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Lotus Emira: Verbotene Frucht

Dieses Auto ist ein lebendiger Anachronismus und passt so gut in die Zeit wie die Russen-Disco oder der Gasbrenner im Biergarten. Denn während selbst notorische Vollgasmarken wie Ferrari oder Lamborghini ernsthaft an die Elektrifizierung denken, von Porsche, AMG oder der M GmbH ganz zu schweigen, legt Lotus jetzt noch einmal ein nagelneues Auto nach alter Väter Sitte auf. Wenn die Briten als erste ernsthafte Premiere seit Elise und Evora und damit nach mehr als einem Jahrzehnt im Herbst zu Preisen ab etwa 95.995 Euro für die prall ausgestattete First Edition und später dann um die 70.000 Euro (beides D) endlich den Emira an den Start bringen, ist deshalb von Elektrifizierung keine Rede und die E-Motoren sind sehr zum Wohlwollen der Petrolheads allein dort montiert, wo sie mit der Traktion nichts zu tun haben.

Gezeichnet mit den schnellen Linien des elektrischen Überfliegers Evija, aber mit einer Länge von 4,41 Metern, einer Breite von 1,90 Metern und einem Radstand von 2,58 Metern zwei Klassen kleiner, und wie jeder Lotus dem Leichtbau verpflichtet und deshalb kaum mehr als 1.400 Kilo schwer, nutzt der Emira eine komplett neue Plattform, die Lotus natürlich wieder aus Aluminium zusammengenietet hat. Sie bietet trotz des handlichen Formats mehr Platz als je zuvor und irritiert Elise-Kunden mit einem bislang ungeahnten Maß an Alltagstauglichkeit. So gibt es diesmal nicht nur einen halbwegs ordentlichen, 151 Liter großen Kofferraum hinter dem mittig montierten Motor und 208 Liter Ablage hinter den Sitzen, sondern sogar Platz für Getränke in den Türen. Und wo bei der Elise bei der Premiere vor 25 Jahren selbst das Radio eine Option war, haben die Briten nun digitale Instrumente samt Touchscreen-Infotainment und Komfortfeatures wie ein schlüsselloses Zugangssystem zu bieten. Selbst einen Tempomaten mit Abstandsregelung baut Lotus neuerdings ein. Und vor allem erlauben die spürbar größeren Türen nun einen menschenwürdigen Einstieg ohne gymnastische Verrenkungen.

Aber all das wird nebensächlich, wenn man die rote Schutzklappe auf dem Mitteltunnel öffnet wie ein Jet-Pilot vor dem Luftkampf und mit dem Startknopf darunter den hinter Glas inszenierten Motor im Heck startet: Während man im Rückspiegel sieht, wie die Drosselklappe jeden Gasstoß quittiert und der Puls dabei in Zehnerschritten nach oben schnell, macht sich der Lotus fertig für eine Landpartie, die ihresgleichen sucht.

Denn spurtstark wie eh und je, vertrauenserweckend und dabei stets auf eine beredte Kommunikation zwischen Fahrer und Fahrbahn bedacht, schießt der Lotus davon. Klack, klack, klack, wie in einem Wunder der Feinmechanik klackern die Gänge durch die offene Schaltkulisse, und mit jedem Mal faucht der Emira kurz auf und macht dann einen Satz nach vorne. Es sei denn, der Fahrer wechselt das Pedal und die Zangen beißen mit dem Appetit eines ausgehungerten Rottweilers in die großen Bremsscheiben bis die Reifen quietschen und das Profil in breiten schwarzen Strichen auf der Straße zurückbleibt. Oft sollte man das allerdings nicht machen, denn ein bisschen Gummi auf den Rädern kann bei den im Emira möglichen Kurvengeschwindigkeiten nicht schaden. Bei bis zu 1,2 g Seitenkraft lässt der Brite nämlich nicht den Hauch eines Zweifels daran, dass hier der Fahrer der limitierende Faktor ist und nicht das Fahrzeug.

Im Touring-Modus halbwegs komfortabel, im Track-Setting ein beinharter aber dafür unbeirrbarer Knochenschüttler, auf der Geraden rasend schnell, in den Kurven nie am Limit und beim Bremsen so standfest, dass einem die Luft knapp wird in der Lunge – so müssen sich die Briten weder vor einer Alpine noch vor einem Porsche Cayman nicht verstecken, und selbst der 911 ist nicht mehr unerreicht. Denn was die Stuttgarter Sportwagenikone dem englischen Emporkömmling an Power und Finesse voraushaben mag, das macht der Lotus mit seinem authentischen Wesen und genau so viel Mangel an Perfektion wett, dass es nicht gähnend langweilig wird. 

Treibende Kraft bei diesem imposanten Spiel der Kräfte ist der 3,5 Liter große V6 aus Exige und Evora, der bei diesem ansonsten komplett neuen Auto die einzige Konstante ist und auch weiterhin von Toyota beigesteuert wird. 

Bald wird es wie beim Vorgänger auch wieder einen Vierzylinder geben, den ihnen diesmal niemand geringeres als AMG liefert. Da war es wahrscheinlich kein Schaden, dass Lotus-Eigentümer Geely auch der größte Einzelaktionär bei Daimler ist und den Briten so ein paar Türen geöffnet hat. Bislang in Bug von A-Klasse & Co montiert, wandert Turbo im Emira nun ins Heck und nimmt seine Doppelkupplung gleich mit. Das ist ebenfalls eine Premiere bei den Briten und erweitert die Auswahl, denn Handschalter und Automatik für den V6 bleiben im Programm. Zwar hat der Viertöpfer dann „nur“ etwa 365 PS und ist damit etwa zehn Prozent schwächer, wiegt aber auch zwei Zentner weniger und dürfte entsprechend mehr Spaß machen. 

Er sieht zum Niederknien aus und fährt auch so, er lässt selbst Porsche Cayman oder Toyota Supra ziemlich zahnlos wirken und weil er Supercar-Aufmerksamkeit zum Sportwagenpreis bietet, dürfte er Lotus über kurz oder lang tatsächlich aus dem Krisenkeller führen. Zumal die Kooperation mit Alpine und ein neuer Sportwagen aus Frankreich die Stückzahlen der Plattform noch weiter in die Höhe treiben wird. Doch wissen sie in Hethel auch, dass diese neue Lotus-Blüte ziemlich verbotene Früchte trägt und deshalb nicht sonderlich zukunftsträchtig ist.

Aber auch dafür sind sie gewappnet. Denn mit den prallen Kassen und dem Heer an Entwicklern der chinesischen Geely-Gruppe im Rücken, haben sie bei Lotus längst Pläne für eine elektrische Zukunft gemacht und mit dem Hyper-SUV Eletre bereits die ersten Schritte auf der Electric Avenue unternommen. „Und das ist nur der Anfang“, sagt Firmenchef Matt Windle, der bis 2025 mindestens noch drei neue Modelle bringen will. Dafür haben sie bei Lotus zuletzt nicht drei Jahre, sondern fast drei Jahrzehnte gebraucht.

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