Citroën Oli: Viel weniger wird viel mehr
Die billigsten Neuwagen gibt es aktuell für unter 10.000 Euro. Doch wer es elektrisch mag, muss schon für einen Dacia Spring deutlich tiefer in die Tasche greifen, und wer einen familientauglichen Stromer sucht, ist schnell beim Dreifachen – und da ist der Zuschuss schon mit eingerechnet. Es ist eine bittere Wahrheit, die sich bislang noch so recht keiner auszusprechen traut: Autofahren im Zeichen der Elektromobilität wird deutlich teurer. Und zwar so teuer, dass es sich womöglich viele bald nicht mehr leisten können.
Fotos: Arnaud Taquet @ Continental Productions
Oder vielleicht doch nicht? Denn so langsam haben die Hersteller erkannt, dass sie mit ihren aktuellen Modellen nicht alle mitnehmen können auf die Electric Avenue. Und so, wie VW an einem Einstiegsstromer unterhalb des ID.3 arbeitet und Renault den R5 zum elektrischen Massenmobil machen will, kaut auch Citroen auf einem Preisbrecher herum. Und weil die Macher von Autos wie der Ente oder dem Ami dabei bisweilen ein bisschen radikaler denken als ihre Konkurrenten, und weil es erstmal nur um das Ausloten der Möglichkeiten geht statt um ein konkretes Serienmodell, ist dabei eine der vielleicht spektakulärsten Studien der letzten Jahre herausgekommen: Vorhang auf und Bühne frei für den Citroen Oli.
Als eine Art Cactus für die Generation E ist er ein Crossover von kompakten 4,20 Metern, das Platz für vier bietet, auf eine alltagstaugliche Reichweite von 400 Kilometer kommen und trotzdem nicht mehr als 25.000 Euro kosten soll. Und weil der Oli kein Citroen wäre, wenn er nicht noch ein bisschen mehr drauf hätte als Zielwettbewerber wie der ID.3, der Mazda CX-30 oder der elektrische Opel Mokka, lässt sich die Heckpartie mit ein paar Handgriffen umbauen: Die Rückbank verschwindet im Wagenboden, die Heckscheibe klappt nach unten und aus dem geschlossenen Kofferraum wird eine geräumige Pick-Up-Pritsche. Und nein, auch wenn es ein bisschen so aussieht, haben sie sich nicht am Hummer orientiert: „Unser Vorbild war ein Schweizer Taschenmesser“, sagt Designchef Pierre Leclercq über das Multitool der neuen Mobilität, mit dem man sogar im Stand noch Spaß haben soll. Aber dazu später mehr.
15 Prozent mehr Reichweite als beim aktuellen ë-C4 und das für zwei Drittel des Preises? „Um das zu erreichen, mussten wir uns vom üblichen Wettrüsten verabschieden und die Schraube bei Größe, Gewicht und Fahrleistungen zurück drehen“, erläutert Bertrand Leherrisier aus der Produktplanung den Abrüstungsplan der Franzosen: Mehr als 40 kWh Batteriekapazität sind bei diesem Preis nicht drin. Damit die trotzdem für 400 Kilometer reichen und der Verbrauch demnach auf jene zehn kWh pro 100 Kilometer sinkt, die den millionenschweren Mercedes EQXX gerade zum Effizienzweltmeister gemacht haben, wurde nicht nur die Höchstgeschwindigkeit auf 110 km/h limitiert. Sondern vor allem haben sie dem Oli eine strenge Diät verordnet und das Gewicht auf 1.000 Kilo beschränkt. Das sind 650 Kilo weniger als beim ë-C4 und nur 400 Kilo mehr als beim Ami, der nicht einmal halb so groß ist, nur zwei Plätze bietet, und mit maximal 45 km/h höchstens 75 Kilometer weit fährt.
Trotzdem war der kleine Freund für Designchef Leclercq eine große Inspiration: Genau wie beim Zauberwürfel auf Rädern setzt Citroen auch beim Oli auf eine minimale Anzahl an Bauteilen und montiert zum Beispiel links wie rechts die gleichen Türen oder vorn wie hinten identische Stoßfänger, spart sich viele Verkleidungen und färbt den Wagen innen und außen in uni durch.
Dass der Oli alles andere als elegant aussieht, kein bisschen aerodynamisch wirkt und aus manchen Perspektiven sogar an den Hummer erinnert, der weder nachhaltig noch bezahlbar und schon gar nicht vernünftig ist, das hat mehrere Gründe, erläutert Designer Leclercq. Um Gewicht zu sparen, hat er etwa die Motorhaube oder das Dach aus Pappe konstruiert, die mit einer Wabenstruktur verstärkt und wetterfest lackiert ist, sich deshalb aber nicht biegen lässt. Und weil planes Glas billiger ist als gebogenes und obendrein weniger Licht durchlässt und so die Klimaanlage entastet, hat der Oli eine nahezu senkrechte Frontscheibe, wie man sie etwa vom Jeep Wrangler kennt.
Leclercq macht aus der Not allerdings eine Tugend und erweitert so zugleich das Nutzungsspektrum: Weil unsere Autos die meiste Zeit ja doch nur rumstehen, eignet sich der Oli auch als Klettergerüst für den Nachwuchs und wer will, kann auf der Haube oder dem Dach sogar Picknicken. „So wird das Auto zum Balkon auf dem Bürgersteig und ist selbst als Stehzeug noch nützlich“, schwärmt Leclercq.
Neue Materialien, ausgewählt nach Kosten und Gewicht, prägen auch den Innenraum, der sortenrein eingerichtet ist und sich so viel besser recyceln lässt. Die Sitze zum Beispiel hat BASF mit einem ebenso luftigen wie nachgiebigen Skelett aus Polyurethan gedruckt und braucht deshalb nur acht statt sonst über 30 Bauteile. Der Fußboden ist ausgekleidet mit einer grob zurecht geschnittenen Matte aus einem Material, aus dem Adidas & Co die Sohlen für ihre Sneaker machen. Das Cockpit ist eine Stecklandschaft, in die jeder seine eigenen Accessoires einclipsen kann. Und wo andere Hersteller auf aufwändiges Infotainment setzen, reichen dem Oli eine kleine Projektionsleiste unter der Frontscheibe und ein Einschub fürs Smartphone. „Die Kollegen im Silicon Valley werden uns immer voraus sein. Also lassen wir sie die ganze Arbeit machen und bedienen uns ihrer Intelligenz“, sagt Leclercq und gibt sich im Rennen mit Apple & Co geschlagen: Statt eines eigenen Infotainments spiegelt der Oli lediglich den Inhalt des Smartphones.
Natürlich wissen auch Leclercq und Leherrisier, dass es bis zum familienfreundlichen Elektroauto für 25.000 Euro noch ein weiter Weg ist und dass sie bis dorthin noch ein paar Kompromisse werden machen müssen. Und Nebensächlichkeiten wie Airbags oder Fensterheber wären für ein Serienauto vielleicht auch nicht schlecht. Doch anders als beim Ami denken sie gar nicht an eine unmittelbare Umsetzung der Studie. Die soll nur zu Gedankenspielen anregen, neue Möglichkeiten ausloten, die Richtung vorgeben und vor allem die kommenden Entwicklungen befruchten, sagt Leclercq. „Die Fragen, die wir uns bei diesem Projekt gestellt haben, stehen jetzt auch bei all unseren Serienprojekten ganz oben auf der Agenda.“