So richtig viel zu lachen haben sie bei McLaren gerade nicht: Die Kassen sind leer, die Zukunft ist ungewiss und ob jetzt BMW oder vielleicht doch Audi bei den Briten einsteigt, steht in den Sternen. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, stockt auch noch die Markteinführung des Artura, der die Marke als erster Plug-In-Hybrid in der Firmengeschichte in eine elektrische Zukunft führen sollte. Doch zumindest Männer wie James Warner haben gut Lachen. Denn er war der Projektleiter für den 765LT Spider, der in diesen Tagen zu Preisen ab 369.000 Euro (D) in den Handel kommt. Als bislang schärfster und schnellster Roadster diesseits des Elva hat er das Zeug zum ultimativen Stimmungsaufheller. Egal, wie düster die Aussichten auch sein mögen: Kaum ist das Dach runter, gehen die Mundwinkel nach oben.
Technisch ist der Spider ein alter Bekannter. Denn als Coupé fährt der Longtail bereits seit Ende 2020 an der Nahtstelle zwischen Strecke und Straße. Doch mit dem Open-Air-Modell haben die Briten den Spaß um eine Dimension erweitert. Zwar wiegt der Spider 49 Kilo mehr als das Coupé, kitzelt dafür aber noch stärker alle Sinne. Schließlich bläst den Insassen so nicht nur der Wind durch die Haare und erreicht jenseits von 180 km/h eine Stärke, der keine Föhnwelle gewachsen ist. Sondern durch das offene Dach flutet auch der V8-Sound ungehindert in die Kabine und treibt den Insassen bei jedem Gasstoß eine Gänsehaut übers Trommelfell. Das ist den Briten so wichtig, dass sie diesen Effekt selbst bei schlechtem Wetter erlebbar machen wollten und deshalb eine versenkbare Heckscheibe eingebaut haben.
Mehr noch als im Coupé fühlt man sich am Steuer des Supersportwagens fast ein bisschen wie Formel 1-Fahrer Lando Norris, wenn man den Tiefflieger über den Circuito de Navarra treibt – selig, schnell und schier unbesiegbar. Nicht dass der 720S als Ausgangsmodell des Longtails irgendein Defizit gehabt hätte. Aber mit dem Extra an Leistung und Leichtigkeit entwickelt der 765LT einen Punch, dass es dem Fahrer den Atem verschlägt und beim Beschleunigen die Augäpfel ganz tief in den Schädel drückt. Was die Mechaniker noch an Luft in der Lunge gelassen haben, als sie den Fahrer mit den Fünfpunkt-Gurten in die engen Karbonschalen gezurrt haben, entweicht deshalb beim Kickdown mit einem letzten Pfffft, bevor die Welt da draußen in den schnellen Vorlauf schaltet: Das maximale Drehmoment von 800 Nm trifft einen wie eine Dampframme, die gegenüber dem 720S um 15 Prozent schnellere Doppelkupplung wechselt die Gänge wie mit dem Vorschlaghammer und während aus den vier Titanrohren am Heck bedrohlich die Flammen schlagen, treibt der 4,0 Liter große V8-Motor die Flunder in 2,8 Sekunden auf Tempo 100. Und nach sieben Sekunden hat der Longtail 200 Sachen auf der Uhr. Kein Wunder, dass man am Ende der Start-Ziel-Geraden 270, 280 und mit etwas Mut sogar 300 km/h erreicht. Theoretisch wären sogar 330 km/h drin, aber das trauen sich hier nur Champions und Lebensmüde.
Auch so muss man kräftig in die Eisen treten, wenn man die Schikane am Ende der Geraden meistern will. Und freut sich darüber, dass McLaren nicht nur die Karbonkarosse umgebaut hat für den 765LT, den Motor getunt und den Innenraum ausgeräumt hat, sondern dass es auch ein strammeres Fahrwerk gibt und vor allem bissigere Bremsen aus dem fulminanten Senna. Denn wer die nächsten Kurven heil überleben will, der muss jetzt eisern Anker werfen und braucht alles, was die Physik zur Verzögerung hergibt – die gigantischen Scheiben aus Karbon und Keramik in den Radhäusern genauso wie den riesigen Flügel, der sich plötzlich senkrecht in den Wind stellt. Dass man dann nach hinten rein gar nichts mehr sieht, ist allerdings ein wenig schade – schließlich ist das die einzige Perspektive, aus denen der McLaren-Fahrer Konkurrenten wie dem Ferrari 488 Pista oder den Lamborghini Aventador SVJ überhaupt zu Gesicht bekommt, während die Bahn vor ihm eigentlich immer frei ist.
Der potente Motor, die agile Aerodynamik und das perfekte Set-Up sind bei diesem Erlebnis aber nur die halbe Miete. Die andere Hälfte zahlt das radikal reduzierte Gewicht, für das McLaren noch einmal 80 Kilo aus dem Auto geschält hat. So zeigt die Waage nun konkurrenzlose 1.278 Kilo. Ja, dazu zählen auch der vergleichsweise simple Verzicht auf Radio oder Klima. Aber es gibt eben auch neue Schmiederäder mit 22 Kilo Gewichtsvorteil, Kotflügel aus Karbon oder einen leichteren Mitteltunnel. Und es gibt zum ersten Mal bei einem Straßenauto der Briten dünnere Scheiben und keinen Teppich mehr im Innenraum.
Wie eigentlich fast immer bei den Sonderserien der Briten ist die auf 765 Exemplare limitierte Kleinserie bereits vollständig auf die Händler verteilt und in den allermeisten Ländern auch schon verkauft. Daheim in Woking werden sie das mit einem lachenden und einem weinenden Auge sehen. Denn auf der einen Seite spült ihnen das mal eben 280 Millionen Euro in die klammen Kassen. Doch auf der anderen Seite fehlen dann auf dem Firmenparkplatz jene Stimmungsaufheller, die sie gerade so gut brauchen können. Doch keine Sorge: Wirklich Trübsal blasen muss man auch in einem 720S Spider nicht.