DriveGREEN

Lexus NX: Reines Gewissen für 75 Kilometer

Eigentlich kurios: Lexus – seines Zeichens gekonnter Hybridhersteller – hatte bis dato keinen Plug-in im Portfolio. Mit dem neuen NX ändert sich das jetzt.

Und damit soll sich hierzulande auch der Marktanteil zugunsten der Japaner ändern: Nach dem Ausnahmejahr 2017 mit über 600 Neuzulassungen in Österreich ging es stetig bergab. 2020 dann der Tiefpunkt: Lediglich 220 Modelle wurden neuzugelassen. Klar, vor allem Corona geschuldet. Der Markt jedenfalls erholt sich wieder und Lexus will natürlich ein ordentliches Stück vom größer werdenden Kuchen (im konditorischen Fachvokabular gemeinhin auch unter „aufgehender Kuchen“ bekannt) abhaben. Der NX soll dafür sorgen.

Bei der Präsentation der zweiten Generation dessen wirkt die Marke jedenfalls fest entschlossen, sehr offensiv, ja fast schon angriffig: Immer wieder werden Vergleiche zur Konkurrenz gezogen, ohne diese beim Namen zu nennen. Was wir jetzt tun: Der NX ist ein Mittelklasse-SUV im Premium-Bereich, er wildert also im Revier von Audi Q5, BMW X3 und Mercedes GLC. Starke Konkurrenz also. Finden die Japaner die richtigen Mittel?

Der aggressive Grill dominiert die Frontansicht.

Was das Design betrifft: durchaus. Der Lexus NX ist stimmig durchkomponiert – trotz aller Aggressivität. Die hat vor allem die Front zu verantworten: Der Kühlergrill steht jetzt aufrechter und wirkt noch dominanter als der eh schon dominante Grill der Vorgängergeneration. Die Heckpartie vereint so ziemlich alle Trends des modernen Automobil-Designs. Das Logo musste einem Lexus-Schriftzug weichen und natürlich zieht sich auch ein Leuchtenband von links nach rechts. Oder von rechts nach links, ist ja ein japanisches Auto.

Am Heck findet man alles, was gerade en vouge ist.

Eine richtige Revolution fand aber im Innenraum statt. Auch dort folgen die Japaner einem Trend: Der Touchscreen verschmilzt optisch mit dem Instrumenten-Display zu einer Armatur. Außerdem ist das Infotainmentsystem komplett neu und sieht endlich nach 2021 aus. Bedient wird dieses nur noch via Touch, eine externe Steuervorrichtung gibt’s nicht mehr.

Man könnte darüber natürlich sudern – Intuitivität, Ablenkung, sowas halt. Wäre aber ein bisserl unfair, immerhin wurde Lexus über Jahre hinweg für die eigenwilligen Bedienelemente gescholten, auch von uns. Außerdem: Um die Lautstärke zu ändern gibt es ebenso noch einen Drehregler wie für den Temperaturwechsel. Letzterer ist übrigens besonders schön in die Displayarmatur integriert, Jaguar Land Rover lässt grüßen. Worüber wir sudern müssen, sind die sensitiven Flächen am Lenkrad, die die klassisch-analogen Knöpfe abgelöst haben: Nicht nur einmal haben wir versehentlich etwas verstellt. Kein exklusives Lexus-Problem, wie unser Audi Q4 e-tron-Test festhält.

Rotes Leder? Muss nicht sein.

Wie groß der Schritt im Innenraum nach vorne ist, zeigt übrigens der Lexus ES. Die Business-Limousine wurde frisch geliftet und stand ebenfalls für eine Testfahrt zur Verfügung. Viel hat sich nicht getan, das Infotainmentdisplay ist jetzt „touch“ und wanderte im Zuge dessen näher an den Fahrer ran. Unterm Strich ist die Interieur-Gestaltung aber weiterhin … sagen wir: klassisch.

Etwas klassischer geht’s weiterhin im Innenraum des gelifteten Lexus ES zu.

Weniger klassisch sind die Außenspiegel: Optional gibt es sie nämlich nicht mehr. Sie werden von Kameras ersetzt, die das Geschehen seitlich von einem einfangen und auf zwei Displays wiedergeben. Gut: Anders als im Audi e-tron sind die Displays in einer angenehmen Position platziert. Weniger gut: Anders als im Honda e sind sie weniger schlüssig ins Design integriert und wirken eher wie externe Navigationsgeräte. Unterm Strich: Funktionieren zwar gut, braucht man aber nicht. Was wieder nicht exklusiv für Lexus gilt.

Nicht wirklich ins Design integriert: die Seitenspiegel ersetzenden Bildschirme.

Richtig große Unterschiede gibt es auch beim Fahrgefühl: Der Lexus ES vermittelt ein sehr erhabenes Feeling, ist höchst komfortabel abgestimmt, einem eingefleischten 5er-Faher wird er vermutlich way to schwammig sein, im Grunde aber: Geschmacksache. Der Lexus NX ist zwar auch nicht knallhart gefedert, aber fühlt sich insgesamt sehr viel direkter an. Oder anders gesagt: Der Lexus ES ist für den amerikanischen Markt abgestimmt, der NX für den europäischen.

Eine grundlegende Gemeinsamkeit gibt es aber: Beide sind fast schon bewusstseinserweiternd sparsam. Den Lexus ES haben wir mit 5,6 Liter pro 100 Kilometer bewegt, ein Kollege hat den WLTP-Wert von 5,2 Liter sogar unterboten (einen ausführlicheren Test des Vor-Facelift-Modells findet ihr hier, der Antriebsstrang blieb unverändert). Und der Lexus NX? Der genehmigt sich, wenn als PHEV geordert, über weite Strecken überhaupt keinen Tropfen Sprit. Wie weit diese Strecken sein können, hat uns dann aber doch überrascht.

75 Kilometer haben wir uns rein elektrisch bewegt (WLPT: 69 bis 76 Kilometer). Der BMW X3 30e schafft laut WLTP bestenfalls 50 Kilometer – und ist danach leer. Der NX ist hingegen niemals leer, er hebt sich immer etwas Strom auf. Mit dem Ergebnis, dass sich der NX 450h+ nach 75 Kilometern rein elektrischer Fahrt dann halt wie ein Vollhybrid bewegt.

Einen solchen Antriebsstrang gibt es im neuen Lexus NX übrigens auch noch, der 350h leistet 244 PS Systemleistung und ist mit Verbräuchen zwischen 5,6 und 6,4 Liter pro 100 Kilometer – je nach Ausstattung und ob mit Allrad geordert – auch sehr sparsam. Sparsamer ist er auch in der Anschaffung: Der Lexus NX 350h startet bei 52.850 Euro, die Preise des NX 450h+ sind noch nicht genau bekannt. Was aber schon klar ist: Der Basispreis wird unter 60.000 Euro betragen, er kann also gefördert werden.

Alles in allem ein mehr als fairer Preis, immerhin gibt’s dafür auch 309 PS Systemleistung und einen Sprintwert von 6,3 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Allerdings nur, wenn man sich nicht im EV-Fahrmodus befindet, dieser lässt sich nämlich nicht einmal via Gaspedalstellung der Sorte Vollstoff overrulen. Logisch – sagt Lexus. Wenn man im EV-Modus ist, dann will man ja auch explizit rein elektrisch fahren, der Verbrenner (übrigens ein 2,5-Liter-Saugbenziner) soll Pause haben. Unangenehm – sagen wir. Das erste Überholmanöver im NX 450h+ hat jedenfalls einen doch deutlich erhöhten Puls mit sich gebracht. Anderseits: Wenn man’s weiß, kann man sich darauf einstellen, gegebenenfalls den Fahrmodus wechseln, was dankbarerweise schnell und intuitiv über einen analogen Schalter geschieht.

Feine Materialien und gute Verarbeitung zeichnen den NX-Innenraum aus.

Lange hat Lexus den Plug-in als Hybridform vernachlässigt, dafür schlägt die Marke mit dem NX als 450h+ jetzt doppelt und dreifach zurück. Keine Frage: So perfektionistisch wie die deutsche Konkurrenz ist er nicht. Dafür degradiert er ebendiese in Sachen Elektro-Komponente. G’lernt ist eben g’lernt.

Maximilian Barcelli

Bei 7.000 Touren beginnt der Spaß für den mehr begeisterten denn begnadeten Autofahrer.

Weitere Beiträge

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"