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Polestar 2: Hey Google, spiel‘ ABBA!

„Wenn die Welt untergeht, ziehe ich nach Wien; dort passiert alles 50 Jahre später,“ soll Gustav Mahler – angeblich – mal gesagt haben. Ganz so tragisch ist es aber nicht, und nachdem der Polestar 2 letztes Jahr in einigen ausgewählten Märkten seine Premiere feierte, kommt er jetzt auch nach Österreich, um den heimischen E-Mobility-Sektor ein Stück bunter zu machen.

Bunter allerdings nur im übertragenen Sinne. Wer sich einen Polestar 2 ordert, kann das nämlich in genau sechs Lackierungen tun, allesamt eher wenig farbenfroh. Mehr Konservatives lässt sich dann allerdings nicht mehr finden, man gibt sich betont zukunftsorientiert. Das beginnt schon beim Kauf: Zum Händler gehen, Probefahren und Vertrag abschließen? Ok, Boomer! Ein Polestar 2 wird bestellt, online, was denn sonst.

Weil ein Auto halt keine Unterhose ist, auch preislich, wird es in der Wiener Innenstadt immerhin einen Polestar Space geben. Dort kann man den Polestar 2 dann genauer begutachten, mit einem Autohaus soll er aber wenig gemein haben. Und: Probefahrten finden aktuell in Wien statt. Außerdem hat man ja ein paar begnadete Fahrer und Schreiber – und mich – eingeladen, die jetzt das Erlebnis Polestar 2 vermitteln sollen. Wenn es denn ein Erlebnis war. Also: Let’s go!

Fesches Detail: Die Seitenspiegel sind rahmenlos.

Starten wir bei der Optik: Wenig konservativ ist nicht nur der Vertrieb, sondern auch das Design: Die Parallelen zu Volvo sind nicht zu leugnen, besonders die Scheinwerfer erinnern an die Marke, deren Mutterkonzern wie jener von Polestar das chinesische Unternehmen Geely ist. Aber auch ganz generell ähneln sich die Designsprachen. Clean und progressiv, würde man in den Marketingabteilungen dieser Welt johlen. Stimmen wir ja auch zu, allerdings könnte man hinzuzufügen, dass auch etwas BMW zu erkennen ist. Zumindest was die Silhoutte angeht, das Fließheck erinnert etwas an 3er und 6er GT. Böse Zungen würden sagen: nur halt in schön.

Das gelungene Heck ähnelt ein wenig den GT-Modellen von BMW, zumindest von der Form her.

Dass der Polestar 2 ein aufregendes Äußeres hat, wurde bei der Testfahrt schnell klar, den ein oder anderen verdrehten Hals hat es auf jeden Fall gegeben. Mag aber auch am Exoten-Status des schwedischen Elektroautos liegen. Den möchte man ja jetzt loswerden, wie Tesla das mit dem Model 3 gelungen ist. Das führt nämlich seit dem Marktstart 2019 die E-PKW-Neuzulassungsstatistiken in Österreich an.

Fesches Detail #2: Die goldenen (oder eher: gold lackierten) Ventilkappen.

Ein Stück von der Mandeltorte soll’s also werden, wenn möglich ein großes (und mit Daim). Damit das nicht an der Reichweite scheitert, verbauen die Schweden beim Polestar 2 einen ordentlichen Akku: 78 kWh fasst die Batterie, in der vorerst in Österreich einzig angebotenen Variante mit 408 PS und Allradantrieb sorgt sie laut WLTP für 470 Kilometer Reichweite. Jener Akku kann allerdings auch mit dem „Single Motor“ kombiniert werden, nur eben (noch) nicht in Österreich. Die Reichweite beträgt dann 540 Kilometer. Als Einstiegsvariante gibt’s den Polestar 2 auch mit kleinerer Batterie, allerdings auch noch nicht hierzulande.

Die Single-Motor-Versionen kommen jedenfalls mit Frontantrieb, was dann die Fahrfreude ein wenig einschränken dürfte, auch wenn Polestar viel Hirnschmalz ins Fahrwerk gesteckt hat (dazu später mehr). Kann uns aber einstweilen egal sein, zumindest solange es nur die Überdrüber-Variante mit Extra-Scharf gibt. Trotz reichlich Chili prügelt es einen in der aber vom Stand nicht ganz so heftig weg, wie man das vom Porsche Taycan oder auch von Tesla kennt.

Die Kraft baut sich auf, fast schon wie bei einem Verbrenner. Wobei natürlich das Ansprechverhalten, besonders wenn man rollt und dann Vollstoff gibt, ziemlich absurd ist. E-Mobility eben. 0 auf 100 km/h? 4,7 Sekunden. Ein 3er BMW ist nur dann schneller, wenn man ihn als M340i oder d ordert. Oder, eh klar, als M3. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 205 km/h, man geht hier also einen anderen Weg als Volvo, die ihre neuen Fahrzeuge ja alle bei 180 km/h abriegeln. Überhaupt tritt man hierzulande sehr getrennt auf, zumindest kommunikativ. Das bereits vorhandene Händlernetz von Volvo wird von Polestar aber schon genutzt, was letztendlich dem Kunden zugute kommt.

Das Interieur: Aufs Wesentliche reduziert, aber nicht ganz so minimalistisch wie bei Tesla. Deshalb auch: deutlich intuitiver.

Also: Reichweite mehr als solide, Beschleunigung sowieso – aber mindblowing ist beides nicht. Wird der Polestar aber noch, und zwar nachdem man sich ins Auto gesetzt hat. Dort wartet ein cooler Innenraum samt dem besten Infotainmentsystem aller Zeiten. Kein Wunder, kommt ja auch vom Tech-Giganten Google. Der Polestar 2 ist das erste Fahrzeug, das auf Android Automotive setzt, dem von Google entwickelten Betriebssystem für Autos. Mittlerweile ist das auch im vollelektrischen Volvo XC40 an Bord, weitere Hersteller werden folgen.

Natürlich werden sie das, das System ist ja auch hervorragend, die Vernetzung wurde wirklich auf ein neues Level gehievt. Die Navigation? Google Maps, und dementsprechend: Benchmark. Die, im Auto besonders praktische, Sprachbedienung? Ein Traum, eh klar. „Hey Google, spiel ABBA!“. „Welche App soll ich dafür verwenden?“ „Spotify!“ Und schon tönt „Gimme, gimme, gimme a man after midnight!“ durch den Innenraum. Später wurden wir noch darauf hingewiesen, dass, wenn man dann seinen Google Account verbunden hat und das System die individuellen Vorlieben kennt, auch gar nicht mehr nach der zu nutzenden App gefragt wird. „Gimme! gimme! gimme!“ wird also noch schneller abgespielt.

Das Google-Infotainmentsystem (im Bild: der noch etwas magere Play Store) ist Benchmark.

Das Smartphone auf Rädern also? Sicherlich! Aber halt: nicht nur. Der Polestar 2 ist auch ein richtig gutes Auto, also bezogen auf altvordere Attribute, wie etwa Verzögerung oder Querdynamik. Besonders gilt das für den Polestar 2, den wir bewegt haben – der kam nämlich mit Performance-Paket. Für 6.000 Euro bekommt man hier Öhlins-Stoßdämpfer, Sportbereifung, 20 Zöller – und goldene Brembo-Beißer mit vier Kolben vorne. Die haben die immerhin 2,1 Tonnen so sehr im Griff, wie Italien die Türkei beim EM-Auftakt. Das Fahrwerk selbst verfügt über eine gesunde Härte, ist aber nicht unbequem und die Dämpfer lassen sich auch manuell verstellen. Dazu serviert Polestar noch eine präzise Lenkung, fertig ist das Dinner. Trotz des Gewichts rutscht der Polestar 2 dank Fahrwerk und Allrad erst spät über die Vorderräder, liegt satt in der Kurve und die Bremsen sind richtig giftig. Es schmeckt also.

Schmeckt auch der Preis? Leicht versalzen vielleicht, aber grundsätzlich schon in Ordnung. Der Polestar 2 startet hierzulande bei knapp unter 56.000 Euro, und zwar All-inclusive, also schon minus dem Händleranteil der E-Mobilitätsförderung und plus der Überführungskosten. Ein ordentlicher Batzen Geld, allerdings bekommt man dafür auch 408 PS. Zum Vergleich: Ein VW ID.4 kostet mit 300 PS, Allradantrieb und ähnlicher Reichweite auch knapp über 53.000. Zusätzlich ist der Polestar 2 serienmäßig so gut wie vollausgestattet.

Serienmäßig bester Sound aus der Harmon Kardon-Anlage. Sonst könnte es nämlich etwas leise werden.

So gibt es das riesengroße Panoramaglasdach, die Harman Kardon Premium Soundanlage, Pixel-LED-Scheinwerfer, elektrisch verstellbare und beheizbare Sitze (letzteres gilt auch für jene hinten) und das gesamte Infotainmentsystem inklusive Polestar Connect für drei Jahre schon ab der Basis. Genauso wie alle Assistenzsysteme, von der 360 Grad Rundumsicht bis zum Pilot Assist und der Adaptive Cruise Control. Außerdem … okay, lassen wir das lieber und gehen es umgekehrt an: In welche Optionen kann man denn sein Geld überhaupt noch investieren?

Teuerstes Extra ist das Performance-Paket für 6.000 Euro. So gut uns Bremsen und Fahrwerk auch gefallen haben: Ein Muss ist das nicht, besonders für jene Kundengruppe, der es beim Polestar 2 mehr um ein Statement geht, um Individualität, Progressivität. Das werden wohl nicht so wenige sein. Wer kein Problem damit hat, in der Hölle zu landen, kann den eigentlich veganen Innenraum für 4.500 Euro mit einem feinen, in Beige gehaltenen und mit Holzdekor kombinierten Nappa-Lederpaket aufrüsten.

Die Materialien im Innenraum sind vegan. Eigentlich.

Für 1.000 Euro kann man noch eine andere Lackierung wählen: „Void“ (soll heißen: Schwarz) ist serienmäßig, alternativ gibt es noch „Snow“, „Magnesium“, „Thunder“, „Moon“ und „Midnight“ (oder auch: Weiß, Grau, Dunkelgrau, Grau mit Olivstich und Blau). Weitere 1.000 Euro könnte man noch in 20-Zöller investieren, in der Basis gibt es 19-Zoll-Felgen. Bis auf wenige Extras, wie Winterräder (2.300 Euro), eine Anhängerkupplung (1.150 Euro) oder Dachgepäckträger (280 Euro), ist man dann schon am Limit – rien ne va plus, nichts geht mehr.

Fazit? Polestar stellt sich nicht nur progressiv und unkonventionell dar, sondern ist es auch. Das Top-Google-Infotainmentsystem und die extravagante Optik sind aber nur ein Teil des Gesamtpakets. Sicherlich kein kleiner, aber nur ein Smartphone auf Rädern ist der Polestar 2 nicht, er lässt sich auch wirklich flott bewegen. Preislich kein Schnäppchen, aber fair, weil schon top ausgestattet, leistet sich das E-Auto aus Schweden nur wenige Mankos. Der Fahrzeugschlüssel ist der Premium-Qualität des Wagens zum Beispiel nicht angemessen. Macht aber nix, weil Schlüssel eh so 2015 sind und man deshalb seinen Polestar 2 bald mit dem Handy öffnen kann. Suprise, suprise: Das zum Marktstart im Herbst kommende Feature wird serienmäßig mit dabei sein.

Maximilian Barcelli

Bei 7.000 Touren beginnt der Spaß für den mehr begeisterten denn begnadeten Autofahrer.

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