Ein ganzes Jahr lang hat uns der Seat Leon TGI als Dauertester begleitet. Das gewonnene Wissen können wir aber gleich wieder über den Haufen werfen, 2020 kam die neue, vierte Generation des spanischen Kompakten. Und bei der ist alles anders.
Das macht gleich einmal das Design klar: Während man beim alten Leon vor allem geometrische Formen finden konnte und der Wagen irgendwie eckiger war (Toll formuliert, Barcelli!), so setzt der neue, zumindest beim Heck, auf Gegenteiliges: Alles wirkt wie aus einem Guss, die Heckleuchten sind geschwungener und die Kofferraum-Klappe fügt sich – zwar mit einer scharfen Kante versehen – nahtloser in die Karosserie ein. Und, natürlich: Es gibt ein Leuchtenband.
Ob einem das jetzt gefällt oder nicht, darf jeder für sich selbst entscheiden. Immerhin: Wenn die Spanier mit etwas beginnen, dann ziehen sie es auch durch. Und so zieht sich dann auch ein zweites Leuchtenband durch das gesamte Cockpit. Damit wird übrigens nicht nur das Ambiente in diversen Farben beleuchtet und aufgewertet, auch der Tote-Winkel-Assistent warnt den Fahrer damit visuell.
Ach, das Cockpit. Wenn wir jetzt sagen würden, dass sich hier am meisten getan hat, wäre das gegenüber den vielen weiteren Änderungen unfair. Aber verdammt: Der Innenraum erzeugt dann doch eine sehr viel gehobenere Atmosphäre als der des Vorgängers. Weil sich eine Leiste von Fahrer- zu Beifahrertür zieht und den Raum so optisch verbreitert. Und weil hie und da zwar Plastik verbaut ist, der Materialienmix (zumindest mit der richtigen Ausstattung) grundsätzlich aber ebenso lobenswert wie die Verarbeitung ist.
Natürlich ist auch punkto Digitalisierung alles am neusten Stand der Technik, der vierte Seat Leon kann alles, was man braucht. Und noch viel mehr, was man nicht braucht. Polarisieren dürfte die Touchbar unter dem -display, mit der Temperatur und Lautstärke verändert werden. Sieht einerseits fancy aus und macht anfangs auch Spaß. Aber nur, bis man sich einmal unbeabsichtigt daran abgestützt hat, als man den Touchscreen bedienen wollte, und die Klimaanlage plötzlich wie verrückt heizt – und das im tiefsten Sommer.
Sicher auch nicht nur Fans hat wohl der Rasierer am Mitteltunnel, mit dem man das Automatikgetriebe steuert. Mir persönlich gefällt das aber ganz gut, passt zum recht minimalistisch gehaltenen, weil quasi ohne analoge Knöpfe auskommenden, Interieur-Design.
Die Ausnahme ist da das Lenkrad, auf dem man das Fehlen der analogen Bedienelemente wieder etwas ausgleicht. Einen unaufgeräumten Eindruck macht es trotzdem nicht. Und einen minderwertigen schon gar nicht, besonders, wenn der Leon in der sportiven FR-Ausstattungslinie geordert wird. Nebst einigen optischen Details und eben dem unten abgeflachten Lenkrad macht diese vor allem das leicht tiefergelegte Sportfahrwerk aus.
Keine Sorge: Der Leon wird so nicht zum knallharten Rückenbrecher, sondern bleibt äußerst ausgewogen abgestimmt, bietet viel Komfort und liegt dennoch satt auf der Straße. Dazu die gut abgestimmte Lenkung, die ein gutes Gefühl für die Vorderachse vermittelt, und der 1,5-Liter-Vierzylinder, dessen Mildhybridisierung sich mehr bei der Beschleunigung als beim Verbrauch (5,9 bis 6,7 Liter offiziell) bemerkbar macht. In 8,7 Sekunden geht der Fronttriebler auf Tempo 100, bei 217 km/h ist Ende im Gelände. Kurzum: der Vortrieb ist überaus anständig.
Genauso wie der Kofferraum: Mit üppigen 620 Litern ist der ein wenig gewachsen. Wenig überraschend, ist der Leon doch grundsätzlich länger geworden – auch, was den Radstand betrifft. Und das merkt man: Das Platzangebot auf der Rückbank ist erstklassig, der neue Leon vor allem als Kombi bestens als Familienkutsche geeignet.
Und zwar auch dann, wenn Herr Papa oder Frau Mama gerne mal etwas offensiver unterwegs sind: Wie auch der neue VW Golf oder Audi A3, beide stehen auf der MQB-evo-Plattform, gerät der Seat Leon recht spät ins Untersteuern, man kann ihn schon schön in die Kurve schmeißen.
Klar, ein Sportwagen ist er deshalb noch nicht. Aber: Es gibt ja noch die Submarke Cupra, die sich auch dem Leon angenommen hat. Und wer einen richtigen Sportwagen will, sollte sowieso zum Porsche 911 greifen. Der hat nämlich auch so einen hübschen Rasierapparat als Wählautomatikhebel.
Allerdings verschlingt so ein Elfer halt weitaus mehr Geld, als das der Seat Leon tut. Wer den 1,5-Liter-Mildhybrid samt FR-Ausstattung wählt, muss mindestens 32.000 Euro aufbringen. Dann ist der Spanier zwar okay ausgestattet, aber weit davon entfernt eine volle Hütte zu sein. Wer um die 40.000 investieren kann, hat dann aber genug Extras – und mehr als genug Fahrwerkseinstellungen: Im Dynamik-Paket (ca. 875 Euro) inkludiert ist nämlich nicht nur eine Progressivlenkung, sondern auch adaptive Dämpfer. Neunstufig regelbar!