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BMW i7: Altbekanntes, aber neu

Ein direktes Lenkgefühl, eine stramme Anbindung an die Straße, ein angenehmes Kribbeln in jeder Kurve und beim Kickdown Schub ohne Ende. Auf der Landstraße fühlt sich dieses Auto an wie ein etwas aus dem Leim gegangener Dreier. Und keine fünf Minuten später auf dem Highway herrscht trotz der üppigen Kraft eine vornehme Ruhe. Die mit schallschluckendem Schaum gefüllten Reifen und die Luftfederung betten Fahrer und Passagiere wie auf Wolken. Und die üppigen Platzverhältnisse sowie die wohlige Atmosphäre mit weichen Polstern, noblen Oberflächen und einem Heer elektrischer Helfer, die jetzt sogar die Türen öffnen und schließen, tun ihr übriges für das erhabene Gefühl standesgemäßer Fortbewegung auf der linken Spur. Bei der ersten Begegnung mit dem neuen Siebener ist alles so, wie man es von einer bayerischen Luxuslimousine erwarten darf, seitdem BMW vor 45 Jahren, sechs Generationen und mehr als zwei Millionen Verkäufen mit dem ersten Siebener die Spitzengruppe der Autobauer aufgestiegen ist. Doch der erste Eindruck täuscht. Denn wenn kurz vor dem Jahresende zu Preisen ab 122.800 Euro der siebte Siebener an den Start geht, ist plötzlich nichts mehr wie es war.

Zum einen, weil der Siebener dann erstmals auch voll elektrisch fährt und dafür das Kürzel i7 trägt: Zum Start gibt es den Stromer im Smoking als i7 xDrive60 für 138.900 Euro mit zwei Motoren von zusammen 544 PS, einem Akku von netto 101,7 kWh für bis zu 625 Kilometer Aktionsradius und Fahrleistungen, die den Verbrennern mit einem Sprintwert von 4,9 Sekunden und einem Spitzentempo von 240 km/h kaum nachstehen. Und auch die 200 kW Ladeleistung sind zwar nur gehobener Durchschnitt, lassen aber trotzdem binnen 10 Minuten den Strom für 110 Kilometer fließen. 

Und zum andern, weil im neuen Flaggschiff die aktuelle Designstrategie der Bayern kumuliert und hart mit den etablierten Geschmacksmustern kollidiert. Nicht nur, dass der in Höhe und Breite um jeweils rund fünf Zentimeter gewachsene BMW in etwa so filigran wirkt wie ein Backstein und auf der ersten Blick so gar nichts hat von der aerodynamischen Effizienz eines Mercedes EQS, eines Tesla Model S oder eines Lucid Air. Nein, er trägt zudem ein Gesicht, in dem die typische BMW-Niere gar völlig zur Karikatur wird: Riesig groß und von LED-Leisten eingefasst, schreit der Siebener so förmlich nach Aufmerksamkeit und lässt jede Dezenz hinter sich. Während die Luxustochter Rolls-Royce von der Post-Opulenz schwärmt, trägt die Mutter da nochmal besonders dick auf und stiehlt so etwa dem Ghost mühelos die Schau. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, gibt’s dazu noch ein Vier-Augen-Gesicht mit viel zu kleinen LED-Scheinwerfern, die zu Schlitzen verengt fast ängstlich in die Welt starren und deshalb so gar nicht zur breiten Brust des BMW passen wollen. Doch BMW kann über die Kritik der konservativen Europäer leicht lachen: Während sich auf unseren Kontinent nicht einmal zehn Prozent aller Siebener verirren, gehen knapp die Hälfte nach China, wo die Kunden kaum mehr als halb so alt sind und mehr Mut zur Mode haben. 

Auch innen müssen sich die bisweilen ein wenig biederen Bayern-Kunden auf eine neue Welt einstellen. Denn wie schon im iX biegt sich hinter dem Lenkrad eine schlanke Bildschirmwand bis über der Mittelkonsole, der Schaltknauf wird zum kleinen Wippe auf dem hohen Mitteltunnel und statt Lack und Leder gibt es – zumindest auf Wunsch – Wolle von biologisch gehaltenen Merino-Schafen, vegane Sitzbezüge und bunt hinterleuchtete Kristallglas-Imitationen auf den Konsolen. 

Schalter findet man dagegen kaum mehr, sondern bedient wird der Siebener per Sprache, über Sensorfelder und Touchscreens, die groß wie ein Smartphone hinten sogar in den Türen installiert sind. Wem das noch nicht Mäusekino genug ist, der kann von der Decke einen formatfüllenden Bildschirm herunterfahren, den die Bayern „Theater Screen“ nennen und als Neuinterpretation des Autokinos feiern. Denn größer war der Filmgenuss auf Rädern noch nie, jubeln die Entwickler mit Blick auf das 31-Zoll-Display. Und aktueller auch nicht. Nicht umsonst haben sie bei BMW erstmals im Auto einen Amazon Firestick integriert und können so alles streamen, was das Internet an Infotainment hergibt. Ach ja, und weil der Siebener vor allem in China punkten soll, lassen sich mit der Innenraumkamera sogar Selfies schießen, die automatisch aufs Smartphone der Kunden übertragen werden.

Während das Anwendungen vor allem für Asien sind, wird es wohl globalen Konsens für das erweiterte Funktionsspektrum der vielen Assistenzsysteme geben, die binnen ein, zwei Jahren auch autonomes Fahren nach Level 3 ermöglichen sollen. Wie heute schon in der S-Klasse und bald im EQS kann und vor allem darf dann auch der Siebener-Fahrer am Steuer unter bestimmten Umständen die Hände in den Schoß legen oder sogar zum Smartphone greifen. Immerhin fährt der Siebener schon jetzt automatisch und auf gelernten Wegen in die Parklücke, was bei seinem stattlichen Format eine große Hilfe ist. 

Das ist insbesondere deshalb wichtig, weil es den Luxusliner nur noch in der Langversion gibt: Da die kurzen Varianten ohnehin den Europäern vorbehalten waren und so im Modellmix nur einen verschwinden geringen Teil ausgemacht haben, hat BMW sie kurzerhand gestrichen und die lange stattdessen noch einmal gestreckt: Deshalb reckt sich der Radstand des Siebeners nun auf 3,22 und die Länge auf fast 5,40 Meter. Kein Wunder, dass die Platzverhältnisse auch dann noch fürstlich sind, wenn die Plattform nicht so platzoptimiert ist wie bei reinen Elektro-Konstruktionen. 

Denen ist der Siebener dafür im Komfort haushoch überlegen – und bietet ein paar Extras, von der die Generation E bislang nur träumen konnte: Die Loungeliegen im Fond zum Beispiel oder die Türen, die sich jetzt elektrisch öffnen und schließen lassen. Das klingt nobel, ist aber im Alltag eher nervig, weil es quälend lange dauert und die Sensoren so bedacht darauf sind, jedweden Fremdkontakt zu vermeiden, dass es die meiste Zeit doch nicht funktioniert. 

So polarisierend der Auftritt und die Ausstattung des Siebeners sein mögen, so viel Lob ernten die Bayern für den Antrieb. Denn als i7 ist der Siebener fit für die neue Zeit und als Verbrenner lässt er die Bestandskunden ebenso wenig im Stich. Im Gegenteil: Es wird für Europa nochmal einen Sechszylinder-Diesel geben, der am unteren Preisband als 740d solide 299 PS leistet und mit 6,1 Litern vorbildlich sparsam fährt. Für die Petrolheads in den USA und China bauen die Bayern einen klassischen V8-Benziner und einen Reihensechszylinder. Und für alle, die sich nicht zwischen alter und neuer Welt entscheiden können oder in Europa zu Hause sind, gibt es gleich zwei Plug-In-Hybriden mit jeweils knapp 100 Kilometern elektrischer Reichweite und einem fast schon lachhaften Normverbrauch von 1,0 Litern: Den 489 PS starken 750e (ab 121.200 Euro) und den M760e mit 571 PS (144.500 Euro), der zugleich den V12 ersetzen soll, für den selbst die notorischen Optimisten in München offenbar keine Zukunft mehr sehen.

Und falls in der neuen Welt, in der Bildschirmdiagonalen wichtiger sind als Hubraumgrößen und Zylinder-Zahlen, noch irgend jemanden interessiert, ist der Siebener auch beim Fahren über jeden Zweifel erhaben: Egal ob mit Sprit oder mit Strom fühlt er sich bei der ersten Ausfahrt engagierter an als die anderen deutschen Oberklasse-Limousinen, der Fahrer fühlt sich enger mit der Fahrbahn verbunden und ist dem Geschehen nicht so entrückt wie bei EQS & Co. Mag ja sein, dass alles anders wird bei BMW, doch zumindest der Disziplin „Aus Freude am Fahren“ bleibt dank der Luftfederung für beide Achsen, einer Hinterradlenkung, adaptiven Dämpfern und einem elektronischem Wankausgleich alles beim Alten – außer bei Bleifuß. Denn während die Verbrenner wie eh und je erst bei 250 Sachen eingebremst werden, zieht die Elektronik dem i7 schon bei 240 km/h den Stecker. Aber das wird allenfalls die Kunden in Deutschland stören – und das sind bei Siebener eben so wenige, dass BMW auf die ohnehin keine großen Rücksichten mehr nimmt.

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