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Mercedes EQ V: Erste Klasse

Das elektrische Alphabet bei Mercedes füllt sich so langsam: Nachdem der EQ C bereits an der Ladesäule steht und Autos wie der EQ S, der EQ A und der EQ B schon angekündigt wurden, werfen die Schwaben nun auch ein V in die Buchstabensuppe und bringen mit dem EQ V den ersten luxuriösen Van mit langer Leine in den Handel. Mindestens 69.020 Euro (D) teuer und mit zwei Radständen als lange und extralange V-Klasse lieferbar, optisch aber nur ganz marginal modifiziert, soll er noch in diesem Jahr großen Familien einen kleinen CO2-Fußandruck ermöglichen und Taxi- oder Limousinen-Flotten um ein sauberes Shuttle bereichern.

Von Thomas Geiger

Für einen Netto-Aufpreis von rund 6.000 Euro auf den vergleichbaren Diesel montiert Mercedes im Bug einen E-Motor mit einer 150 kW Spitzen- und 95 kW Dauerleistung und im Wagenboden einen Lithium-Ionen-Akku mit einer Kapazität von 100 kWh, von denen immerhin 90 genutzt werden können. Im Zyklus reicht das für mehr als 400 Kilometer und in der Praxis für mindestens eine Taxi-Schicht, verspricht Projektleiter Benjamin Kaehler. Und damit der Van danach keine allzu lange Pause braucht, stattet Mercedes den EQ V serienmäßig mit einem wassergekühlten 11 kW-Lader und einem CCS-Anschluss aus. An der Schnellladesäule eingestöpselt, zapft das Spaceshuttle dann im besten Fall mit 110 kW und kommt so in 45 Minuten von 10 auf 80 Prozent Ladestand.

Auf die reale Reichweite hat der Fahrer großen Einfluss. Zum einen, weil er zwischen vier Fahrmodi wählen und bis in den spaßfreien aber dafür sparsamen ECO+-Betrieb schalten kann, der mit der Leistung auch die Klimatisierung drosselt, was bei so einem großen Kasten schnell mal ein paar Kilometer bringt. Und zum anderen, weil der EQ V in der stärksten von fünf wählbaren Rekuperationsstufen so stark verzögert, dass man tatsächlich mit einem Pedal fahren, die mechanische Bremse vergessen und bei jedem Ampelstopp ein wenig Reichweite zurückgewinnen kann.

In der Stadt fühlt sich der elektrische Kleinbus in Lack und Leder damit ein bisschen an wie eine S-Bahn für die 1. Klasse. Denn zur hohen und vergleichsweise aufrechten Sitzposition und dem vornehmen Interieur kommt jetzt noch das elektrische Fahrgefühl. Und wie alle Akkuautos beschleunigt auch der EQ V zumindest auf den ersten Metern deutlich besser und spontaner als die Verbrenner, selbst wenn Mercedes gerade einen neuen Diesel eingebaut und mit der sanftmütigen Neungang-Automatik kombiniert hat. 0 auf 100 in rund zehn Sekunden jedenfalls können sich für ein Auto dieses Formats sehen lassen.

Zwar wird die Luft mit zunehmendem Tempo etwas dünner und man braucht jenseits des Ortschilds etwas mehr Geduld. Doch erstens fährt der EQ V in der Serie 140 km/h und für nicht mal 200 Euro Aufpreis sogar 160 Sachen. Selbst wenn die Reichweite dann rasend schnell in den Keller geht, wähnt man sich auf der Autobahn deshalb eher im ICE als in der S-Bahn. Und zweitens kompensiert der Wagen mit Stille, was ihm vielleicht an Speed fehlt. Denn so kräftig der neue Diesel auch seien mag, gehört er zu den knurrigeren Vertretern seiner Art, während es im EQ V endlich Ruhe gibt beim Reisen. Wer dann auch noch die neue Luftfederung bestellt, der fährt gar vollends wie in Watte gepackt und auf Wolken gebettet.

Mit dem neuen Antrieb mag sich das Fahrgefühl ändern. Doch das Raumgefühl bleibt gleich. Denn außer im Cockpit, wo auf dem großen Touchscreen das Bediensystem MB UX samt elektrischer Untermenüs für die Intelligente Routenplanung und das Energiemanagement läuft, ist der neue Raumriesen ganz der alte: Weil die Batterie komplett im Wagenboden verschwindet, gibt es genauso viel Platz und Variabilität, wie man es von den Verbrennern kennt. Auf dem ebenen Boden kann man Einzelsitze oder Bänke mit oder gegen der Fahrtrichtung montieren, kann jedes Möbelstück verschieben oder versetzen oder ganz ausbauen und dafür mehr als zwei Kubikmeter einladen.

Praktisch und vornehm wie immer, aber jetzt auch noch sauber und selbst in smog-geplagten Städten zukunftsfest: Mit dem EQ V zieht Mercedes nicht nur ein Ass im Poker mit Tesla aus dem Ärmel und kontert die Luxusoffensive aus Kalifornien mit einem Elektroauto, in dem man anders als bei Model S und Model X endlich auch in der dritten Reihe ordentlich sitzen kann. Sondern zugleich gehen die Schwaben auch im ewigen Rennen mit dem VW Bulli in Führung, weil die Niedersachsen ihre Elektrooffensive erst ein, zwei Jahre später mit dem ID Buzz so richtig beginnen. Doch so, wie beim Rennen zwischen Hase und Igel lässt VW der V-Klasse den Sieg nicht ungeteilt. Denn als Umrüstung von Entwicklungspartner Abt gibt’s den T6 bereits zu kaufen.

Jakob Stantejsky

Freut sich immer, wenn ein Auto ein bisserl anders ist. Lieber zu viel Pfeffer als geschmacklos.

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