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Microlino: Die Isetta lebt auf

Zu groß, zu teuer, zu aufwändig: Für Merlin Ouboter ist es kein Wunder, dass sich das Elektroauto so schwertut. Deshalb hat der Schweizer Mobilitätsrevoluzzer ein radikal reduziertes Konzept entwickelt – und dafür ein altes Rezept neu aufgewärmt. Denn was da in diesen Tagen als Prototyp des Microlino um den Züricher See stromert, erinnert nicht von ungefähr an die legendäre Isetta, mit der Mobilität in den 1950ern schon einmal erschwinglich geworden ist. Das Projekt ist zwar schon fünf Jahre alt und zwischendurch hat Ouboter nicht nur mehrfach die Partner gewechselt, mit dem Karo des deutschen Zulieferers Artega einen Klon auf den Plan gerufen und neben einem Heer von Entwicklern auch die Juristen beschäftigt. Sondern nebenbei auch das eigene Modell noch einmal komplett umgekrempelt, mit einer LED-Leiste ins Hier und Heute geholt und zugleich noch einmal die Crashstruktur verbessert sowie die Plastikkarosse gegen Blech getauscht. Doch so langsam klingen die Geburtswehen ab und mit der finanziellen Rückendeckung des Kickboard-Königs Wim Ouboter, der zu Hochzeiten an guten Tagen 80.000 und heute noch immer über 1,5 Millionen Roller pro Jahr verkauft, sieht sein kleines Team endlich die Zielgerade: Auf der IAA in München wollen sie im September das finale Auto präsentieren und kurz danach zu Preisen ab 12.500 Euro noch die ersten paar hundert Exemplare ausliefern, bevor der italienische Entwicklungspartner und Karosseriebauer Cecomp dann ab 2022 bis zu 10.000 Autos im Jahr auf die winzigen Rädchen stellen soll. 

Auch wenn der Prototyp im coolen Mattlack gehalten ist und nicht das zweifarbige Retro-Livree trägt und wenn die wie Fühler an die Flanke geschraubten Scheinwerfer mit LED-Technik strahlen, ist der Microlino noch immer sofort als Isetta-Enkel zu erkennen. Das gilt für das winzige Format mit 2,50 Metern Kürze und 1,50 Metern Schmale, es gilt für die vier 13-Zoll-Rädchen und es gilt für die Form. Denn wie früher ist der Microlino vorne breiter als hinten. Und wie damals in den 1950ern ist die Tür vorne am Bug angeschlagen. 

Wer durch die steigt und um die feststehende Lenkradsäule auf die durchgehende Bank klettert, macht allerdings einen Zeitsprung – und landet im Hier und Heute: Über dem Lenkrad thront ein kleiner Bildschirm, bedient wird die Isetta 2.0 über einen Touchscreen daneben, und natürlich fährt die Knutschkugel elektrisch.

Im Boden stecken deshalb im besten Fall Akkus mit einer Kapazität zu 14,4 kWh. Mit 2,5 kW in vier Stunden daheim an der Steckdose oder mit einem Typ2-Stecker auch öffentlich geladen, speisen sie für bestenfalls 200 Kilometer einen im Heck montierten E-Motor mit 20 kW, der maximal 90 km/h ermöglicht. Mehr ist nicht erlaubt für die Kategorie L7E, für die der Microlino gemacht ist. Weil die Zulassung aber zugleich das Gewicht auf 450 Kilo limitiert, hat der Heckmotor mit dem Zweisitzer buchstäblich leichtes Spiel, sprintet in fünf Sekunden auf Tempo 50 und schießt mit jedem Stromstoß durch die Stadt, als hätte er doch noch ein paar BMW-Gene. Dabei haben die Bayern dem Projekt sehr zur Ouboters Freude vom ersten Tag ein demonstratives Desinteresse entgegen gebracht. 

Natürlich ist der Microlino weder Raumwunder noch Rennwagen, aber das will er auch beides nicht sein. Sondern er ist gemacht für die urbane Mobilität, traut sich nur ausnahmsweise mal aufs Land und fühlt sich auf der Autobahn wahrscheinlich ziemlich verloren. Aber für die Stadt ist er perfekt: Er ist handlich und wieselflink und findet überall einen Parkplatz – zur Not eben quer. Und während man um all die großen, fetten SUV herumkurvt wie eine Motoryacht zwischen lauter Öltankern, schaut man in nichts als lächelnde Gesichter – denn der Microlino hat eine eingebaute Grinse-Garantie und man kann dem Auto gar nicht anders als mit Sympathie begegnen. Wer dann noch die Scheiben nach hinten schiebt und das massive Faltdach aufstellt, der fühlt sich auch an der Goldküste des Züricher Sees wie an der italienischen Riviera und die ganze Stadt schmeckt plötzlich nach Dolce Vita. 

Nur bei der Ausstattung muss man dann freilich Abstriche machen: Zwar rühmt Ouboter die Sicherheitszelle des zweiten Entwurfs als deutlich stabiler als den bisherigen Gitterrohrrahmen und vergleicht sie sogar mit dem Tridion-Rahmen des Smart. Doch Airbags oder ESP sind bei diesem Preis nicht drin – und in der gewählten Kategorie auch nicht vorgeschrieben, selbst wenn Ouboter die schon jetzt für das erste Update in ein paar Jahren ankündigt. Aber dafür gibt’s schon heute schmuckes Veloursleder ringsum und eine kräftige Lüftung. Die Bluetooth-Box sorgt für Stimmung und im Ernstfall die Sitzheizung für eine kuschelige Kehrseite. 

Das Konzept der minimalistischen Mobilität für die Metropolen kennt man so ähnlich zwar vom Citroen Ami und irgendwie auch vom Smart. Doch haben die Schweizer mit ihrem Auto die Aufgabe schlauer gelöst. Denn während die Franzosen mit ihrer Beschränkung auf 45 km/h beim Fahrer eher für Frust sorgen als für Freude und der knuffige Kunststoffwürfel in der Stadt mehr Hindernis ist als Hingucker, schwimmt der Microlino mit seinen bis zu 90 km/h locker im Verkehr mit. Und wo der Smart für einen Winzling viel zu teuer ist und deshalb ohne große Chance mit echten Kleinwagen konkurrieren muss, bewahren ausgerechnet die Schweizer die Bodenhaftung und positionieren den Microlino als bezahlbaren Zweit- oder besser Drittwagen. Und als solcher passt er mit seinem charmanten Design in der Garage selbst neben einen Porsche oder einen Mercedes, ohne dass man sich dafür schämen müsste. 

Im Gegenteil: Denn in einer Hinsicht ist der Microlino, das hat Ouboters Vater Wim bereits bei der Jungfernfahrt vor fünf Jahren gelernt, jedem noch so noblen Neuwagen haushoch überlegen: „Das Auto ist ein absoluter Womanizer, mit dem man bei den Damen besser punktet als mit jedem Porsche .“ 

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