Am anderen Ende der Welt sind sie Geschwister, doch bei uns werden sie zu Gegnern: Während der chinesische Gigant SAIC daheim in trauter Eintracht Joint-Venture-Modelle von VW und seine eigenen Konstruktionen unter dem Label der aus der Insolvenz übernommenen Traditionsmarke MG vom Band laufen lässt, kommt es hierzulande bald zu einer ungewöhnlichen Konstellation: Denn wenn MG noch vor dem Sommer sein Engagement in Europa verstärkt und unter anderem mit dem rund 34.000 Euro (D) teuren EHS nach Norwegen oder Benelux nun auch in Europa antritt, dann wird der Cousin zum Konkurrenten und der wichtigste Wettbewerber heißt plötzlich VW Tiguan.
Weil sich MG jedoch als Marke für den „elektrischen Lifestyle“ versteht und längst in die Akku-Ära aufgebrochen ist, geben sich die Chinesen mit den britischen Wurzeln mit reinen Verbrennern gar nicht mehr ab und lancieren den EHS ausschließlich als Plug-In: „Der Autofahrer von heute möchte ein elektrifiziertes Fahrzeug, das nachhaltiges Fahren ermöglicht, ohne sich dabei allzu viele Gedanken über die Reichweite machen zu müssen,“ sagt Europa-Chef Matt Lei und sieht im EHS das richtige Modell für den Brückenschlag. Denn wem die knapp 3000 Kilometer Reichweite des rein elektrischen ZS nicht genügen, der als SUV im Format des T-Roc zum zweiten Standbein in der Startaufstellung werden soll, der kann mit dem EHS zumindest 52 Kilometer weit stromern – und danach mit dem Benziner munter weiterfahren.
Mit 4,58 Metern sogar ein paar Zentimeter länger als der Tiguan und bei 2,72 Metern Radstand entsprechend geräumig, ist der Plug-In aus China runde 10.000 Euro günstiger als sein entfernter Verwandter aus Wolfsburg – und deshalb trotzdem nicht viel schlechter. Denn nicht nur das Design ist geschmackvoll, gefällig und genauso wenig polarisierend wie das des Tiguan, sondern auch das Innenleben ist meilenweit entfernt von der Lösemittelduft-geschwängerten Plastik-Tristesse früherer China-Schnäppchen: Das Cockpit schmuck und großflächig digitalisiert, das Touchscreen-Infotainment nicht ganz so ausgefuchst, dafür aber bediensicherer als in Golf & Co, Materialauswahl und Verarbeitung frei von jeder Kritik und die Sitze ebenso ansehnlich wie anschmiegsam – wenn für so wenig Geld so viel geboten wird, muss man sich den riesigen Preisunterschied in Wolfsburg, Köln oder Rüsselsheim erst einmal erklären lassen. Zumal die Chinesen auch an der Ausstattung nicht sparen: Es gibt einen so genannten MG Pilot, der automatisch Abstand und Spur hält und auf der Autobahn nahezu autonomes Fahrern ermöglicht, beim Rangieren helfen eine 360 Grad-Kamera und ein Querverkehrswarner, und natürlich sorgen Klima & Co für reichlich Komfort.
Für den Antrieb kombiniert MG einen 1,5 Liter großen und 162 PS starken Turbo-Benziner mit einer E-Maschine von 90 kW, die über je eine Automatik mit sechs und vier Gängen gemeinsam auf die Vorderachse wirken. Den Stromer speist ein Akku von 16,6 kWh, der im besten Fall für 52 Kilometer reichen soll. Im Heck tief unter dem Wagenboden montiert, fasst der Kofferraum darüber noch immer 448 Liter.
Auf dem Papier kommt der EHS damit auf eine Systemleistung von 258 PS und ist dem Tiguan in der Theorie in jeder Hinsicht voraus. Aber wenn es eine Disziplin gibt, in der der Newcomer die Vorurteile gegenüber Fernost-Importen doch noch bestätigt, dann ist es das Fahrverhalten oder besser die Fahrdynamik. Denn während es an der Federung genauso wenig auszusetzen gibt wie an der Lenkung und den Bremsen, hinterlassen der Stromer und mehr noch der Verbrenner einen schalen Nachgeschmack.
Nicht nur, dass beide Motoren für sich und erst recht im Zusammenspiel ungewöhnlich laut klingen und so an den Nerven des Fahrers zehren. Sondern sie sind obendrein auch noch lahmer, als man es bei so viel vereinter Kraft und einem kollektiven Drehmoment von 370 Nm glauben möchte. Schon die 6,9 Sekunden bis Tempo 100 ziehen sich gewaltig, und das bereits bei 190 km/h wieder Schluss ist, darüber können die Fahrer von Tiguan & Co nur lachen. Und als wäre das noch nicht genug, nimmt sich der EHS auch an der Ladesäule seine Zeit. Weil es an Bord nicht mehr gibt als einen 3,7 kW-Charger, dauert der Boxenstopp in freier Flur stolze 4,5 Stunden.
Trotzdem sind die Platzhirsche in Wolfsburg und mehr noch Importeure wie Toyota, Nissan der Kia gut beraten, die Chinesen diesmal etwas genauer im Blick zu haben. Denn anders als Brilliance und all die anderen China-Kracher aus der ersten Welle sind die Autos von MG keine Lachnummern. Sondern wer sich über diesen Newcomer lustig macht, dem könnte das Lachen womöglich noch im Halse stecken bleiben.