Es hat zwar ein wenig gedauert, doch so langsam hat die Zeitenwende auch Ford erfasst und in Detroit steigt die Spannung. Denn nach ein paar halbgaren Umbauten und jeder Menge pflichtschuldigen Plug-In-Hybriden bringen die Amis jetzt ihren ersten dezidierten Stromer auf die Straße. Und weil der für die Bilanzen, das Klima und das Image wichtiger kaum sein könnte, setzen sie dabei buchstäblich auf ihr bestes Pferd im Stall und setzen den Mustang unter Strom: Mit Akku statt Achtzylinder wird aus dem legendären Ponycar ein elektrischer Reiter, der den Weg in eine neue Zeit weisen soll. Nach über 50 Jahren vom bulligen Coupé im Geist der aktuellen Mode zum schnittigen SUV mutiert, kommt er bei uns Mitte 2021 in den Handel und sortiert sich mit einem Einstiegspreis von unter 50.000 Euro in der Lücke ein, die zwischen Volumenmodellen wie dem VW ID.4 und Premium-Stromern wie dem BMW iX oder dem Mercedes EQC klafft.
Die Gene des Musclecars bleiben bei diesem großen Galoppsprung aber erhalten: Das gilt für das Design mit der endlos langen Haube, die so einladend ist wie das Dekolleté der Schönheiten am Strand von Malibu, den sexy ausgestellten Kotflügeln am Heck und natürlich den typischen Mustang Rückleuchten mit ihren drei breiten Streifen. Und das gilt für die Performance, verspricht Ted Cannis, der Ford als Projektleiter für die Elektrifizierung mit einem Budget von elf Milliarden Dollar in die neue Zeit beamen soll: Mustang, das heißt fast and fun, sagt Cannis, das war gestern so, das ist heute so und das wird auch morgen so sein. Nicht umsonst lockt er schon mit einer GT-Version, die später im Jahr mit 487 PS, 860 Nm und einem Sprintwert von 3,7 Sekunden so manchem Supersportwagen die Schau stehen will. Vom Showcar mit seinen über 1.400 PS für Driftkünstler wie Ken Block ganz zu schweigen.
Aber schon im Volumenmodell gehen einem bisweilen die Gäule durch: Denn kaum gibt man dem Mustang die Sporen, galoppiert er wild und willig davon. Von den gut und gerne 2,5 Tonnen ist nichts zu spüren, und weil die riesigen Akkus wie bei allen Elektroautos im Wagenboden sitzen und so den Schwerpunkt drücken, nimmt er selbst den Slalom unbeirrt. Wäre es nicht so leise hier an Bord und würde man nicht etwas höher sitzen, man würde sich fast in einem normalen Mustang wähnen.
Volumenmodell, das heißt in diesem Fall „Dualmotor“ mit „Extended Range Akku“ und Allradantrieb oder 351 PS, 580 Nm und 88 kWh oder ein Sprintwert, der mit 5,1 Sekunden besser als bei einem Porsche Macan S, eine Höchstgeschwindigkeit, die mit 180 km/h über ID.3 & Co liegt, und eine WLTP-Reichweite, die bei 540 Kilometern auch Autos vom Schlage eines e-tron aussticht.
Darunter gibt es noch eine Version, die nur einen Motor an der Hinterachse hat, bis 294 PS leistet und dafür bis zu 100 Kilometer weiter kommt. Und einen kleineren Akku für Knauser gibt es auch. Der hat dann 68 kWh und reicht allemal. Erstens, weil er noch immer gut ist für bis zu 430 WLPT-Kilometer. Und zweitens, weil der Mach-E mit 150 kW laden kann und so an der richtigen Säule in gut zehn Minuten den Strom für die nächsten 100 Kilometer zieht.
Doch so eifrig der Mach-E den Mustang von außen zitiert und so sportlich der Stromer auch fährt, ist es mit der Verwandtschaft innen natürlich vorbei. Denn erstens ist der Mach-E bei 4,71 Metern Länge und knapp drei Metern Radstand natürlich viel geräumiger und damit der erste Mustang, in dem man auch hinten bequem sitzen kann, selbst wenn er spürbar weniger Fußraum bietet als etwa der ID.4 und es unter dem flachen Dach lange nicht so luftig zugeht wie bei den Wolfsburger Konkurrenten. Dafür aber hat er nicht nur hinten einen großen Kofferraum, sondern vorne auch 100 Liter „Frunk“, die wie im Heck des kleinen Bruders Puma einen Ablauf haben und deshalb auch als Kühlbox oder für den Transport schmutziger Gegenstände genutzt werden können. Und zweitens machen die Amis beim Interieur einen riesigen Sprung in die richtige Richtung. Selbst wenn der Mach-E eben anderes als Mercedes, Audi oder Jaguar keinen Premium-Anspruch hat, fühlen sich der Mustang solider an als jeder Tesla. Und vor allem sieht der Mach-E innen endlich mal modern aus und bringt ein bisschen frischen Wind in die Ford-Welt. Was so ein 15-Zoll-Display, das Aufrecht vor dem ansonsten gähnend leeren Cockpit thront und nur von einem kleinen Bildschirm hinter dem Lenkrad flankiert wird, so alles ausmacht. Fehlt eigentlich nur das Head-Up-Display, dem sie in Detroit aber eine Absage erteilt haben, weil der Zusatznutzen gering ist und die Kosten dafür hoch sind.
Dafür gibts die üblichen Menüs zur Konfiguration von Laderoute und Klimakomfort und natürlich auch drei unterschiedliche Fahrmodi, die allerdings auch eher nach Mustang klingen als nach Generation E: Denn statt Eco, Komfort und Sport gibt’s „Whisper“, „Enganged“ oder „Unbridle“. Dann reagiert der Mach-E nicht nur zunehmend giftiger auf jeden Stromstoß, sondern fährt auch strammer und lenkt direkter.
Nur die Sache mit der stärkeren Rekuperation ist gemessen an Konkurrenten aus der Akku-Welt eher enttäuschend: Genau wie ID.4 & Co bleibt auch der Mustang nah am gewohnten Fahrgefühl und verschenkt das One-Pedal-Erlebnis: Man muss deshalb schon mit sehr viel Weitblick fahren, wenn man ohne die mechanische Bremse auskommen will.
Und noch etwas ist irgendwie verloren gegangen bei der Entwicklung der elektrischen Plattform: Die Wendigkeit. Wo andere Stromer aus dem Leerraum im Bug Kapital schlagen, deutlich größere Lenkwinkel erlauben und so auf sensationelle Wendekreise kommen, fühlt sich der Mustang an wie jedes konventionelle SUV seiner Größe. Aber das wird sich in Zukunft ändern. Schließlich hat Ford sich nicht umsonst in den Baukasten des VW-Konzerns eingekauft und entwickelt seine nächsten Akku-Autos auf Basis des MEB.
Selbst wenn Ford nicht alle Chancen genutzt hat bei der Elektrifizierung, macht der Mustang einen großen Sprung und wird mit neuer Aufbau, neuem Ambiente und neuem Antrieb zur Zugnummer auf den Weg in die Zukunft und wirft dabei viele Traditionen über Bord. Nur an einem Wert wollen die Amerikaner auch auf der Electric Avenue festhalten: Dem Sound. An dem haben sie beim Mach-E so lange komponiert, dass selbst ihr erstes Akku-Auto verdächtig nach Achtzylinder klingt.