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Bentley Flying Spur: Luxus mit Nachdruck

Vorne links oder hinten rechts – normalerweise ist das in einer Luxuslimousine keine Frage. Denn egal wie stark der Motor auch sein mag, gebührt der Platz hinter dem Steuer einem Fahrer und der Besitzer lümmelt lieber im Fond. Doch wenn Bentley jetzt nach biblischen 14 Jahren auf Basis von Audi A8 und Porsche Panamera endlich den neuen Flying Spur vom Stapel lässt, ist die Versuchung für einen Positionswechsel größer denn je.

Von Thomas Geiger

Denn so verführerisch die Rückbank bei 3,20 Metern Radstand und entsprechend viel Kniefreiheit auch sein mag und so gut man sich mit dem exklusiven Infotainment samt selbst entwickelter Tablet-Computer und einer Fernbedienung wie ein Smartphone auch beschäftigen kann, lockt der Flying Spur mit Reizen, die eine S-Klasse allenfalls mit AMG-Doping parieren kann. Und der eigentliche Konkurrent Rolls-Royce ist da ohnehin längst abgemeldet.

Schließlich steckt unter der langen Haube wieder der sechs Liter große W12-Motor, der genau wie im Bentayga Speed auf 635 PS und 900 Nm kommt. Damit lässt er sich selbst von 2,5 Tonnen nicht beeindrucken, wuchtet den Luxusliner in 3,8 Sekunden auf Tempo 100 und schafft bei Vollgas 333 km/h. Dann sieht man nicht nur S-Klasse & Co im Rückspiegel, sondern lässt auch manch einen reinrassigen Sportwagen hinter sich. Und das ganz ohne wildes Gebrüll und Imponiergehabe. Wie von Geisterhand beschleunigt das Dickschiff, als würde ihm der Dampf nie ausgehen – flüsterleise und scheinbar mühelos wird er schnell und immer schneller, bis die Welt nur noch in Schlieren an den dick isolierten Fenstern vorbei wischt.

Anders als der Vorgänger ist der Flying Spur diesmal aber auch jenseits der Geraden schnell und vor allem handlich. Dafür bekommt er neben einer besonders reaktionsschnellen Dreikammer-Luftfederung für eine wahlweise extrem straffe oder betont lässige Anbindung und einem von 48-Volt-Stellern justierten Fahrwerk zum ersten Mal in der Bentley-Geschichte auch eine Allradlenkung. Währen der Zwölfzylinder das gewaltige Gewicht vergessen lässt, nimmt sie den 5,30 Metern den Schrecken und lässt den Luxusliner gefühlt auf das Format einer Mittelklasse-Limousine schrumpfen. So kommt man nicht nur ohne Schweiß und Schrammen durch enge Innenstädte und in verwinkelte Tiefgaragen. Sondern gleichzeitig gewinnen verschnörkelte Passstraßen und kurvige Küstenrouten plötzlich an Reiz.

Während das Fahrgefühl völlig neu ist, hat Bentley bei Auftritt und Ambiente die Tradition gewahrt: Auch der neue Flying Spur ist ein Prunkschiff, das Autos wie eine S-Klasse oder einen Siebener mit seinem riesigen Grill und den wie aus Kristall geschliffenen Scheinwerfern bieder und bescheiden aussehen lässt. Dazu gibt es innen in eine Mischung aus Tradition und Technologie, wie man sie so nur bei Bentley findet. Denn auf der einen Seite gibt es digitale Instrumente, Online-Infotainment, ein Head-Up-Display, Infrarot-Kameras und ein eigenes, mit dem Bordsystem vernetztes Tablet für die Hinterbänkler. Und auf der anderen Seite gibt es Lack und Leder satt, die vielleicht aufwändigsten Ziernähte überhaupt, ziselierte Metallrähmchen mit über 2.000 individuell errechneten Diamant-Mustern und erstmals sogar Konsolen mit 3D-Holz oder Naturstein. Kein Bauteil verdeutlicht dieses Wechselspiel besser als das „Rotating Display“, das sich wie eine riesige Toblerone auf Knopfdruck im Cockpit dreht: Mal zeigt es einen brillanten Touchscreen, mal analoge Uhren und mal nur eine schicke Holzvertäfelung.

Zumindest bis Mercedes im nächsten Jahr eine neue Generation der S-Klasse und mit ihr auch wieder einen Maybach bringt, fährt Bentley mit dem Flying Spur tatsächlich an der Spitze des Segments und zum Rolls-Royce Ghost fehlt, wenn überhaupt, dann nicht mehr viel. Allerdings haben sich die Briten dafür auch reichlich Zeit gelassen. Dass der Vorgänger beinahe 14 Jahre gelaufen ist, liegt jedoch nicht allein an den eher kleinen Stückzahlen und der zuletzt arg schwierigen Finanzlage der britischen VW-Tochter. Sondern es liegt auch an der Liebe zum Detail, über die sie in Crewe bisweilen ein wenig die Zeit vergessen. Das beste Beispiel dafür ist das „Flying B“, das von innen beleuchtet und elektrisch versenkbar nun als freundlicher Gruß an die Spirit of Ecstasy von Rolls-Royce über dem wuchtigen Kühler thront – allein daran haben sie bei Bentley zwei Jahre lang gezeichnet und entwickelt.

Jakob Stantejsky

Freut sich immer, wenn ein Auto ein bisserl anders ist. Lieber zu viel Pfeffer als geschmacklos.

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