Mercedes EQE: E-Klasse mit Extra-E
Der EQS war nur die Speerspitze. Nachdem sich Mercedes lange Zeit gelassen hat mit seinem ersten komplett um den Akku herum entwickelten Elektroauto, geht es bei den Schwaben jetzt dafür Schlag auf Schlag und schon zur IAA in München lassen sie den nächsten Stromer vom Stapel: Mit dem EQE wollen sie nach der Luxus- auch die Business-Klasse elektrifizieren und so bei der Jagd auf Teslas Model S in die Pole Position gehen. Denn bis bei Audi ein elektrischer A6 auf der gemeinsam mit Porsche entwickelten PPE-Plattform kommt, wird es wohl noch zwei Jahre dauern, und von einem i5 ist bei BMW noch gar nichts Konkretes zu hören.
Dass der EQE so kurz nach dem EQS schon fertig ist, hat einen einfachen Grund: Beide nutzen die zweite Generation der Electric Vehicle Architecture (EVA2), die bald zur wichtigsten Plattform für Mercedes werden dürfte. Allerdings haben die Entwickler diese Grundstruktur für den EQE in jeder Hinsicht ein bisschen zurechtgestutzt.
Unter dem Blech gilt das vor allem für den Akku, der statt 108 kWh nutzbarer Kapazität nur 90 kWh zu bieten hat. Weil zugleich der cW-Wert des EQE etwas schlechter ist und das Gewicht nicht sehr viel besser, schrumpft die Reichweite auf 660 WLTP-Kilometer. Das sind zwar 120 weniger als im EQS, aber noch immer deutlich mehr als es die vielen elektrischen SUV bieten, mit denen die Business Klasse aktuell unterwegs ist. Außerdem wird ja auch schnell wieder geladen: Dank einer Ladeleistung von 170 kW soll in 15 Minuten im besten Fall der Strom für 250 Kilometer fließen.
Außerdem gibt es zumindest zum Start erstmal nur einen Motor. Denn beginnen will Mercedes die Auslieferung im Sommer 2022 mit einem EQE 350, an dessen Hinterachse ein 215 kW-Triebwerk angeschlagen ist. Später folgen allerdings auch 4Matic-Modelle mit Frontmotor und sicher auch ein AMG. Nicht umsonst zeigen die schnellen Schwaben im München schon mal einen EQS 53, bei dem die Leistung von 385 auf 560 Nm und das Spitzentempo von 210 auf 220 km/h und gegen Aufpreis endlich auch auf die bislang als Mindeststandard definierten 250 km/h angehoben wird.
Zurechtgestutzt hat Mercedes auch die Karosserie: Weil der Radstand um neun und die Länge um fast 30 Zentimeter schrumpfen, wirkt der EQE bei nun 4,95 Metern Länge etwas gedrungener als der EQS und kommt trotz des so genannten One-Bow-Designs der traditionellen Limousine näher: Nicht umsonst gibt’s statt der großen Heckklappe bis ins Dach einen klassischen Kofferraumdeckel, unter dem mit 430 Litern vergleichswese wenig Platz fürs Gepäck bleibt. Und wo andere einen Frunk haben, braucht Mercedes den Bauraum für den Hepa-Filter, der genau wie im EQS für die reinste Luft sorgen soll, die Autofahrer bislang atmen konnten. Dafür allerdings schwelgen immerhin die Passagiere in fürstlichen Platzverhältnissen. Wie in jedem Elektroauto sitzen die zwar etwas höher und sid der Straße damit ein wenig entrückt. Doch bei acht Zentimetern mehr Innenraumlänge als in einer normalen E-Klasse bietet der EQE vor allem Hinterbänklern so viel Beinfreiheit wie sonst nur die auf China beschränkte Langversion der Limousine.
Zwar schwelgt Mercedes bereits in elektrischer Intelligenz, prahlt mit der schlauen Navigation, die Rücksicht nimmt auf Routenprofile und Ladestopps, oder berichtet stolz von den Rekuperationsstufen zwischen One-Pedal-Feeling und kilometerlangen Segelphasen. Und natürlich drehen auch die Designer auf, wenn sie über die sinnliche Klarheit der schnörkellosen Karosserie sprechen oder vom Hyperscreen schwärmen, der sein digital animiertes Infotainment-Feuerwerk auf Wunsch auch für der E-Klasse-Kundschaft abbrennt und dabei ohne tief verschachtelte Menü-Ebenen bedient wird.
Doch ausgerechnet bei dem Thema, das die Viel- und Firmenfahrer mit am meisten interessiert, werden die Schwaben ausgesprochen schmallippig: Zum Preis lassen sie sich noch keine Silbe entlocken. Klar wird der EQE nicht so viel kosten wie ein EQS, der aktuell bei knapp 110.000 Euro startet. Aber genauso klar ist auch, dass es ihn nicht für die rund 50.000 Euro geben wird, für die man eine günstige E-Klasse bekommt. Sondern wer mit 70.000 Euro rechnet, der könnte schon auf einem richtigeren Weg sein. Schließlich müssen die Preise sinken, wenn die Stückzahlen nach oben gehen sollen.
Zwar wollen die Schwaben mit dem EQE vor allem Masse und damit auch Kasse machen und so möglichst schnell in Investitionen in den neuen Baukasten wieder einspielen. Doch haben sie in Stuttgart auch noch mehr Klasse im Sinn und streben deshalb mit EVA nach höherem. Und das kann man durchaus doppeldeutig verstehen. Denn erstens wollen sie auf dieser Plattform auch elektrische Geländewagen im Stil von GLE und GLS bauen – und zweitens soll darauf schon bald auch der erste elektrische Maybach entstehen. Denn ein bisschen Vitamin E kann auch den sehr-viel-besser-Verdienern kaum schaden.