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Reif von der Insel

Britische Automobile zeichnen sich querbeet vor allem durch zwei Dinge aus: Spürbare Noblesse und ganz viel Stil. Gut abgehangen und trotzdem frisch wie eh und je präsentieren wir ein paar wohlgereifte Fahrzeuge englischer Provenienz in ihren aktuellsten Versionen. Gentlemen, start your Engines!

Text: Gregor Josel, Franz J. Sauer, Jakob Stantejsky, Maxi Barcelli / Fotos: Eryk Kepski, Hersteller

Rolls Royce Dawn
Der Fürst der Cabriolets
Rolls-Royce hat die Vorzüge der Elektromobilität erkannt und setzt deshalb vollumfänglich auf V12. Ein solcher ist nämlich fast genauso höflich zurückhaltend, kultiviert und laufruhig, wie ein E-Motor, zumindest wenn die Ingenieure das so wollen. Bei Rolls-Royce wollten sie es. Deshalb erwirtschaftet der mit 6,6 Litern Hubraum gesegnete Biturbo die vollen 820 Nm auch schön früh, ab 1.650 Umdrehungen stehen sie zur Verfügung. So erspart man sich beim Leistungsabruf oftmals den ein oder anderen Gangwechsel. Nicht, dass man einen solchen großartig mitbekommen würde.

Weil dann doch Benzin und kein Strom durch die aristokratischen Adern des teuersten Cabrios der Welt fließt, erspart man sich auf dem Weg zum Golfurlaub außerdem längere Stopps an der Tankstelle. Das Reisen mit dem Pöbel wird auf ein Minimum reduziert – gut so! Wer will schon mehr Zeit an der Kasse mit irgendwelchen Vorstandsvorsitzenden irgendwelcher ÖBAGs investieren, als notwendig? Außerdem ist die Lebenszeit mindestens doppelt so kostbar, wenn man sie in einem Dawn verbringt. Das gilt sogar für Regentage: Ist das Verdeck geschlossen, dann erinnert das Geräuschniveau im Innenraum an jenes einer E-Klasse – inklusive Akustik-Komfort-Paket. Und die beiden selbstverständlich in den Farben der Lackierung gehaltenen Schirme, die sich im selbstverständlich beheizten Fach unter der A-Säule verstecken, sind grotesk gut verarbeitet. Echt komisch, so etwas über einen Regenschirm zu schreiben.

Zurück zu den Parallelen, die sich zwischen Elektromobilität und dieser Yacht auf vier Rädern ziehen lassen können. Wie bei einem E-Auto gibt es im Dawn keinen Drehzahlmesser, stattdessen geben die wunderhübsch designten, analogen Instrumenten lediglich an, wie viel Leistung man noch in petto hat – meistens sehr, sehr viel. Außerdem kostet die superfeine Holzausstattung vermutlich mehr als ein Tesla Model 3 oder so. Was aber nur fair ist, weil selbst der Boden des überraschend großen Kofferraums üppig mit Holz verkleidet ist. Die Schläger also bitte ins Golfbag, Darling. Nicht, dass da was zerkratzt.

Bentley Continental GT Speed
Mitleid gibt’s umsonst !
Neid muss man sich bekanntlich hart erarbeiten, wohingegen es Mitleid meist umsonst gibt. Wer den brandneuen Bentley Continental GT Speed in die engere Auswahl für individuelle Mobilität, oder zumindest einen Teil davon, nimmt, der hat das Neid-Thema allerdings für sich längst erledigt. Wer dieses Auto sein eigenes nennen darf, der steht, aus welchen Gründen auch immer, über den Dingen. Der GT Speed ist nunmehr der vierte Continental GT, den die kundigen Damen und Herren aus dem englischen Crewe mit dem Speed Kürzel versehen, und wer Bentley kennt, der weiß, dass man hier trotz gewohnt britischer Zurückhaltung nicht kleckert, sondern klotzt. 12 Zylinder, 659 PS, 900Nm Drehmoment, der Sprint von Null auf Hundert in 3,6 Sekunden und ein Topspeed von 335 km/h. Das ist die Krönung der Luxusklasse, der Name ist Programm und all das trotz einer, zwar mittels optional verfügbarer Carbon-Keramik-Bremsen perfekt in Zaum gehaltenen Masse von 2,25 Tonnen.

Der Rest ist purer Luxus, den man sich ganz nach Lust und Geschmack zusammenstellen darf. Im Innenraum zeigt sich der Bentley Continental GT Speed zweifarbig. 15 Alcantara-Farben und elf weitere Kombinationen erlauben es, dem sportlichen Luxuswagen wie gewohnt einen ganz individuellen Touch zu geben. Auf Wunsch kommt Alu-Dekor, Holz oder Carbon zum Einsatz. Auch das Lenkrad ist mit hochwertigem Alcantara überzogen. Neu ist auch die Allradlenkung, die das Grand Turismo Schiff merkbar wendiger macht als bislang. Besonders dynamisch gibt sich der neue GT Speed in der Lackierung „Julep“, die in Name und Farbton einem in Großbritannien höchst beliebten Pfefferminz-Erfrischungsgetränk nachempfunden ist und den man auch hervorragend mit einem guten Schuss Bourbon genießen kann. So wie man den Bentley Continental GT Speed eben auch ganz klassisch und unscheinbar in unauffälliger Farb- und Felgenkombination ordern kann oder eben in besagter Julep Variante, die in Verbindung mit den schwarzen 22-Zollfelgen und den anderen schwarzen Details die wohl perfekte Variation für dieses britische Powerhouse ist.

Land Rover Defender V8
Der Gott mit den zwei Gesichtern
Die Frage nach dem besten Geländewagen der Welt wird die Automobilenthusiasten dieses Planeten wohl auf alle Ewigkeit in Zwiespalt (oder sogar Trispalt, falls es sowas gibt) stürzen. Mit auf dem höchsten Gipfel des Olymps der Offroad-Götter thront aber zweifellos seit 1948 auch der Land Rover Defender. Seit letztem Jahr hat die Urmaschine endlich einen würdigen Nachfolger, der den zeitlosen Klassiker endgültig in die Moderne transportiert hat. Und heutzutage ist ja bekanntlich allerhand möglich. Sogar ein Defender V8. Ja, sogar im Jahr 2021 gibt es den markigen Geländewagen – was für manche ja allein schon schlimm genug wäre – als oktantriefenden Bullen mit Hang zum Freilauf. Denn der Defender V8 ist trotz 5,0 Liter-Kompressor-V8 samt 525 Pferdestärken und 625 Newtonmeter Drehmoment kein Schauläufer. Sicher, notwendig mag so viel rohe Gewalt im Gelände kaum je sein. Und trotzdem hat Land Rover auch bei dem prestigeträchtigen Flaggschiff nicht an Offroadkompetenz gespart. Sonst wäre es ja auch kein Defender, sondern ein Protz-SUV.

Mit der eitlen Prunkerei will der Brite allerdings nichts zu tun haben. Natürlich verschafft sich der Defender V8 mit seiner auch optisch imposanten Auspuffanlage Gehör, allzu gekünsteltes Knallen und Blubbern dürfte ihm aber fremd sein. „Gentleman“ schießt einem bei einem britischen Auto da sofort durch den Kopf. So weit würden wir aber auch wieder nicht gehen. Denn der V8 verdeutlicht schon eindrücklich, dass er brutal werden kann. Etwa, wenn er in 5,2 Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h fetzt. Das gilt für die Kurzversion Defender 90. Der lange 110 braucht zwei Zehntel mehr, bei beiden gipfelt die Ekstase in einem 240 Stundenkilometer schnellen Rausch – eine Geschwindigkeit, die man eigentlich in einem Defender niemals erreichen will. Doch dafür ist der Defender V8 extra deutlich härter abgestimmt, so dass er nicht mehr rustikal schaukelt, sondern sich stattdessen in den Asphalt verbeißt. Oder den Dreck. Ist ihm egal. Ach ja, Allradantrieb hat er auch. Als hätte man diese Information überhaupt explizit erwähnen müssen. Anyway. Falls der Fahrer es jemals schaffen sollte, seinen Defender in eine Situation zu bringen, in der er nicht mehr vorwärtskommt, schafft der V8 auch Abhilfe. Denn der reißt dann einfach so gewaltig an der Erdoberfläche an, dass sich der blaue Planet unter ihm wegdreht. So kommt man technisch gesehen auch voran. Ja eh, das ist tendenziell leicht übertrieben. Aber das ist beim Land Rover Defender V8 erlaubt, denn anders fasst man diese göttliche Bestie kaum in Worte.

Jaguar F-Pace SVR
Wieviel Raubkatzen sind 550 Pferde?
Als SVR verkleidet, wirft der Jaguar F-Pace jede vornehme Britishness endgültig über Bord und gibt den Haudrauf mit wohl guten Manieren, aber dennoch Lust auf die Rennstrecke. Gehört er da nun wirklich hin?

„Wir eskortieren Sie jetzt zur nächsten Tankstelle und dort kaufen Sie sich dann ein GB-Schild fürs Heck. Haben Sie mich verstanden?“ Die Rennleitung griff mich im ersten Wiener Gemeindebezirk auf, als ich verzweifelt nach einem Parkplatz einem nicht ganz so hohen Randstein suchte, der die 22Zöller nicht gleich zum Frühstück verspeisen würde. Aber so weit kam ich vorerst eh nicht. Woran sich die Inspektoren stießen? An der britischen Provenienz meines Fahrzeuges, kundgetan durch ein leuchtend ockeres Kennzeichen mit seltsamer Zahlen-Buchstaben-Kombination. „Aber Sie ­haben doch auch erkannt, woher das Kennzeichen stammt, oder?“ Nichts zu machen. Die Bullen blieben streng ob der Tatsache, dass Großbritannien schließlich keineswegs mehr zu unserer geliebten EU gehört, demgemäß also ein hiesiges Organ gar nicht mehr zu wissen HAT, woher das nämliche Kennzeichen stammen könnte.

Natürlich führte keine einzige Wiener Tankstelle ein ovales Emblem mit einem GB darin im regulären Angebot, auch schon die mit einem A in der Mitte waren Mangelware. Also eskortierten mich die Bullen bis zum Privatgrund unseres Büro, wo ich mir schließlich unter Zuhilfenahme von MS Word, dem Büro-Drucker und einer Schere ein eigenes GB-Schild fürs Auto bastelte. Das hatte natürlich gleich mehrere Nachteile: Erstens konnte ich die Leistung des Fahrzeugs nicht mal ansatzweise ausprobieren – ein paar kecke Ampelstarts, die Kemal und Braco in ihren halbwüchsigen BMWs und Mercedessen auf die Plätze verweisen würden, hatte ich mir ehrlichgesagt schon vorgenommen. Und zweitens ließ die Blaulicht-Eskorte (VW Sharan, immerhin) mich noch mehr wie einen Schwerverbrecher aussehen, als dies die umfangreichen Beplankungen des Supersport-Jaguar ohnehin schon taten.

Der Jaguar F-Pace SVR ist ein lautes Automobil und das auch schon, bevor der Motor läuft. Man bemüht sich bei Jaguar nowadays offensichtlich um deutliches Hervorkehren der eigenen Sportler-Skills, während man das beim vorvorigen XJR (der auch schon 396 PS hatte …) noch krampfhaft zu verbergen suchte. Blitzblau mit weißem Inneren ist natürlich auch eine auffällige Kombination, um 550 PS auf hochsportlichen, schwarzen 22Zöllern gefedert stilecht zu verpacken. Das alles dann noch mit 50 km/h hinter den Bullen her, die allerdings meine Reiseroute im Rückspiegel zu erraten suchten. Es war alles in allem eine sonderliche Fahrt durch Wien, ist zu vermelden.

Ganz im Gegenteil zur später inszenierten (und durch mein GB-Pickerl legalisierten) Reise in die Südsteiermark, die sich durch gelegentliche Autobahn-Sprints gewürzt, vor allem in höchster Wertschätzung für die Komfort-Skills des großen Jaguar-SUV auszeichnete. Von Sound bis Haptik passt hier alles, der Jaguar ist endlich mit seiner fragwürdigen Identität als Stadtgeländewagen zusammengewachsen, auch die Telematik funktioniert endlich, endlich einwandfrei und selbst Fahrwerk und Motorcharakteristik fallen, so nicht in den Kampfmodus gespannt, nicht ungut durch übertriebenes Kraftmeiern auf. Fragt sich bloß, wer 550 PS auf hochsportlich gebürstet in deinem derart vornehmen Auto wie dem Jaguar F-Pace überhaupt braucht. Zumal derlei ja neuerdings auch ungute Unsummen puncto Normverbrauchsabgabe (all in: ab 139.000 Euro) aufruft, will man einen „A“-Aufkleber auf seinem Autoheck picken sehen.

Blau wie die Sünde, scharf wie Salsiccia und auch ein bisschen überladen darf so ein Jaguar-Motorraum sein, wenn er über 500 PS produzieren muss. Die Aufnahmen entstanden übrigens noch in verruchter Illegalität.

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