Der Untergang des Zwölfzylinders
Souverän, stark und wahlweise flüsterleise oder furios – Mit seiner unerreichten Mischung aus Leistung und Laufkultur gilt der Zwölfzylinder als die Krönung im Motorenbau, doch seine Tage sind gezählt. Denn noch bevor der Verbrenner so ganz ausgemustert wird, geht es jetzt schon mal dem glorreichen Dutzend an den Kragen. Zu klein sind die Stückzahlen und zu groß der CO2-Beitrag, als dass sich die Hersteller diesen Luxus weiter leisten wollen – selbst wenn sie an den großen Motoren gut verdienen.
Neuheiten wie ein elektrischer Spectre bei der Zwölfzylinder-Marke Rolls-Royce oder ein Plug-In-Hybrid bei der bislang ebenfalls auf V12-Motoren abonnierten Mercedes-Schwester Maybach waren schon keine guten Zeichen, und jetzt macht Bentley den nächsten Schritt. Denn der mittlerweile größte Zwölfzylinder-Produzent der Welt kündigt das Ende jenes legendären W12-Triebwerks an, das neben Continental, Flying Spur und Bentayga auch Autos wie den Audi A8 und zwischenzeitlich sogar VW-Modelle wie den Phaeton oder den Touareg in den Adelsstand erhoben hat und so in 20 Jahren auf mehr als 100.000 Einheiten kam. So viele Zwölfzylinder hat kein anderer Hersteller gebaut – selbst wenn er sich dafür wie Mercedes über 100 Jahre Zeit lassen konnte.
Allerdings verabschiedet sich des sechs Liter große Kraftkunstwerk aus Crewe nicht still und leise, sondern Bentley spendiert ihm ein furioses Finale: Für die 18 Exemplare des Batur haben die Briten die Leistung auf bislang unerreichte 750 PS angehoben und so den stärksten W12 ihrer Historie gebaut. Während diese Kleinserie allerdings schon vor dem Start vergriffen war, kann man die klassische Ausbaustufe mit 659 PS in kleiner Zahl noch bis zum Jahresende in Continental und Flying Spur bestellen, trösten die Briten und bitten ein wenig um Beeilung. Denn auch wenn es Firmenchef Adrian Hallmark an der Zeit findet, das nächste Kapitel aufzuschlagen und nachhaltig elektrisch zu werden, rechnen sie mit einem sprunghaften Anstieg der Nachfrage für den letzten seiner Art.
Oder mit einer Abwanderung zur Konkurrenz. Denn auch wenn Bentley als weltgrößter Zwölfzylinder-Hersteller besonders exponiert ist, markiert das Ende in Crewe (noch) nicht das Ende des Motorenprinzips. Sondern aktuell gibt es auch bei Ferrari und bei Aston Martin noch einen V12, genau wie bei Rolls-Royce und bei Maybach. Und wer Pagani als vollwertigen Hersteller zählt, darf die italienische Manufaktur nicht vergessen – selbst wenn die nur abgelegte AMG-Motoren aufträgt. Doch BMW hat den Zwölfzylinder bereits ausgemustert und Mercedes hat ihn zumindest aus dem originären Modellprogramm gestrichen, und wenn man mit den Entwicklern und Entscheidern spricht, geben sie ihm längst keinen langen Bestandsschutz mehr.
Angesichts der kleinen Stückzahlen ist der Einfluss aufs Weltklima zwar beschränkt. Doch dafür geht mit den großen Motoren eine Epoche zu Ende, klagt Designprofessor und Automobilphilosoph Paolo Tumminelli: „Zugegeben, Elektromotoren sind leichter und leistungsfähiger. Dafür sind Verbrennungsmotoren mit die raffinierteste Konstruktion, die sich der Mensch je ausdenken konnte“, ist der Kölner Experte überzeugt: „Per Hand einen Viertakter zu zeichnen und zu bauen: Dafür reicht Fleiß nicht aus, man braucht Genie.“ Es werde zurecht von Motor-Kunst gesprochen, und je komplexer der Motor sei, desto höher sei auch die Kunst, so Tumminelli weiter: So wie heute kein Mensch mehr eine Sixtinische Kapelle bemalen oder eine 9. Sinfonie komponieren könne, so werde dann künftig auch kein Mensch mehr einen Zwölfzylinder produzieren können. „Für die Umwelt mag Downsizing gut sein. Für unsere Zivilisation ist die Abschaffung der Vielzylinder als ultimatives Monument des Maschinenzeitalters und Sinnbild des ingeninieusen Genies ein tragischer Verlust.“
So sehr die einen um den Untergang des motorischen Abendlandes fürchten, so gelassen sehen andere die Entwicklung. „Einen vielzylindrigen und daher meistens großvolumigen normalen Gebrauchtwagen möchte ich derzeit zwar lieber nicht verkaufen, aber im Old- und Youngtimer-Bereich wird der größte Teil dieser Motoren noch lange leben“, ist Frank Wilke überzeugt. Schließlich sei es vor allem das typische Klangbild eines charakteristischen Motors, das die Faszination eines Klassikers ausmache, sagt der Chef des Marktbeobachters Classic Analytics in Bochum, der selbst einen 6,75 Liter großen V8 sein Eigen nennt, und schwärmt vom Blubbern eines V8, dem Kreischen eines Sechszylinders-Boxers oder dem staubsaugerartigen Summen eines V12: „Diese Motorenkonzepte standen für Luxus, Leistung, Exklusivität, aber auch für eine gewisse Individualität.“
Und Wilke hat noch einen Trost parat: Auf die Preisentwicklung vielzylindriger Oldtimer werde ihr Wegsterben im Neuwagenbereich keinen messbaren Einfluss haben. Denn das Angebot sei für jedes dieser Motorenkonzepte, vom 16-Zylinder einmal abgesehen, mehr als reichhaltig und auch die Betriebskosten können die Besitzer nicht schocken. „Wer so ein Auto kauft, der weiß, auf was er sich einlässt. Das ist ähnlich wie bei Spritpreisen, die noch nie einen Einfluss auf Oldtimerpreise hatten – sonst wäre der Fiat 500 viel teurer!“
Außerdem sind nicht alle Millionärsmarken politisch so korrekt wie die Luxus-Ableger der Großkonzerne. Denn während VW-Tochter Bentley seine zwölf Kerzen gerade ausgeblasen hat, klemmt Lamborghini-Chef Winkelmann ein Dutzend neue Zündkerzen der Hoffnung an und stellt für den Nachfolger des Aventador auch einen neuen Zwölfzylinder in Aussicht – wenn auch mit Hybrid-Modul. Und wo es bei Rolls-Royce kaum einen Zweifel darangibt, dass der nächste Cullinan elektrisch fährt, will Ferrari von der Elektrifizierung erst einmal nichts wissen und startet mit dem Purosangue trotzig noch einmal mit einem V12-Saugmotor.
Immer noch nicht überzeugt? Dann kann vielleicht Mate Rimac helfen. Der gilt zwar als europäischer Elon Musk und baut einen elektrischen Supersportwagen, ist aber auch Petrolhead und Chef von Bugatti und hat in dieser Rolle sehr genau die Brüsseler Abgasgesetze studiert. „Da steht selbst im Kleingedruckten nirgendwo ein Verbrenner-Verbot“, hat Rimac herausgefunden. Sondern Brüssel kassiere künftig nur extrem hohe CO2-Abgaben, die sich bei herkömmlichen Fahrzeugen keiner leisten kann. Aber wer schnell mal ein, zwei Millionen Euro für Individualausstattungen ausgibt, den stören selbst fünfstellige Preissprünge nicht, argumentiert der Firmenchef und verspricht, dass auch der nächste Bugatti wieder einen Verbrenner bekommen wird. Und so, wie man Bugatti kennt, werden sich die Franzosen dabei nicht einmal mit zwölf Zylindern begnügen.