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McLaren 765LT: Der dritte Streich

Longtail –  bei diesem Namen bekommen Motorsportfans große Augen und reichen Rasern beginnt der Gasfuß zu zucken. Denn seit dem F1 GTR aus den 1990ern steht Longtail für Rennwagen, die kaum zu schlagen sind. Und seit die Briten 2015 die Idee mit dem 675LT zurück in die Serie gebracht haben, ist der Begriff auch ein Synonym für das Maximum an Rennstrecke, das auf der Straße mit den Zulassungsbeschränkungen noch irgendwie zu vereinbaren ist. Jetzt steht mit dem 765LT der dritte dieser Longtails in den Startlöchern und er ist ein ganz besonderes Auto geworden.

Von Thomas Geiger

Nicht nur, weil er mit – nomen est omen – 765 PS der stärkste McLaren aus der so genannten Super Series ist und mit einem Trockengewicht von bestenfalls 1.229 Kilo zugleich der leichteste. Sondern vor allem, weil er am Ende einer Ära steht: Kurz bevor McLaren eine neue Karbon-Architektur einführt und sich mit einem Hybrid auf das Abenteuer Elektrifizierung einlässt, verdichtet sich in diesem nur 765 Mal gebauten und natürlich schon wieder fast ausverkauften Auto noch einmal alles, was die Briten in der ersten Dekade ihrer Rückkehr auf die Straße erreicht haben. Und das ist offenbar eine ganze Menge.

Am Steuer des Supersportwagens fühlt man sich jedenfalls fast ein bisschen wie Formel 1-Champion Lewis Hamilton beim Heimspiel, wenn man den Tiefflieger über den Kurs von Silverstone treibt – selig, schnell und schier unbesiegbar. Nicht dass der 720S als Ausgangsmodell des Longtails irgendein Defizit gehabt hätte. Aber mit dem Extra an Leistung und Leichtigkeit entwickelt der 765LT einen Punch, dass es dem Fahrer den Atem verschlägt und beim Beschleunigen die Augäpfel ganz tief in den Schädel drückt. Was die Mechaniker noch an Luft in der Lunge gelassen haben, als sie den Fahrer mit den Fünfpunkt-Gurten in die engen Karbonschalen gezurrt haben, entweicht deshalb beim Kickdown mit einem letzten „Pfffft“, bevor die Welt da draußen in den schnellen Vorlauf schaltet: Das maximale Drehmoment von 800 Nm trifft einen wie eine Dampframme, die gegenüber dem 720S um 15 Prozent schnellere Doppelkupplung wechselt die Gänge wie mit dem Vorschlaghammer und während aus den vier Titanrohren am Heck bedrohlich die Flammen schlagen, treibt der 4,0 Liter große V8-Motor die Flunder in 2,8 Sekunden auf Tempo 100. Und nach sieben Sekunden hat der Longtail 200 Sachen auf der Uhr. Kein Wunder, dass man am Ende der Start-Ziel-Geraden 270, 280 und mit etwas Mut sogar 300 km/h erreicht. Theoretisch wären sogar 330 km/h drin, aber das trauen sich hier nur Champions und Lebensmüde.

Auch so muss man kräftig in die Eisen treten, wenn man die Schikane am Ende der Geraden meistern will. Und freut sich darüber, dass McLaren nicht nur die Karbonkarosse umgebaut hat für den 765LT, den Motor getunt und den Innenraum ausgeräumt hat, sondern dass es auch ein strammeres Fahrwerk gibt und vor allem bissigere Bremsen aus dem fulminanten Senna. Denn wer die nächsten Kurven heil überleben will, der muss jetzt eisern Anker werfen und braucht alles, was die Physik zur Verzögerung hergibt – die gigantischen Scheiben aus Karbon und Keramik in den Radhäusern genauso wie den riesigen Flügel, der sich plötzlich senkrecht in den Wind stellt. Dass man dann nach hinten rein gar nichts mehr sieht, ist allerdings ein wenig schade – schließlich ist das die einzige Perspektive, aus denen der McLaren-Fahrer Konkurrenten wie den Ferrari 488 Pista oder den Lamborghini Aventador SVJ überhaupt zu Gesicht bekommt, während die Bahn vor ihm eigentlich immer frei ist.

Der potente Motor, die agile Aerodynamik und das perfekte Set-Up sind bei diesem Erlebnis aber nur die halbe Miete. Die andere Hälfte zahlt das radikal reduzierte Gewicht, für das McLaren noch einmal 80 Kilo aus dem Auto geschält hat. Ja, dazu zählen auch der vergleichsweise simple Verzicht auf Radio oder Klima. Aber es gibt eben auch neue Schmiederäder mit 22 Kilo Gewichtsvorteil, Kotflügel aus Karbon oder einen leichteren Mitteltunnel. Und es gibt zum ersten Mal bei einem Straßenauto der Briten dünnere Scheiben und keinen Teppich mehr im Innenraum.

Zwar haben die Ingenieure beim 765LT an jedem Gramm gegeizt. Doch bisweilen haben sie sich auch ein kleines Extra erlaubt. Das beleuchtete Fenster zum Motorraum zum Beispiel ist ein Extra ohne jede Funktion und wiegt stolze 1,5 Kilo. Doch wer 326.560 Euro (D) für so ein Auto ausgibt, der hat schließlich ein Recht darauf, sein Investitionsgut auch mal zu sehen.

Jakob Stantejsky

Freut sich immer, wenn ein Auto ein bisserl anders ist. Lieber zu viel Pfeffer als geschmacklos.

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