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Dodge RAM 1500: Widder den Trend

Da der Rivian RT1, dort Teslas Cybertruck und am Horizont der charmante Winzling von Telo – wer den Blick von den Pick-Ups der Start-Ups auf die klassischen US-Pritschenwagen aus Detroit schweifen lässt, der schiebt Autos wie den Ford F-150, den Chevrolet Silverado oder den RAM1500 schnell mal als Blech gewordene Saurier in den Jurassic  Park – und handelt damit erstens vorschnell und zweitens falsch.

Denn nicht nur, dass die wirtschaftliche Bedeutung der Dickschiffe aus Detroit um ein Vielfaches größer ist, weil sie nicht in homöopathischen Stückzahlen gebaut werden, sondern zu Hunderttausenden auf die Straße kommen. Sondern auch, weil die nicht mehr ganz so großen „Big Three“ längst die Herausforderung angenommen und sich ebenfalls auf die Elektromobilität eingelassen haben. Und im Fall des RAM gibt es sogar noch einen Grund: Während sich die Newconer bis dato allein auf Nordamerika beschränken, ist er der einzige US-Pickup nach alter Väter Sitte, der ganz offiziell auch in Europa angeboten wird. Nicht umsonst fährt die Hälfte aller Importmodelle zwischen Flensburg und Garmisch. Deshalb lohnt sich auch ein besonders gründlicher Blick auf das neue Modelljahr des RAM 1500, das im Sommer zu uns kommt. Zwar ist er diesseits des Atlantiks nicht ganz so billig wie in den USA, wo die Preise schon knapp über 40.000 Euro beginnen. Aber selbst mit Schätzpreisen zwischen 70.000 und 140.000 Euro bietet der über rund 60 Stützpunkte angebotene Pritschenwagen mehr Präsenz, Platz und Pomp als die meisten Geländewagen hiesiger Provenienz – und die besseren Offroadeigenschaften hat er obendrein. Vom größeren Nutzwert ganz zu schweigen.

Während Pick-Ups in Texas so allgegenwärtig sind, dass sie dort bei der Jungfernfahrt zwischen Rinderfarmen und Ölfeldern auf Anhieb die dezenten Designretuschen erkennen, wirkt der Pick-up bei uns allein wegen seines imposanten Formats  und nicht wegen der frischen Schminke. Der Grill lässt jede BMW-Niere zierlich erscheinen, die Scheinwerfer sind groß wie Flutlichter und die bis zu 6,20 Meter lange Silhouette stellt selbst Kolosse wie einen BMW X7 oder einen Mercedes GLS buchstäblich in den Schatten. Und einen Amarok packt der Ram wahrscheinlich einfach auf die Pritsche.

Und dann erst der Innenraum. Wo man sich bei den wenigen halbwegs europäischen Pick-ups mit dem Platz bescheiden muss, thront man im RAM auf Sesseln, die jede Hotellobby zieren würden und in den Fond haben sie ein Sofa montiert statt einer Rückbank. Dazu gibt’s allein in der Mittelkonsole mehr Stauraum als in einer europäischen Einbauküche, und mindestens so viele Temperaturzonen. Und wer glaubt, dass im RAM die Zeit stehen geblieben sei, den belehren ein halbes Dutzend Steckdosen, kabellose Ladeschalen und vor allem eine Flut von Bildschirmen eines Besseren. Nicht nur die Instrumente sind digital, der Rückspiegel und natürlich der riesige Touchscreen, der aufrecht vor der Mittelkonsole prangt. Sondern als erster Pick-Up bietet der RAM jetzt sogar ein einiges Display für den Beifahrer und stiehlt damit sogar Autos wie einem BMW X5 oder einem Mercedes GLE die Schau. 

Den größten Sprung macht der RAM allerdings beim Antrieb: Nein, die Elektroversion kommt genau wie die Variante mit Range Extender erst zum Ende des Jahres. Aber schon jetzt schlagen die Amerikaner ein neues Kapitel auf und mustern dafür nach mehr als zwei Jahrzehnten ihren lieb gewordenen Achtzylinder aus. Statt des 5,7 Liter großen Hemi tobt unter der Haube deshalb jetzt der „Hurricane“, der seine Kraft nur noch aus drei Litern Hubraum schöpft– verteilt auf sechs in Reihe montierte Zylinder und auf Trab gebracht von zwei Turbos. Natürlich klingt der Reihensechser nicht ganz so souverän wie ein V8 und schmerzt damit das Herz. Doch das Hirn erfreut sich an deutlich besseren Fahrleistungen bei einem gleichzeitig spürbar geringeren Verbrauch. Statt 395 PS leistet nun schon die Standardversion 420 PS und geht mit bis zu 635 Nm zu Werke. Und der „High Output“ wirft sogar 540 PS und 700 Nm in die Waagschale. Da wird der Koloss fast schon zum Kraftprotz, bäumt sich beim Kickdown kurz auf und zieht mühelos an vielen anderen Trucks vorbei, bis ihn – wie bei fast allen amerikanischen Pick-Ups – die Elektronik bei rund 160 Sachen automatisch einbremst.

Ja, der Antritt ist gewaltig und die ersten paar Kickdowns sind purer Nervenkitzel. Aber schnell verfällt man am Steuer des RAM in eine souveräne Gelassenheit und genießt stattdessen das erhabene Gefühl, wenn die Distanzen dahinschmelzen wie der Berg von Eis in dem Eimer voll Cola, der zwischen den Sitzen steckt. Erst recht, wenn der Pick-up auch noch mit einer Luftfederung ausgestattet ist, die selbst den schlimmsten Highways und Byways den Schrecken nimmt. 

Wer nach einem Tag in Texas im neuen RAM 1500 trotzdem noch glaubt, dass Pick-ups von altem Schrot und Korn und nur fabrikneues Altmetall sind, den belehren die Amis spätestens auf dem Rückweg über die Interstate nach Austin eines Besseren. Denn erstmals beherrscht der 1500er auch das autonome Fahren nach Level Zwei: Auf über 100.000 Meilen amerikanischen Highways kann man damit die Hände vom Lenkrad nehmen. Auch wenn der Elektroantrieb und die Version mit Range Extender noch ein paar Monate auf sich warten lassen, ist die Pritsche aus Detroit damit sogar dem ominösen Cybertruck von Tesla voraus. Dort ist der Autopilot zwar ebenfalls eingebaut, aktuell aber noch nicht freigeschaltet.

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