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Mercedes E-Klasse 2016 – Die beste Business-Limousine der Welt?

Motorblock fährt Mercedes E-Klasse Erlkönig

Ihren großen Auftritt hat die Mercedes E-Klasse 2016 auf der Motorshow in Detroit. Zwar noch als Erlkönig getarnt, zeigt sie jetzt schon, dass sie einen neuen Benchmark im Business-Limousinen-Segment setzen wird.

Text: Thomas Geiger
Dass die E-Klasse sich ausgerechnet in Nevada für die Markteinführung im April warmläuft, liegt nicht nur daran, dass man hier Prototypen gewohnt ist und man in Las Vegas selbst wahrscheinlich nicht mal mit einem pinken Ferrari auffallen würde. Sondern Chefingenieur Michael Kelz hat seine Erlkönige auch deshalb um die halbe Welt geflogen, weil die Regelungen für das autonome Fahren im Wüstenstaat freizügiger sind als im Rest der Welt. Und gerade in dieser Disziplin will Mercedes mit der E-Klasse neue Maßstäbe setzen.
Deshalb sitzt Kelz jetzt schon seit Minuten tatenlos am Steuer, während der Drive Pilot die Arbeit macht. Mit einer neuen Generation von Radar- und Kamerasensoren orientiert er sich noch gründlicher an Fahrbahnmarkierungen und am Vordermann, nimmt mittlerweile auch überraschend scharfe Kurven ohne Lenkeingriff, hält sich jetzt auch automatisch ans Tempolimit und wechselt sogar alleine die Spur: Kelz muss nur einmal den Blinker antippen, dann wartet sein Prototyp auf eine freie Lücke, schert aus und zieht wie von selbst am Vordermann vorbei. Und sobald der Ingenieur zum zweiten Mal den Blinker setzt, kehrt die E-Klasse bei nächster Gelegenheit wieder auf ihre Spur zurück. Im Grunde hätte Kelz auf den 300 Meilen von Los Angeles nach Las Vegas deshalb auch ein Buch lesen, schnell noch die Modellplanung für Kombi, Coupé und Cabrio sowie die chinesische Langversion der E-Klasse ausfeilen oder noch mal rechnen können, ob sich die neue E-Klasse preislich tatsächlich auf dem Niveau des Vorgängers bewegen kann wie es der Vertrieb verspricht – fürs Fahren jedenfalls braucht er kaum mehr Aufmerksamkeit.

…die Schwaben haben auch genauso viele Tricks eingebaut, wie man seine Aufmerksamkeit nachweisen kann, ohne tatsächlich ins Lenkrad zu greifen…

Doch dummerweise ist all das, was die E-Klasse mittlerweile kann, selbst in Nevada nicht erlaubt, von Österreich ganz zu schweigen. „Deshalb haben wir noch immer alle möglichen Hinweise im Bordbuch und eine ausgeklügelte Warnstrategie, damit der Fahrer die Hände wieder ans Lenkrad nimmt“, sagt Kelz, während er jetzt schon minutenlang die Arme im Schoß liegen hat. Allerdings haben die Schwaben auch genauso viele Tricks eingebaut, wie man seine Aufmerksamkeit nachweisen kann, ohne tatsächlich ins Lenkrad zu greifen. Denn zumindest die ersten drei, vier Warnungen quittiert man einfach, in dem man über die neuen Blackberry-Tasten auf dem Lenkrad streicht – schon ist der Drive Pilot zufrieden und macht weiter seinen Job.

Außerdem hat Mercedes das System so ausgelegt, dass es jederzeit an die aktuelle Gesetzeslage angepasst werden kann. Dass der Drive Pilot jetzt zum Beispiel von 0 bis 210 km/h funktioniert und beim Stillstand im Stau immerhin drei statt bislang zwei Sekunden aktiv bleibt oder das unterstütze Überholen von 60 bis 200 km/h klappt, das wurde erst vor ein paar Wochen entschieden und nachträglich auf die in der Rechenleistung verdoppelten Chips aufgespielt.

Neben den Assistenzsystemen, die jetzt für Fußgänger nicht nur bremsen, sondern auch ausweichen, in Kreuzungen auf den Querverkehr achten und das Auto mit dem Smartphone als Fernbedienung alleine in die Parklücke rangieren, will Mercedes auch bei der Vernetzung Maßstäbe setzen. Zwar kostet die Navigation im Basismodell unverständlicherweise immer noch Aufpreis. Doch wer alle Kreuze macht, bekommt anstelle der klassischen Tuben nicht nur eine grandiose Bildschirmlandschaft mit zwei 12,3-Zoll-Displays und Grafiken oder Kamerabildern schärfer als auf einem 4K-Fernseher. Sondern es gibt zum ersten Mal auch eine Vernetzung mit anderen Fahrzeugen. Wenn die E-Klasse mit einer Panne liegen bleibt, sendet sie dies über einen Server an alle anderen E-Klassen in der Umgebung und warnt sie so automatisch vor der Gefahrenstelle. Das soll sukzessive ausgebaut, auch für andere Fahrzeuge freigeschaltet und auf weitere Ereignisse von Wetterkapriolen bis hin zu Wanderbaustellen ausgeweitet werden. Und selbst der Zündschlüssel wird überflüssig und kann als elektronische Zugangsberechtigung aufs Handy übertragen werden.

So stolz die Schwaben auf die neuen Assistenzsysteme und die Connectivity sind und so weit sie sich im Cockpit in die Zukunft gewagt haben, so wichtig waren Chefingenieur Kelz auch die klassischen Tugenden des Fahrzeugbaus: „Vor allem bei Fahrkultur und Laufruhe wollten wir einen großen Sprung machen“, sagt der Chefingenieur und obwohl er gerade mit guten 130 km/h über extrem rauen US-Asphalt rollt, kann man ihn dabei sogar im Flüsterton verstehen. Denn dank dicker Dämmung und viel Feinschliff im Windkanal ist die E-Klasse innen nicht lauter als die S-Klasse. Die war auch der Maßstab für den Komfort der neuen Sitze, die zwar schlanker werden aber trotzdem bequemer sind als im Vorgänger und sogar mehr Klima- und Massagefunktionen bieten als das aktuelle Flaggschiff. Der Benz für die Bosse ist zwar größer, hinten etwas geräumiger und schindet vor allem außen mehr Eindruck – aber zumindest in der ersten Reihe schmelzen die Unterschiede zusehends dahin.

Am meisten Mühe hat sich Kelz aber bei der Spritzung der Eigenschaften gemacht, damit die unterschiedlichen Modellvarianten und Fahrprogramme auch einen unterschiedlichen Charakter haben. Sein 333 PS starker E 400 aus der Vorserie schwebt deshalb die meiste Zeit wie auf Wolken über die Highways, bis Kelz irgendwann mal in Sport+ wechselt, die Business-Limousine die Muskeln anspannt, eine härtere Gangart anschlägt und kurz den Bodybuilder raushängen lässt. Spätestens da merkt man dann auch, dass der Wagen 70 Kilo leichter wurde.
Es allen recht zu machen, das ist bei E-Klasse allerdings schwerer als bei jedem anderen Mercedes-Modell, stöhnt Kelz. Denn vom spärlich motorisierten und spartanisch ausgestatteten Taxi-Modell bis hin zum kraftstrotzenden AMG in Lack und Leder muss keine andere Baureihe so eine Bandbreite von Ansprüchen und Ambitionen abdecken.

Entsprechend viel Varianz hat Kelz dafür eingeplant: Er hat nicht nur zwei unterschiedliche Stahlfedern und eine Luftfederung ausgewählt und die Fahrprogramme weiter auseinander gerückt. Sondern es gibt Räder von 16 bis 20 Zoll, Schalt- oder 9-Gang-Automatikgetriebe, Heck oder Allradantrieb und mittelfristig bald ein Dutzend Motorvarianten. Los es geht es zwar erst mal mit einem E 200 mit 184 PS und einem neuen, jetzt aus Aluminium gegossenen und deshalb 40 Kilo leichteren 2,0-Liter-Diesel von 194 PS im E 220d. Doch während es mit dem AMG bis hinauf zu rund 600 PS gehen wird, ist auch nach unten noch viel Luft. So wollen die Schwaben schon vor der Premiere ihre Plug-In-Hybriden auf einen CO2-Wert von um die 100 Gramm kommen, was einem Normverbrauch von 3,9 Litern entspricht.

Einerseits kann Kelz stolz sein auf die vermutlich beste E-Klasse aller Zeiten. Doch der Chefingenieur weiß, dass er sich damit intern nicht nur Freunde macht und musste oft streiten, damit er manche Extras vor der S-Klasse bekommt. Doch der Chef der Baureihe weiß auch, dass er den Vorsprung wohl nicht lange halten wird. Weniger weil BMW im nächsten Jahr einen neuen Fünfer bringt und bei Audi in zwei Jahren der nächste A6 ansteht. Sondern vor allem, weil 2017 auch die S-Klasse ein gründliches Update bekommt. Dann ist die Hackordnung in Stuttgart wieder hergestellt.

Rainer Behounek

War bis 2017 Teil der Motorblock-Redaktion.

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