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Der neue Mercedes-AMG SL: Es wird wieder Sommer

Natürlich sind A- oder C-Klasse wichtiger für das Volumen, und die S-Klasse wirft mit Abstand den meisten Gewinn ab. Aber wenn es ein Auto bei Mercedes gibt, das den Stern zurecht trägt, dann ist das der neue Mercedes-AMG SL. Denn als Sportwagen geboren, bei der Mille Miglia zum Mythos geworden und über sieben Jahrzehnte zum großen Roadster für eilige Genießer gereift, steht er wie kein anderes Auto aus Stuttgart für Luxus mit jener gewissen Prise Unvernunft, die brav diesseits der Dekadenz aus einem teuren ein begehrenswertes Auto macht. Und zuletzt leider auch für jede Menge Staub. Denn nachdem der SL vier Generationen lang auf dem Thron der Traumwagen geparkt wurde, hat sein Stern mit den beiden letzten Auflagen gewaltig an Glanz verloren. Und der über mehrere Jahre zelebrierte Eiertanz um seine Nachfolge hat die Sache nicht eben besser gemacht. Doch damit ist jetzt Schluss und AMG-Chef Jochen Hermann lenkt den Blick demonstrativ nach vorn. Denn bald wird’s für den SL endlich wieder richtig Sommer und wenn im Frühjahr zu Schätzpreisen ab 170.000 Euro (D) die neue Generation an den Start geht, dann findet der SL zumindest wieder ein bisschen näher zu seinen Wurzeln zurück. 

Und das liegt nicht allein an dem Stoffdach, das endlich wieder die leidige Kunststoffhaube der letzten beiden Generationen ersetzt und sich so knapp über die Kabine spannt, dass man die ohnehin nur als Jackenablage brauchbaren Notsitze in der zweiten Reihe kaum erkennt. Und auch nicht an den Proportionen des neuen Mercedes-AMG SL, die mit langer Haube und kurzem Heck wieder ein wenig knackiger werden. Sondern das liegt vor allem an der Technik unter dem stramm geschnittenen Blechkleid.

Mercedes-AMG SL Heck

Denn auch wenn es für den Komfort einen elektronischen Wankausgleich mit 48 Volt-Technik gibt und für garantierte Traktion in allen Lebenslagen erstmals in einem SL sogar Allradantrieb, fährt sich der SL jetzt wieder wie ein Sportwagen und lässt dabei mächtig die Muskeln spielen. Nicht umsonst hatte diesmal AMG die Entwicklungshoheit. Die haben sie in Affalterbach für eine betont agile Abstimmung genutzt und dem SL obendrein die Allradlenkung aus der S-Klasse spendiert: Mit ihr wirkt der immerhin 4,70 Meter lange und zwei Tonnen schwere Roadster plötzlich so handlich und agil wie der verblichene SLK und nimmt auch enge Kurven im Sturm. Weil gleichzeitig aber auch jede Menge Gene des GT ihn ihm stecken, gibt er sich dabei so giftig und aggressiv, dass man sich mit jedem Meter näher an der Mille Miglia von 1955 wähnt, die mit Stirling Moss’ Fabelsieg auf ewig ins kollektive Gedächtnis der SL-Fahrer eingebrannt ist. 

Mercedes-AMG SL Front

Dabei steht der neue Mercedes-AMG SL einen schweren Spagat – muss er doch nicht nur die SL-Tradition fortschreiben, sondern auch zumindest die offene Variante des AMG GT ersetzen und obendrein auch noch all jene Kunden befriedigen, die mit dem Ende des S-Klasse-Cabrios ihren vornehmen Freisitz verloren haben. Muskeln und Manieren halten sich deshalb eine vornehme Balance und so gierig sich der SL in die Kurven oder die Stoßstange des Vordermanns verbeißt, so souverän lässt er sich auch über große, breite Straßen bewegen, ohne dass er oder mehr noch der Fahrer ihre Würde verlieren. 

Mercedes-AMG SL Instrumente

Damit dieser Spagat gelingt und der SL seine Rolle als Souverän unter der Sonne behält, hat AMG auch bei der Aerodynamik alle Register gezogen. Neben einem halbwegs zugfreien Innenraum gibt es deshalb eine ausgewogene Balance aus maximalem Abtrieb und minimalem Luftwiderstand, die AMG mit zwei aktiven Luftleitelementen erzielt: So thront nicht nur auf dem seifengleich sanft geschwungenen Heckdeckel, unter dem sich immerhin 240 Liter Kofferraum verbergen, ein beweglicher Spoiler, sondern auch unter dem Bug bewegt sich eine Karbon-Lippe passend zum Fahrprofil und saugt den Wagen bei Bedarf so fester an den Asphalt.

Mercedes-AMG SL Felge

Zwar will der neue Roadster dem alten SL wieder etwas näherkommen. Doch lässt Mercedes die Generation Smart-Phone auf dieser Zeitreise nicht zurück. Deshalb prangt auch hinter dem SL-Lenkrad ein großes Display, auf der Mittelkonsole wippt elektrisch ein Tablet für Infotainment & Co. aus dem direkten Sonnenlicht und auch wenn Designchef Gorden Wagener gerne von einem hyper-analogen Erlebnis schwärmt und die wenigen Schalter und Knöpfe entsprechend liebevoll inszeniert, gibt MB UX mit seiner intelligenten Sprachsteuerung und der instinktiven Menüführung mächtig den Ton an. Bei aller Rückbesinnung kommt da ganz bestimmt keine Nostalgie auf. 

Mercedes-AMG SL Lüftung und Soundsystem

Aber anders als bei den Vorgängern eben auch keine Wehmut mehr. Denn auch wenn der neue Mercedes-AMG SL wieder auf vielen Hochzeiten tanzen muss und von den Produktstrategen in einen schwierigen Spagat gezwungen wurde, ist er ein authentischer Roadster geworden, mit dem man gleichermaßen Gleiten und Fighten kann – und ein bisschen Aufschneiden kann man damit natürlich auch. 

Mercedes-AMG SL seitlich

Zwar betont AMG-Chef Hermann, seine Truppe habe die Entwicklungsverantwortung so ernst genommen, dass der SL eben kein Klon des AMG GT ist, sondern eine weitgehend eigenständige Architektur bekommen hat. Doch zumindest die Motoren kennt man natürlich bereits aus anderen AMG-Modellen – selbst wenn sich diesmal – ebenfalls ein charmanter Blick zurück – die Nomenklatur ändert. Denn zum 585 PS starken V8 aus dem Top-Modell SL 63 gibt’s eine zweite Variante mit 476 PS, für die das legendäre Kürzel SL 55 zurückkehrt. Ersterer entwickelt 800 Nm, schafft den Sprint auf Tempo 100 in 3,6 Sekunden und darf bis 315 km/h rennen, zweiterer ist mit 700 Nm, 3,9 Sekunden und 295 km/h kaum weniger vielversprechend. Und beide klingen sie einfach so, wie ein AMG klingen muss und lassen elektrisierte Neuheiten wie den EQS 53 noch weniger verführerisch erscheinen. Da kann man nur hoffen, dass es noch eine Zeit dauert, bis auch der SL unter Strom steht. 

Mercedes-AMG SL Emblem

Aber auch bei dieser Hoffnung hilft der Blick zurück: Denn bei bislang 69 Jahren SL-Historie und sechs Generationen liegt die durchschnittliche Laufzeit bei mehr als elf Jahren, und der R107 von 1971 hat es sogar auf 18 Jahre gebracht. Mit dem Nachfolger können sich die Schwaben deshalb jetzt also erst einmal wieder ein bisschen Zeit lassen.

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