Die ersten, so scheint es im Rennen auf der Electric Avenue, werden die letzten sein. Denn nachdem BMW mit dem i3 vor bald zehn Jahren den Anfang gemacht hat, wirken die Bayern mittlerweile arg abgeschlagen. Und so gut Umbauten wie der iX3 oder der kommende i4 auch sein mögen, tun sie sich zumindest bei Ansehen und Aussehen im Vergleich mit dezidierten Elektroautos wie den MEB-Modellen aus dem VW-Konzern oder dem Mercedes EQS arg schwer. Doch jetzt holen die Bayern zu einem Befreiungsschlag aus und wollen mit dem iX die Rangordnung im Rennen um die elektrische Poleposition durcheinanderwirbeln. Denn wenn das große Luxus-SUV im November zu Preisen ab 79.000 Euro in den Handel kommt, soll er weniger traditionelle BMW-Kunden ansprechen als die Generation E, die bislang bei Tesla & Co heimisch war.
„Bei diesem Auto haben wir alles anders gemacht“, sagt deshalb Projektleiter Johann Kistler und sieht den iX mindestens genauso nahe am i3, von dem er den radikalen Ansatz hat, wie an einem X5 oder X7, denen er bei Format, Platzangebot und Komfortniveau nacheifert. Zwar ist der iX anders als sein kleiner Vorgänger nicht mehr aus Karbon gebacken und braucht keine eigene Fabrik, sondern läuft mit Fünfer und Siebener in Dingolfing über ein Band. Statt der eigenwilligen Portaltüren gibt es beim iX einen ganz normalen Zustieg. Das Design ist zwar – nun ja – speziell, fügt sich aber sehr viel besser in die Familienflotte ein als beim i3. Und wenn es um Fahrdynamik und Fahrleistungen geht, sind die Zeiten der Selbstbeschränkung vorbei, so dass Kistler bei der ersten Ausfahrt auf der Autobahn wie selbstverständlich gleich ganz rüber auf die linke Spur zieht.
Doch insbesondere der Fahrer erlebt den BMW von einer ganz neuen Seite. Nicht nur, dass er nicht mehr eingemauert ist von einem gebogenen Armaturenbrett und einem hohen Mitteltunnel, sondern in der Luxus-Lounge hinter den gebogenen und extrem schlanken OLED-Bildschirmen einen ungewohnten Freiraum genießt. Sondern statt der üblichen Orgie aus Lack und Leder gibt es auch ein nachhaltiges Interieur mit eigenwilligen Formen und Farben. Die wenigen verblieben Schalter etwa auf der hölzernen Konsole, die frei zwischen den Sitzen schwebt, sind mit Kristallglas veredelt, und was es sonst noch an Technik braucht, ist geschickt versteckt: „Shy-Tech“ nennt BMW das Konzept, mit dem innen zum Beispiel die Lautsprecher oder der Projektor des Head-Up-Displays und außen die Türgriffe, die Rückfahrkamera oder der Einfüllstützen fürs Wischwasser nahezu unsichtbar werden. Und selbst das runde Lenkrad ist passé. Stattdessen greift Kistler stolz in ein eckiges Etwas, das für ihn zum Sinnbild der Sonderrolle geworden ist – und ihn im Kampf mit den Traditionalisten im eigenen Haus so manch blutige Nase gekostet hat.
Wo die Bayern beim Ambiente neue Wege gehen, ist der Antrieb zwar ganz neu, aber doch schon wieder ein alter Bekannter. Denn der iX greift in den gleichen Baukasten mit Motoren ohne seltene Erden, besonders dicht gepackten und deshalb überdurchschnittlich effizienten Batterien und einem reduzierten Gesamtgewicht, den BMW gerade für den iX3 vorgestellt hat und im neuen Jahr auch für den i4 nutzen will – nur dass sie in München für ihr elektrisches Flaggschiff etwas tiefer zugreifen dürfen. Deshalb gibt’s es Allrad für alle und deutlich mehr Leistung. Schließlich wollen sie auch bei der Freude am Fahren wieder den Maßstab definieren.
Los geht es dabei mit einem iX 40, der mit 240 kW in 6,1 Sekunden auf Tempo 100 kommt und als erster elektrischer BMW die 200er-Marke erreicht. Sein Akku hat eine Kapazität von netto 71 kW, die im WLTP-Zyklus für bis zu 425 Kilometer reicht. Zweite Modellvariante in der Startaufstellung wird der 20.000 Euro teurere iX 50, bei dem dann schon 523 PS im Fahrzeugschein stehen. Das reicht für einen Sprintwert von 4,6 Sekunden und mit seinem 105 kWh großen Akku sind bis zu 630 Kilometer drin. Und damit die Lust beim Fahren nicht in Frust beim Laden mündet, gibt eine Ladeleistung von maximal 200 kW. An einer schnellen Gleichstrom-Säule kommt der iX so in 40 Minuten von zehn auf 80 Prozent und zieht in zehn Minuten den Strom für 120 Kilometer.
Zwar sieht BMW im iX den „Wegweiser in die Zukunft der Mobilität.“ Doch wissen die Bayern insgeheim offenbar selbst, dass auf der Straße in die Zukunft ganz schön eng werden dürfte in der nächsten Zeit und dass sich der iX dort mit vielen etablierten oder neuen Konkurrenten wird kabbeln müssen. Vielleicht auch deshalb haben sie die Niere so konstruiert, dass sich leichte Blessuren von selbst heilen: Die zusätzliche Beschichtung aus Polyurethan jedenfalls ist so komponiert, dass sich beispielsweise leichte Kratzer bei Raumtemperatur innerhalb von 24 Stunden wie von selbst beseitigen.