Ein fettes SUV mit fettem Achtzylinder: Der BMW X5 M vereint so ziemlich alles in sich, was es an Kritik am Automobil so gibt.
Wien Neubau, an einem sonnigen Spätersommer-Morgen. Einsteigen, Motor starten, den von hinten kommenden VW Golf noch vorbei lassen, dann ausparken und ab Richtung Büro. Zebrastreifen, eine Frau will queren. Dem Golf-Fahrer ist das egal, mir nicht. Ich werde langsamer, gebe höflich ein Handzeichen. Aber meine Freundlichkeit wird mit einem Blick zurückgewiesen, der so was wie „Arschloch, du hast sicher einen kleinen Kolben,“ ausdrückt. Ich will ihr sagen, dass ich bloß Motorredakteur bin, mir den Wagen bestenfalls im Tausch für beide Nieren leisten könnte und dass es genau genommen neun Kolben sind, die sie grad vor sich hat, und zumindest acht davon gar nicht so klein sind. Aber vermittle das alles einmal einer fremden Person mit nur einem Blick!
Du kannst der freundlichste, zuvorkommendste Mensch der Welt sein – im BMW X5 M bist du immer Arschloch, zumindest in Wien 7 (jenseits des Gürtels dafür: King). Warum sich dann also überhaupt Mühe machen? Angst vorm Fegefeuer? Ob eine oder 625 Sünden: auch schon egal. Also Klappenauspuff auf, Fenster auf, Arm raus, und dem Donnergrollen lauschen, das durch die Häuserschlucht schallt.
Ein musikalischer Genuss, der das rund 4.500 Euro teure „Bowers & Wilkins Diamond Surround Sound System“, so schön der Name der Anlage auch sein mag, obsolet macht. Künstler sind hier die bereits angesprochenen acht Kolben, die durch insgesamt 4,4 Liter Hubraum rauschen. Der V8-Biturbo ist sowas wie der Endgegner unter den BMW-Motoren. Keiner ist stärker, keiner ist größer, zumindest in Europa, und keiner schiebt die mehr als zwei Tonnen eines X5 so souverän nach vorne. Souverän, wenn ein Viertel des Gaspedalweges genutzt wird. Komplett gestört, wenn Vollstoff.
Dann nämlich erhält eine 625 Pferdestarke Reitstaffel den Marschbefehl, der dann auch bei 6.000 Umdrehungen ausgeführt wird. Bis vor kurzem war ja jene 625 PS starke Ausbaustufe des V8-Biturbo, zu haben in sämtlichen M Competition-Modellen ab dem 5er, das absolute Maximum an Leistung in einem Serien-BMW. Für den M5 CS wurde der 4,4-Liter-V8 jetzt auf 635 PS hochgezüchtet. Wir könnten aber nicht behaupten, dass uns genau noch 10 PS gefehlt hätten.
Überhaupt fehlt einem im BMW X5 M Competition eigentlich nix – mal abgesehen von Empathie gegenüber FFF-Aktivisten. Denen sei gesagt: Die Motorabstimmung des Achtzylinders lässt sich eh auf „Efficient“ stellen, falls einem mal nach einem Verbrauch von unter 16 Litern ist. Apropos: Im BMW X5 M Competition gibt’s keine simplen Fahrmodi, man muss sich seine fahrdynamische Konfiguration selbst zusammenstellen, wofür ein Magister-Abschluss kein Nachteil ist.
So kann der Motor nicht nur „Efficient“ sein (okay, kann er nie), sondern auch sportlich oder extra sportlich. Das Fahrwerk lässt sich zwischen „Comfort“, „Sport“ und „Sport Plus“ kalibrieren, die Lenkung ist entweder schwergängig und direkt oder noch schwergängiger und hochnervös und selbst die Bremse kann man in zwei Stufen abstimmen.
Rechnet man noch die dreistufige Schaltcharakteristik der großartigen Achtgang-Automatik, den Klappenauspuff sowie die Abstimmung des Allradantriebs hinzu, kommt man auf exakt 432 mögliche Kombinationen. Falls wir richtig gerechnet haben, was aber echt nicht sein muss. Und weil das ja noch nicht kompliziert genug ist, gibt’s auch noch drei verschiedene Modi (Road, Sport, Track), die Einfluss auf die digitalen Anzeigen und die Assistenten haben.
Dass BMW der Spagat zwischen einer Vielzahl von individuellen Einstellungsmöglichkeiten und intuitiver Bedienung gelingt, liegt vor allem daran, dass die Münchner analogen Knöpfen treu bleiben. Die Armada an Assistenzsystemen lässt sich beispielsweise mit nur einem Knopfdruck außer Gefecht setzen. Und die 432 Kombinationen bändigen die zwei roten M-Tasten am fetten Lenkrad. Dort untergebracht sind nämlich zwei der 432 Konfigurationen, die man selbst voreinstellen kann.
Und trotzdem sieht der Innenraum des BMW X5 M alles andere als altbacken aus. Klar, ganz so futuristisch, wie bei der neuen Mercedes S- und C-Klasse präsentiert sich dieser nicht, was man aber getrost als „Geschmacksache“ abstempeln kann. Nicht jeder steht auf IMAX im Auto, manche präferieren schön integrierte, hochwertige Knöpfe und Schalter in Kombination mit Kinosaal 2.
Außerdem gehört das Interieur des BMW X5 M Competition zu den wenigen, denen Carbon-Optik gut steht – zumindest in der feinen Volllederausstattung „Merino Silverstone/Schwarz“. Makellos ist nicht nur Materialauswahl, sondern auch die Verarbeitung. Fair enough: Darf man sich bei einem Einstiegspreis von 163.800 Euro (ohne Competition-Paket) erwarten.
Was man sich auch erwarten darf: ein großartiges Fahrgefühl – und zwar vor allem auf sportlicher Ebene, was sich bei einem über 2,3 Tonnen schweren SUV echt komisch anhört. Ist aber tatsächlich so und zieht auch den Komfort in Mitleidenschaft. X5 hin oder her: Viel vom einst alles wegglättenden Fahrwerk ist nicht mehr übrig geblieben, auch auf der entschärftesten Stufe sind die Dämpfer noch ordentlich straff. Die fetten 22-Zöller hinten und 21-Zöller vorne sehen zwar höllisch gut aus, machen das Performance-SUV aber halt auch nicht bequemer.
Das muss aber so sein. Ist ja auch ein M, kein M50i und schon gar kein 30e mit irgend so einem M Paket-Dings. Und wie ein M fährt sich dieser X5 auch. Zwar lässt sich, anders als bei den niedrigeren Sportmodellen von BMW, wie etwa dem M8, der Allradantrieb nicht komplett auf Hinterrad- umstellen, ist aber auch so schon erschreckend heckbetont. Quer geht, zumindest theoretisch. Dafür braucht man aber verdammt viel Platz oder verdammt schwere Cojones.
Doch auch so, bei der „normalen“ Messer-zwischen-den-Zähnen“-Fahrerei, ist die Heckbetonung des Antriebs allgegenwärtig. Haben die Bandscheiben das straffe Fahrwerk eben noch verteufelt, so erfreut man sich jetzt der Härte, die den X5 M Competition stoisch in der Spur hält. Wie sich die Vorderräder in den Asphalt beißen, ist schon ganz großes Kino. Fast schon IMAX.
Stichwort Vorderräder: Was die so treiben, außer sich halt in den Asphalt beißen, könnte die Lenkung vielleicht ein wenig stärker vermitteln. Aber, wie verwirrte Schlagersänger sagen würden: egaaaaaal. Summa summarum ist der BMW X5 M Competition komplett gestört, völlig absurd, absolut angsteinflößend, irgendwie auch leider geil und eine querdynamische Offenbarung – zumindest für ein 2,3 Tonnen schweres, 1,75 Meter hohes und 4,94 Meter langes SUV.
Wenn man sich diese Eckdaten auf der Zunge zergehen lässt, drängt sich freilich wieder einmal die Sinnfrage auf: Muss das sein? Ist der BMW X5 M Competition nicht nur beeindruckend, sondern vielleicht auch beeindruckend sinnlos? Man kann das diskutieren. Oder man lässt sich mit einem Lächeln im Gesicht von den 625 PS und 750 Nm noch einmal in 3,8 Sekunden von 0 auf 100 km/h ballern. Weil: Genug Zeit zum Nachdenken haben wir auf unserem Logenplatz in der Hölle sowieso. Der ist im Testwagen-Preis von 212.158 freundlicherweise inkludiert.