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VW ID.4: Des Tiguans Thronfolger

Der ID.3 mag für VW der Leuchtturm sein für den Aufbruch in eine neue Zeit, doch die größte Strahlkraft versprechen sie sich in Wolfsburg vom Niedersachsen vom ID.4. Denn wenn die Niedersachsen zum Jahresende zu Preisen ab zunächst 48.691 und dann später ab 36.950 Euro (beides D) das zweite Modell aus dem modularen Elektrifizierungsbaukasten ausliefern, ist das nicht nur ihr erster kompakter Geländewagen aus der Akku-Ära und damit zugeschnitten auf das wichtigste Segment des Marktes, sondern zugleich ihr erstes Weltauto für die Steckdose. Denn während es den ID.3 nur in Europa gibt, wird sein großer Bruder auch in China und den USA gebaut und hat damit genau wie der Tiguan in der alten Welt das Zeug zum meistverkauften Modell der Marke. Zugleich ist der ID.4 das erste Modell, mit dem die Niedersachsen direkt und nicht über ihre Töchter Audi oder Porsche auf Tesla zielen: Mit dem ID.4 wollen sie dem Model Y ans Leder und sich gar vollends zum Big Player in der Batterie-Ära aufschwingen. 

Dabei setzten sie in Wolfsburg auf ein Paket, das auf den ersten Blick gut passt: Das Design ist für einen VW erfrischend, aber keineswegs erschreckend. Und das Format wurde gegenüber dem ID.3 bei einem mit 2,77 Metern identischen Radstand in Länge und Breite noch einmal ausgedehnt. Wer rund 7.000 Euro mehr bezahlt als für den ID.3, bekommt deshalb stolze 4,58 Meter Auto und ungeheuer viel Raum. Denn innen ist der ID.4, der platzsparenden MEB-Architektur sei Dank, ähnlich geräumig wie ein Touareg und glänzt obendrein mit 543 Litern Kofferraum sowie der der Option auf eine Anhängerkupplung mit 1.200 Kilo Zuglast. Ein Tiguan wirkt dagegen fast schon beengt.

Auch das Tesla Model Y sieht gegen den ID.4 nicht ganz so gut aus: So ist der elektrische Hoffnungsträger aus Wolfsburg zwar fast 20 Zentimeter kürzer als der kommende Konkurrent aus der deutschen Giga-Factory in Grünheide, bietet aber einen sechs Zentimeter längeren Innenraum. Und während Elon Musk sogar noch eine dritte Reihe in den Tesla quetschen will, können Hinterbänkler im VW lässig die Beine übereinanderschlagen. 

Zwar ist das Ambiente des ID.4 noch immer eine Spur zu digital, weil die Niedersachsen drei, vier Knöpfe zu viel eingespart und sich zu sehr auf ihre schon beim Golf arg kritisierten Touchscreens, Slider und Sensorinseln verlassen. Und anders als immer mal wieder vermutet, prangt der Wählhebel noch immer an dem kleinen Display hinter dem Lenkrad und erinnert auch weiterhin an den BMW i3. Aber dafür wirkt der neue Wagen endlich so wertig, wie man es aus Wolfsburg erwartet: Wo der ID.3 noch beleidigend viel Hartplastik zeigt und jeden Dacia nobel erscheinen lässt, gibt’s im ID.4 deutlich mehr Lack und Leder und sogar ein paar hübsche Zierelemente.

Für ein Elektroauto ungewöhnlich breit ist die Modellpalette: Es gibt schon zum Start vier Versionen eines an der Hinterachse montierten Motors mit 109, 125, 129 oder 150 kW  und zwei statt wie beim technisch sehr ähnlichen Skoda Enyaq drei Akkus: Der kleine, nur im Basismodell „Pure“ erhältliche hat brutto eine Kapazität von 55 kWh und kommt mit 52 nutzbaren kWh im WLTP-Zyklus 360 Kilometer weit. Mit dem großen Akku schafft der ID.4 bei 77 kWh (brutto 82 kWh) bis zu 520 Kilometer, bevor geladen werden muss. Das geht bei der Basisversion mit 100 und ansonsten mit 125 kW, so dass man in 30 Minuten im besten Fall den Strom für 300 weitere Kilometer ziehen kann. Später kommt unter anderem noch ein sportlicher ID.4, für den aktuell das Kürzel GTX gehandelt wird. Er hat einen zweiten Motor an der Vorderachse und kommt so auf 225 kW. Außerdem bietet er dann nicht nur als einziger ID.4 einen Allradantrieb, sondern darf auch 180 km/h fahren, während für den Rest der Flotte bei 160 Sachen Schluss ist. Außerdem haben die Niedersachsen bereits einen ID.5 in petto, der dann ein schräges Heck bekommt. Während sie in der alten Welt den Trend zum SUV-Coupé verschlafen haben, wollen die Niedersachsen diesmal vorne dabei sein. 

Er ist zwar wie alle Elektroautos flüsterleise und weil die Räder bei den MEB-Autos weiter einschlagen können als bei vielen Konkurrenten ohne designierte E-Plattform ist er obendrein ungeheuer handlich. Doch ansonsten fährt der ID.4 wie jeder VW: Er so kompromissbereit und komfortabel, so präzise und berechenbar abgestimmt, dass sich wirklich jeder gut aufgehoben fühlen wird. Die Progressivlenkung sorgt für ein bisschen Spaß in den Kurven, die adaptiven Dämpfer kaschieren das größere Gewicht. Dass man auf den Batterien im Boden ein wenig höher sitzt, fäll bei einem SUV nicht auf. Und anders als bei E-Autos wie dem Nissan Leaf oder dem DS3 ist das Fahrgefühl alles andere als synthetisch. Auch der Elan passt: Bei einem maximalen Drehmoment von 310 Nm liegt der Sprintwert bei 8,5 Sekunden und damit in der Schnittmenge von Stromern und Sprittern – nur das Model Y wird dem ID.4 in jeder Version stolz seine Rücklichter zeigen. 

Mit dem Ziel, ein für Umsteiger vom Verbrenner möglichst vertrautes Fahrgefühl zu erreichen, haben die Ingenieure aber eine Eigenheit der E-Autos verschenkt: Das so genannte One-Pedal-Feeling. Wo andere Stromer mit der zum Generator umgepolten E-Maschine schon bis zum Stillstand verzögern, wenn man nur den Fuß lupft, rollt der ID.4 im Standard-Modus wie im Leerlauf kilometerweit aus. Und selbst wenn man von „D“ auf „B“ wechselt, braucht man sehr viel Weitblick, um ohne Wechsel auf das Bremspedal rechtzeitig zum Stehen zu kommen. 

So, wie sich der Tiguan-Kunde beim Fahren nicht umstellen muss, kennt er im ID.4 auch keine Einschränkungen bei der Streckenauswahl: In der Stadt handlich, auf der Autobahn gelassen und auf der Landstraße ziemlich engagiert, wagt sich der ID.4 auch ins Abseits. Klaglos und unbeirrt rollt er auch über Schotterpisten oder Waldwege und traut sich sogar mal in den Schlamm. Nein, nicht jedes Elektroauto ist eine saubere Sache!

Dabei betreibt VW ansonsten für die Weiße Weste einen großen Aufwand und liefert den ID.4 deshalb CO2-Neutral aus: Alles, was sich in der ohnehin schon optimierten Produktion in Zwickau nicht an Kohlendioxidausstoß vermeiden lässt, kompensieren die Niedersachsen mit Offset-Programmen. Was nach der Auslieferung passiert, ist zwar Sache des Kunden, doch stellt VW auch dafür grünen Strom bereit. 

Jakob Stantejsky

Freut sich immer, wenn ein Auto ein bisserl anders ist. Lieber zu viel Pfeffer als geschmacklos.

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