Digitalisierung, Automatisierung und immer größere Bildschirme – ja, all das steht bei der Entwicklung eines neuen Autos mittlerweile ganz weit oben auf der To-Do-Liste. Doch glaubt man Peter Langen, dann ändern sich die Prioritäten gerade wieder. Weil die Konkurrenz in diesen Kategorien immer enger beisammen liegt, feiert die lange Zeit vernachlässigte Fahrfreude ein Comeback, ist der oberste Fahrdynamiker in der BMW-Entwicklung überzeugt – und hat darauf die passende Antwort. Denn in ein paar Monaten stellen die Bayern dem neuen Dreier wieder einen Vierer zur Seite. Ist schon die Limousine der Maßstab für die Gier nach Kurven und die Lust am Lenken in der Mittelklasse, wollen sie die Latte damit noch einmal ein gutes Stück höher legen, verspricht Langen: „Denn dem Dreier einfach nur zwei Türen zu nehmen, war uns zu wenig.“
Von Thomas Geiger
Aus gutem Grund: Schließlich musste sich BMW zuletzt viel Kritik über die Nähe von Dreier und Vierer gefallen lassen. Damit das künftig nicht mehr passiert, durften vor allem die Designer in die vollen gehen und neben der Silhouette auch die Front völlig neugestalten. Die ist zwar bei Langens Prototypen noch komplett getarnt, doch schimmert unter der Kunststoffmaske schon die riesige Niere durch, mit der die Bayern im September die IAA-Gäste provoziert haben.
Für Langen ist dieses Design Lust und Last zugleich. „Denn wir mussten dafür sorgen, dass der Vierer auch so sportlich fährt, wie er künftig aussieht“, sagt der Ingenieur und hat den Vierer deshalb auch technisch weiter denn je vom Dreier weggerückt. „Natürlich ist die Hardware weitgehend identisch“, räumt er ein. Denn auch wenn der Vierer an der Gesamtproduktion in der Mittelklasse rund ein Viertel ausmacht, könnten sich die Bayern so ein Derivat sonst nicht leisten. Doch das Coupé ist nicht nur knapp sechs Zentimeter flacher als die Limousine und hat deshalb einen zwei Zentimeter niedrigeren Schwerpunkt. Sondern es leistet sich hinten eine um gute zwei Zentimeter verbreiterte Spur, vorne einen größeren Sturz und reihum ein paar zusätzliche Streben, die den Aufbau versteifen und auch bei strammer Fahrt auf schlechten Straßen eine segensreiche Ruhe in den Wagen bringen.
Das Ergebnis dieses Eigensinns ist ein Fahrverhalten, wie es diesseits der Werkstuner kein anderes Auto in der Klasse bietet. Präzise, aufgeweckt und agil und dabei trotzdem so gelassen, dass der Fahrer bei allem Engagement noch immer entspannt bleibt, schnürt der Prototyp durchs Münchner Hinterland und lässt das Herz mit jeder Kurve höher schlagen.
Und dafür muss man sich nicht hinter der Corona-Maske verstecken, die Leere auf den Landstraßen im Lockdown ausnutzen und den Vierer erst in den Grenzbereich führen. Sondern selbst bei 60, 70 Sachen im dritten, vierten Gang liegt der Vierer besser in der Hand, reagiert feinfühliger auf Lenkung, Gas und Fahrbahn und wirkt auf den Fahrer wie ein Schluck Espresso am Morgen. „Uns war es wichtig, dass man dieses Gefühl schon beim alltäglichen Fahren hat und man den Unterschied auch dann spürt, wenn man nicht mit quietschenden Reifen über die Landstraße fliegt“, sagt Langen. Und wenn Fahrer und Fahrphysik doch mal über Kreuz geraten, bleibt der Vierer natürlich trotzdem gutmütig und kontrollierbar und wiegt einen nicht in falscher Sicherheit.
Wo der Dreier oft nur als vornehmes Transportmittel genutzt wird, wird der Vierer so zu einem buchstäblich bewegenden Auto und selbst auf alltäglichen Strecken den Weg zum Ziel. Aber so sehr sich Dreier und Vierer beim Aussehen und bei der Abstimmung unterscheiden werden, so nahe sind sie sich beim Ambiente und bei den Antrieben. Klar, vorn sitzt man ein bisschen tiefer, die Polster liegen etwas enger an und natürlich gibt es wieder einen Gurtbringer. Und im Fond geht es zumindest bis zum Debüt von Cabrio und Gran Coupé ein bisschen bescheidener zu. Doch das Cockpit mit den digitalen Anzeigen und dem großen Touchscreen daneben ist genauso vertraut wie das Bediensystem mit einer ziemlich natürlichen Spracheingabe und der – nun ja – etwas verspielten Gestensteuerung und das große Heer der Assistenten, die aktiv in Längs- und Querführung eingreifen. Und auch die Vier- und Sechszylinder-Motoren bis zum 374 PS starken Dreiliter im vorläufigen Top-Modell M440i sind genau wie der heck- oder Allradantrieb und die Achtgang-Automatik alte Bekannte. Allerdings hat zumindest der stärkste Motor für den Einsatz im neuen Sportler nochmal trainiert und kommt als erster Benziner bei BMW mit einem elektrischen Starter-Generator samt 48 Volt-System. Der spart nicht nur ein bisschen Treibstoff durch bessere Rekuperation, sondern hilft mit bestenfalls 18 PS auch beim Anfahren und stopft so auch noch das letzte Löchlein, das man dem Turbo zuschreiben könnte. Allerdings wird der Vierer dieses Privileg nicht lange pflegen, sondern bald mit allen Baureihen teilen müssen.
Präzise, leichtgängig und schon weit diesseits des Grenzbereichs ausgesprochen lustvoll zu bewegen – so wird der Vierer tatsächlich zum neuen Gralshüter der Fahrfreude und Langen kann getrost ins Rennen mit Konkurrenten wie dem Mercedes C-Klasse Coupé oder dem Audi A5 gehen. Dabei muss er sogar einräumen, dass er die Möglichkeiten seines Baukastens noch nicht einmal völlig ausgereizt und die Stellschrauben nicht bis zum Anschlag gedreht hat. Schließlich kommen bald ja auch noch M3 und M4. Und die wollen nicht nur mit noch mehr Leistung punkten, sondern auch mit mehr Lust am Fahren.