Pininfarina Battista: Leck‘ mich, Lambo!
Gegen ihn wirken die meisten Ferrari so zahm wie ein Fiat 500 und selbst ein Lamborghini wird zur Lachnummer. Denn wenn im nächsten Frühjahr zu Preisen ab knapp 2,4 Millionen Euro mit reichlich Verspätung endlich der Pininfarina Battista an den Start geht, haben die italienischen Vollgas-Ikonen von heute ausgedient und es drängt ein neues PS-Poster an die Wände der Jugendzimmer zwischen Bozen und Palermo: 1.900 PS, 2300 Nm und weniger als zwei Sekunden von 0 auf 100 km/h machen ihn zum neuen Spitzentrumpf im Autoquartett der Generation E und schmettern den alten Idolen ein lautes „F*** you, Ferrari“ oder „Leck’ mich, Lambo“ entgegen.
In der Theorie sind solche Leistungen bei Elektroautos vergleichsweise leicht darzustellen, räumt Entwicklungschef René Wollmann ein. Nicht umsonst hat jetzt schon Tesla für das Model S mit dem Facelift mehr als 1.000 PS angekündigt. „Doch die Kunst ist es, diese Leistung kontrollierbar zu machen und sie sauber auf die Straße zu bringen.“ Und noch anspruchsvoller ist es, so einen Boliden zu bändigen. Denn wer mit einem Zittern im kleinen Zeh die Welt aus den Angeln heben und 2,5 Tonnen gen Horizont schleudern kann, der sollte schon alle seine Sinne beisammen haben.
Immerhin bietet der Battista eine Beschleunigung, wie man sie am Boden sonst nirgends erleben kann: Wer an dem in der Tür eingelassenen Drehregler für die fünf Fahrmodi von „calma“ auf „furioso“ wechselt und danach den rechten Fuß die vollen 13 Zentimeter Pedalweg aufs Bodenblech hämmert, dem rammen die die vereinten 2.300 Nm der vier radnah montierten Motoren wie ein Katapult in den Rücken. Ohne jedes Geräusch und damit ohne jede Vorwarnung trifft einen die explosive Kraft der Elektromotoren und lässt die Welt in Schlieren verschwimmen: Die Rippen biegen sich über der eingefallenen Lunge, der Mund öffnet sich zu einem stillen Schrei und schmerzhaft knallt der Schädel gegen die Kopfstütze: Nicht nur die Vorstellungskraft ist überfordert von den weniger als zwei Sekunden für den Sprint auf Tempo 100, sondern auch die Physiognomie. Und der Rausch des Rasens reißt danach nicht ab. Sondern nach weniger als sechs Sekunden flimmert die 200er-Marke über den Bildschirm, und der Mut und die Gerade reichen würden, dann stünden nach weiteren sechs Sekunden schon 300 Sachen auf dem Schirm und erst jenseits der 350 wäre Schluss.
Neben dem schieren Schub begeistert die Präzision, mit der sich der Battista fahren lässt, wenn jeder Motor einzeln angesteuert und die Kraft so perfekt an alle vier Räder verteilt wird. Und das ganze quasi in Echtzeit: Es gibt null Reaktionszeit und keinerlei Verzögerung, sondern jedes Kommando wird sofort umgesetzt und ist unmittelbar zu spüren. Enger war das Band zwischen Mensch und Maschine noch nie.
Nur an einem Punkt hakt es: Während der Gleichgewichtssinn auf eine schwere Probe gestellt wird bei dieser Raserei, verkümmern alle anderen Sinne. Denn wo sonst der Sound eines Verbrenners an den Nerven kitzelt und man im Tunnel schnell noch die Fenster öffnet, bevor man das Pedal durchtritt, hört man hier allenfalls ein paar Lüfter und wähnt sich in ein einem Rechner auf Rädern. Und der künstliche Motorsound macht die Sache zumindest beim Prototypen kaum besser.
Und wo wir gerade bei der Kritik sind: Auf den ersten Blick wirkt der Battista weniger wie der Bote einer neuen Zeit, sondern ziemlich gegenwärtig: Zwar fehlen ihm die großen Spoiler anderer Spitzensportler, die brüllend laute Brutalität eines Lamborghini und die Grandezza eines Ferrari. Und dass sie elegante Gran Turismo zeichnen können, das haben die Italiener aus Hausdesigner von Alfa, Ferrari und Maserati zur Genüge bewiesen. Aber wäre da nicht der futuristische Lichtbogen in der Front, würde man den Battista kaum als Stromer erkennen, so erschreckend konventionell ist der Starfighter gezeichnet – selbst die Endrohre einer mächtigen Abgasanlage würde man in den Tiefen des Diffusors noch durchgegen lassen.
Auch innen wähnt man sich im hier und heute: Lack und Leder, wo man nur hinschaut und ansonsten blankes Carbon oder nacktes Metall. Aber wäre da nicht das digitale Triptychon rund ums Lenkrad, hätte der Battista auch innen so gar nichts besonders. Außer natürlich dem Schlüssel, selbst wenn man den zum Fahren gar nicht mehr braucht. Denn allein der ist ein Kunstwerk, das wahrscheinlich teurer ist als ein Fiat 500.
Immerhin ist der Battista ein wenig geräumiger als die meisten anderen Supersportwagen und strengt den Fahrer lange nicht so an. Spätestens im Calma-Mode macht er sich so locker, dass man gar nicht mehr aussteigen möchte. Muss man auch nicht, zumindest nicht so schnell. Denn auch darin unterscheidet sich der Battista von vielen anderen Elektroautos auf der einen und einem Bugatti auf der anderen Seite: Mit der größten bislang in einem Auto eingebauten Batterie wird er zum Dauerläufer. Unter verschärften Bedingungen auf einem Rundkurs soll der Akku mindestens eine Stunde halten, verspricht Wollman, und auf der Straße für über 500 Kilometer.
Dafür haben die Italiener fast 7000 Lithium-Ionen-Zellen zusammengepackt und t-förmig in dem aus Karbon gebackenen Chassis integriert. Das sind am Ende zwar 650 Kilo mehr Gewicht, aber eben auch 120 kWh Kapazität, die selbst Tesla noch nicht kontern kann. Und der Battista fährt damit nicht nur schnell, sondern macht auch an der Ladesäule Tempo: Mit 250 kW Gleichstrom befüllt, sind die ersten 80 Prozent eines leeren Akkus in weniger als 25 Minuten wieder voll.
Ein Erlebnis wie von einem anderen Stern – da hat Wollmann den Mund nicht zu voll genommen. Wenn Autos wie ein Porsche 911 GT3, ein Lamborghini Huracan oder ein McLaren 720S so etwas sind wie Starfighter und man Bugatti Chiron oder McLaren Speedtail mit einer Rakete vergleicht, dann ist der Battista so etwas wie Luke Skywalkers X-Wing unter den Sportwagen. Doch so ganz alleine gebührt der Ruhm den Italienern nicht. Denn so sehr sie auch auf ihrem Aufstieg zum echten Autohersteller beharren, hat Pininfarina den Battista einer Kooperation zu verdanken: Die zwei Heck-Motoren mit jeweils 450 kW und die Frontmaschinen mit noch einmal je 250 kW, die Akkus und das Monocoque unter der Karbonkarosse stammen von Rimac aus Kroatien und tragen dort den Nevera.
Der Begeisterung für den Pininfarina tut das aber keinen Abbruch – und sie ist offenbar ansteckend. Die Gemeinde der reichen Raser jedenfalls scheint längst elektrisiert: Die meisten der maximal 150 geplanten Exemplare sind bereits verkauft.