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VW ID.3: Die schwere Last

Dass der VW ID.3 ein Rohrkrepierer wird, ist ausgeschlossen. Zu groß ist das Vertrauen unzähliger Kunden in die Marke und zu gut kommen Elektroautos derzeit an. Doch der Stromer hat dennoch eine ungemein schwere Last zu tragen, denn es steht viel auf dem Spiel.

Text: Jakob Stantejsky

Als erster richtig eigenständiger E-Volkswagen soll, ja muss der ID.3 diese neue Ära als einer der wichtigsten Player einläuten. Als geistiger Nachfolger des Golf kommt man zwar aus ausgezeichnetem Haus, doch liegen die Ansprüche auch in schwindelerregenden Höhen. Nicht nur von Herstellerseite aus – vor allem die Käuferschaft muss gewonnen werden. Seit der Enthüllung des kompakten Elektrikers vor rund einem Jahr wurde viel geschrieben und geredet, zahllose Meinungen rauschten durch den Blätterwald. Jetzt haben wir uns – endlich – selbst ein Bild gemacht.

Oft wurde vielerorts die lieblose Materialauswahl im Interieur als Kritikpunkt Nummer eins ausgemacht, deshalb starten auch wir mit diesem Thema in unseren Test. Ja, es stimmt. Leder und Co. im großen Stil sucht man im ID.3 vergeblich, trotz seines Daseins als Leuchtstern für die elektrische Zukunft wird der Stromer nicht zum Edelvehikel geadelt. Doch er ist eben eher ein Pionier für VW als ein Arrivierter, deshalb wird vornehmlich auf die Funktion gesetzt und dazu zählt eben im weitesten Sinne auch, dass die Buchhaltung aufgehen muss. Prestigeprojekt oder nicht, ein Volumensmodell muss primär Zahlen liefern. Und da die Akkus des ID.3 pro Auto ein Schweinegeld kosten, muss der Rotstift anderweitig angesetzt werden. Denn sonst wird der Wolfsburger nicht der Elektro-Golf für jedermann, sondern eine hochpreisige Randnotiz. Daher dominiert im Cockpit und im Fond hauptsächlich mehr oder oft weniger softes Plastik, das die Designer allerdings mit diversen Linien und Kniffen immerhin sehr ansprechend gestalten. Außerdem kommen viele recycelte Materialien zum Einsatz, hier geht Grün vor Prestige.

Und angeben kann man mit dem ID.3 trotzdem immer noch. Klar, ein fast zu hundert Prozent digitales Cockpit gibt es heutzutage auch schon andernorts. Aber VW hat es sich nicht nehmen lassen, einige besondere Extras einzubauen. So sitzt etwa serienmäßig direkt am unteren Rand der Windschutzscheibe eine dezente LED-Leiste, die den Ladezustand von außen deutlich ersichtlich macht, bei Notbremsgefahr rot aufleuchtet und mit wischenden Lichtern auch als Navi-Wegweiser fungiert. Teilweise macht man aus der Not auch eine Tugend, so gibt es beispielsweise in der Fahrertür nur mehr zwei Fensterheber, die per Knopfdruck allerdings zwischen vorne und hinten umschalten. So spart man teure Knöpfe und verpasst dem Auto noch ein kleines Gadget.

Überhaupt wohnt es sich im ID.3 recht bequem. Dank des superlangen Radstands herrscht innen mehr Beinfreiheit als von außen vermutet und die Elektrokomponenten sind so geschickt verbaut, dass sie nicht stören den Innenraum beschneiden. Unterm Strich fühlt sich der E-VW sich innen schon recht golfig an – nicht allzu extravagant, aber modern und angenehm. Und er leistet sich sowohl optisch als auch bedientechnisch deutlich mehr Augenzwinkern, was der Marke VW sowieso nur gut tun kann.

Deutlich wird die schwere Last, die der Übergang zwischen zwei Welten tragen muss, auch beim Fahren. Denn einerseits haben wir da einen Elektromotor mit 204 PS, der schwungvoll an der Hinterachse reißt. Doch andererseits ist da die Stabilitätskontrolle, die sich weder anschärfen noch deaktivieren lässt, egal wie tief man in die nett gezeichneten Untermenüs eintaucht. Sprich: Der ID.3 kann sehr wohl schnittig bewegt werden, richtig rasant und adrenalinlastig wird es allerdings auch nie. Er ist eben ein Auto für die Masse, da sind solche Sperenzchen auch nicht notwendig, so ungern wir Autojournalisten das auch einsehen mögen.

Der Fahrkomfort passt allerdings wunderbar und fühlt sich trotz des grundlegend anderen Setups ganz nach VW an – mit einem gewissen, wohltuenden Twist eben. Und die Fahrt darf auch durchaus eine ganze Weile andauern. Denn schon die von uns getestete 58 kW-Batterie sorgt in der Praxis für rund 400 Kilometer Reichweite, der große 77er-Brocken wuchtet den ID.3 gar über 500 Kilometer weit – laut WLTP. Da geht schon ordentlich was weiter, auch ganz ohne Zwischenstopp.

Und was bringt all das Balancieren auf dem Rotstift jetzt schlussendlich? Die getestete, reichhaltig ausgestatte 1st Edition schlägt nach Abzug des E-Bonuses mit 34.090 Euro zu Buche. Kein Superduperschnäppchen natürlich, aber für ein Elektroauto mit richtig ordentlicher Reichweite ein wirklich guter Preis. Wer sein grünes Gewissen in Lack und Leder wälzen will, muss eher zu Audi oder Jaguar greifen. Doch der VW ID.3 könnte seiner großen Verantwortung gerecht werden und Elektromobilität ganz breit aufstellen. Dabei erfindet er das Rad zwar nicht neu, doch gibt ihm einen entscheidenden Anstoß in die richtige Richtung.

Jakob Stantejsky

Freut sich immer, wenn ein Auto ein bisserl anders ist. Lieber zu viel Pfeffer als geschmacklos.

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