Zutat, die bis heute zum RS-Rezept gehört: Das adaptive Fahrwerk. Seit auf dem Kotflügel dezent das Logo der Tradition pappt, nimmt die Autos zwar keiner mehr so richtig hart ran. Doch den Wechsel von Landstrecken-Komfort zur Rundstrecken-Härte kann man noch immer gut spüren, und auch wenn es selten schneller wird als 140, 160 km/h ist es ja kein Schaden, wenn sich das Nicken und Wanken in engen Grenzen hält und der Wagen so ruhiger und mit besserer Anbindung an den Asphalt unterwegs ist.

Obwohl nur gute zwei Jahre bis Ende 2004 gebaut, hat Audi vom ersten RS6 über 8.000 Exemplare verkauft. Das hat die Bayern auf den Geschmack gebracht und sie beim C6 von 2008 zu noch tieferen Eingriffe motiviert: War der erste RS6 der Generation C5 noch ein Tuning-Modell nach alter Väter Sitte, bei dem die quattro GmbH reichlich Doping in den Tank gekippt hat, hat sich die schnelle Truppe beim Nachfolger früher engagiert und mehr Eigensinn bewiesen. „Das mussten wir ja auch“, sagt Reil mit Blick auf das Grundmodell: „Schließlich fuhr ja schon der S6 mit einem V10-Motor, den man sonst vom R8 und von Lamborghini Gallardo kannte.“ Also haben sie noch mehr an der Optik gearbeitet und wieder einen Turbo für den RS entwickelt, selbst wenn der Motorraum damit so voll wurde, dass nicht das kleinste Schräubchen mehr hineingepasst hätte, erinnert sich Reil: „Ich kenne keinen Motorraum, der besser gefüllt ist als der des RS 6 C6.“ Der Superlativ gilt allerdings nicht nur für die Technik, sondern auch für die Eckdaten: 5,0 Liter machen den eigens mit einer Trockensumpfschmierung für die Rennstrecke ertüchtigten V10 zum größten RS-Motor aller Zeiten und seine 580 PS sind damals unerreicht. Selbst der R8 GT muss mit 20 PS weniger auskommen.

Entsprechend brachial sind die Fahrleistungen, selbst wenn der Avant als Wolf im Schafspelz auch sittlich einwandfrei und politisch korrekt im gemäßigten Fluss auf der mittleren Spur mitschwimmen kann. Doch wehe, der rechte Fuß senkt sich abrupt und ruft die vollen 650 Nm ab, die der V10 zu mobilisieren bereit ist. Dann vergehen nur 4,6 Sekunden bis Tempo 100 und statt der 250er-Marke durchbricht der Power-Kombi schon die nächste Schallmauer: Weil bereits der RS6 gegen Aufpreis bis 280 km/h Auslauf bekommt, stehen beim RS6 plus bis dato unerreichte 303 km/h im Fahrzeugschein und adeln den Avant gar vollends zum Eiltransporter. 

Nach wieder nur zwei Jahren und diesmal knapp 4.000 Kombis stellt sich für Reil und seine Truppe die Frage, wie man den V10 beim Nachfolger noch toppen könnte. Und die Quattro GmbH findet darauf eine ungewöhnliche Antwort: „Weniger ist mehr,“ sagt Reil, weil er seinen Gästen beim Fahrzeugwechsel einen V8 schmackhaft machen will, der nicht nur 20 PS weniger hat als der V10, sondern der mit vier Litern Hubraum zudem der kleinste Motor in der Geschichte des RS6 ist. „Aber er war eben auch ein paar Zentner leichter“, sagt Reil und bittet zum Kickdown, wo die Kilos mehr zählen als die Kilowatt: 700 Nm reißen an allen vier Rädern und beim Spurt auf Tempo 100 vergehen nur 3,8 Sekunden. „Das war ein Zeitgewinn, der alle Zweifler überzeugt hat.“ Außerdem gab es ja später auch wieder einen RS6 Plus mit dann 605 PS und 750 Nm. Langsamer war der RS6 aus der Generation C7 auch nicht. Im Gegenteil läuft er diesmal sogar 305 km/h. Und dass er – nicht zuletzt auch wegen der Zylinderabschaltung – 30 Prozent weniger verbraucht, war, nun ja, kein Schaden. Obwohl Anfangs heftig kritisiert, wird der RS6 Nummer drei so zum Bestseller, hat mit einer Bauzeit von 2013 bis 2018 die längste Laufzeit und setzt sich beim Absatz deutlich vor die Konkurrenz aus Stuttgart und München.

Bei der vierten und bis dato jüngsten Generation des RS6 hat Audi vieles anders gemacht. Ersten gibt es keine lange Wartezeit mehr, sondern das Auto wird schon 2019 eingeführt. Und zweitens trägt der Kombi jetzt auch optisch dick auf. Waren die ersten drei Auflagen noch vergleichsweise dezent und folgten dem Ideal vom Wolf im Schafspelz, leistet sich dafür eine eigene Breitbau-Karosserie mit acht zusätzlichen Zentimetern, die bei Schnellfahrer und Selbstdarstellern so gut ankommt, dass Audi den Avant sogar erstmals nach Amerika bringt und dort viele neue Fans gewinnt.

Natürlich liegt das nicht allein am Design, sondern auch an dem, was vorn im Bug steckt: Denn es bleibt beim V8-Biturbo mit vier Litern Hubraum und nun schon in der Grundstufe jenen 600 PS, die früher dem Plus-Modell vorbehalten waren. Neu ist allerdings der 48 Volt-Generator, der nicht nur die Effizienz verbessert, sondern auch den Elan und so Sprintwerte von 3,6 Sekunden ermöglicht, während das Spitzentempo wie bisher bei 305 km/h liegt.

Zwar hat der C8 noch eine Halbzeit seines Lebenszyklus vor sich. Doch spürt auch die Quattro GmbH längst den Wandel, und der ist tiefgreifender als bei der Firmierung, die mit Audi Sport nur noch halb so gut ist. Nicht umsonst haben sie in Neckarsulm mit dem e-tron GT auf Basis des Porsche Taycan bereits ihr erstes RS-Modell für die Electric Avenue im Rennen, arbeiten an einem elektrischen Nachfolger für den R8 und an potenten Hybrid-Konzepten. 

Doch selbst wenn auch die Verbrenner in der nächsten RS-Generation wohl irgendwie elektrifiziert werden müssen, um zu überleben, lässt Co-Chef Sebastian Grams an der Zukunft des RS6 keinen Zweifel. Der Nachfolger für das aktuelle Modell ist bereits in Arbeit. Und während die Konkurrenz mehr oder minder laut den Abgesang auf den Kombi anstimmt, verspricht Grams auch vom nächsten RS6 wieder ein Modell mit großer Klappe. Denn, so die unumstrittene Sprachregelung in Ingolstadt und Neckarsulm: Wer Audi sagt, der meint Avant – und denkt dabei nicht nur an Schönheit, sondern seit 20 Jahren auch an Stärke, Speed und Sportlichkeit.

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