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VW Golf: Die letzte große Reise?

35 Millionen in 45 Jahren und sieben Generationen – wahrscheinlich kein anderes Auto aus Deutschland ist so wichtig wie der VW Golf. Entsprechend groß ist die Aufmerksamkeit, wenn die Niedersachsen das Tuch von der Nummer Acht ziehen. Nachdem er auf der IAA seinem elektrischen Enkel ID.3 den Vortritt gelassen hat, ist es endlich soweit und der deutsche Meister startet zur Titelverteidigung durch. Gerade eben wurde in Golfsburg Wolfsburg die große Weltpremiere gefeiert und schon im Dezember soll der Bestseller zu Preisen knapp unter 20.000 Euro (D) in den Handel kommen.

Von Thomas Geiger

Allerdings startet der Golf diesmal in einer schweren Zeit. Nicht nur, dass VW ihm mit dem ID.3 schon mal die Zukunft an die Fersen geheftet hat und so zum internen Wettstreit zwischen alter und neuer Welt aufruft. Sondern bis die elektrische Revolution so richtig an Fahrt gewinnt, graben ihm auch noch die immer zahlreicheren SUV das Wasser ab. So wird der Millionseller zu einem Altmeister auf Abruf, für den alle schon bei der Neuvorstellung einen Nachruf schreiben.

Aber halt, stopp, Moment – ruft es da aus Wolfsburg und die VW-Manager rücken das Weltbild wieder ein bisschen zurecht. Denn auch wenn man es ihm – wie eigentlich nie bei einem derart klassenlosen und deshalb eher konservativen Auto, das den breiten Massengeschmack treffen muss und sich deshalb kein Risiko leisten kann – von außen kaum ansieht und die Form genau wie das Format nur mäßig modifiziert wurden, macht der neue Golf einen riesigen Sprung: Maximale Vernetzung und die weitgehende Digitalisierung des Innenraums machen ihn auch im historischen Kontext zum modernsten Vertreter in der langen Ahnenreihe.

Das erschließt sich auf Anhieb bei der ersten Sitzprobe. Denn die analogen Anzeigen hinter dem Lenkrad sind einem großen Display gewichen, das ähnlich wie beim Touareg am anderen Ende der Modellpalette mit einem noch größeren Touchscreen daneben verschmilzt. Dazu gibt es eine pfiffige Sensorleiste unter dem Bildschirm und statt der üblichen Taster und Schalter fast überall nur noch sensitive Oberflächen. Selbst das Licht aktiviert man nun mit einem Fingerzeig und zumindest bei den DSG-Varianten verkommt der Gangwahlhebel zu einem winzigen Schaltstummel.

Wie es sich für den Geist der neuen Zeit gehört, ist der Golf dabei permanent online und vernetzt sich nicht nur mit dem World Wide Web und dem Smartphone, das auf Wunsch auch als Schlüssel fungiert. Sondern zum ersten Mal haben die Niedersachsen den Sprachassistenten Alexa integriert, sie bieten Updates „over the air“ an und vor allem setzen sie ebenfalls erstmals im großen Stil auf Car-To-X-Kommunikation. Dabei verbindet sich der Golf automatisch mit seiner unmittelbaren Umgebung und macht sich so zum Beispiel die Sensoren der vorausfahrenden Autos für eine Art Frühwarnsystem zu eigen. Die Idee gibt es schon lange, aber umgesetzt hat das mangels Masse noch keiner, weil es bislang weder einen Industriestandard noch ausreichend groß Flotten gibt. Doch bei dem noch immer rekordverdächtig hohen Golf-Absatz ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich im Umfeld eines neuen Golfs bald ein weiterer Golf Acht finden wird, der dann zum Späher taugt.

Zwar predigt VW lauter als die Konkurrenz die Segnungen der Elektromobilität und als Konzern gibt dafür wohl keiner so viel Geld aus wie die Niedersachsen. Doch beweist die Premiere des Golf zugleich, dass sie in Wolfsburg die Verbrenner noch nicht zum Alteisen sortiert haben. Schließlich sind stolze acht Motoren neu oder maßgeblich weiterentwickelt worden und stoßen deshalb nicht nur weniger Schadstoffe und Partikel aus, sondern haben zudem bis zu 17 Prozent Verbrauchsvorteil.

Natürlich wird es ein bisschen dauern, bis das ganze PS-Portfolio ausgerollt ist. Doch mittelfristig reicht die Palette von 90 bis 300 PS und es wird neben klassischen Benzinern vom Dreizylinder mit 1,0 Litern Hubraum bis zum 2,0-Liter-Vierzylinder und zwei 2,0-Liter-Dieseln mit 115 und 150 PS und dem neuen Twindosing-Verfahren im Kampf gegen die Stickoxide – natürlich alle mit Turbo und Direkteinspritzung – auch wieder eine Erdgas-Version, gleich drei Mild- und zwei Plugin-Hybriden geben. Die haben mit 13 kWh beide anderthalbmal so viel Akkuleistung, unterscheiden sich aber in der Performance und kommen deshalb mit 204 oder 245 PS. Nur die Elektro-Version ist mit Rücksicht auf den ID.3 aus dem Programm genommen worden.

Wird das reichen, um den Golf weiter auf dem Thron zu halten? Das könnte schwer werden, glaubt Stefan Bratzel von der Hochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach: Denn für ihn vollführt VW mit der nahezu zeitgleichen Premiere von Golf und ID.3 einen diffizilen Spagat zwischen alter und neuer Automobilwelt. Das dürfte nicht ohne Konsequenzen bleiben, ist er überzeugt: „Während mit dem ID 3 gerade lautstark ein neues Zeitalter bei Volkswagen eingeleitet wurde, dürfte der „Dauerbrenner“ Golf dagegen in dieser Form wohl auf seine letzte große Reise gehen.“

Jakob Stantejsky

Freut sich immer, wenn ein Auto ein bisserl anders ist. Lieber zu viel Pfeffer als geschmacklos.

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