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VW ID.3: Aber jetzt.

Volkswagen und Elektromobilität war bis vor kurzem eine sehr traurige Geschichte. Bis zum VW ID.3.

Der heißt zwar nicht ID.3, um das Model 3 von Tesla in Angriff zu nehmen. Aber genau da wollen wir starten, nämlich im Jahr 2019. Die Welt war okay. Allgemein, weil noch keine Sau wusste, was eine 7-Tages-Inzidenz ist. Aber auch speziell, nämlich für Tesla in Europa. Nach anfänglichen Produktionsschwierigkeiten legte die elektrische Mittelklasse-Limousine einen Traumstart hin, lies bei den Neuzulassungen zwischenzeitlich selbst klassisch angetriebene Konkurrenten, wie 3er BMW, Audi A4 und Mercedes C-Klasse, hinter sich. Mit 25,9 Prozent Anteil an den neuzugelassenen E-Autos auch in Österreich im Jahr 2019 dominierte Tesla das freilich (noch) recht kleine Elektro-Segment.

In den ersten sieben Monaten des aktuellen Jahres rangiert das Tesla Model 3 mit 2.610 Neuzulassungen (die inzwischen auf einen heftigen Anteil an Firmenkunden entfallen) zwar noch auf Platz eins der E-Autos. Der imposante Marktanteil aber ist dahin, hat sich verabschiedet, Bussi und Baba. Mit ihm: Der Respektabstand zum zweiten Platz. Den belegte 2019 der BMW i3. Hätten die Münchner ihren E-Flitzer doppelt so oft verkauft – er hätte sich dennoch hinter dem Model 3 einordnen müssen.

Wäre der ID.3 in den ersten sieben Monaten des Jahres 2021 doppelt so oft neuzugelassen worden, man hätte das Model 3 locker lässig hinter sich gelassen. So muss man sich mit Platz 2 zufrieden geben. Allerdings nur bei den Modellen. Bei den Marken hat VW, dank des zweiten MEB-Streichs, dem ID.4, Tesla bereits überholt. 20,4 Prozent Anteil an den PKW-Neuzulassungen mit Elektroantrieb stehen 15,2 Prozent gegenüber. Auf Platz drei der Liste: Renault. Dann: Skoda. Gefolgt von: Audi. Weitere Marken des VW-Konzerns also.

Wie grün elektrisches Fahren tatsächlich ist, hängt vor allem von der Stromerzeugung ab. Kohle: weniger gut. Photovoltaik: schon besser.

Sollte man jetzt panisch seine Tesla-Aktien verkaufen? Keine Ahnung. Tesla-Bashing wollen wir jedenfalls keines betreiben. Weil Spaltmaße hin oder her: 2015 schon E-Autos mit theoretischen Reichweiten von um die 500 Kilometer zu bauen, während nicht alle, aber viele etablierte Hersteller noch im Dornröschenschlaf verweilten, ist schon beeindruckend. Fest steht aber auch: Nach e-Golf und anderen eher halbherzigen Versuchen, ist der Volkswagen-Konzern aufgewacht. Und am heimischen E-Mobilitätsmarkt angekommen. Dort, wo er sich am wohlsten fühlt, wo er es gewohnt ist, zu sein: ganz oben.

Dabei lief nicht alles perfekt. Auch beim ID.3 gab es Startschwierigkeit. Vor allem wegen der Software verzögerten sich die Auslieferungen. Mittlerweile hat man das aber im Griff, wie ja auch die Zulassungszahlen zeigen. Auch wir können über keine Probleme klagen. Ob etwa das Infotainmentsystem mit seiner Slidebar zu den intuitivsten gehört? Wohl eher nicht. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase hat man den Dreh aber raus.

Grafisch hübsch gestaltet: das Infotainmentsystem.

Noch schneller hat man den Dreh bei der Bedienung des Fahrzeugs selbst raus. Weil der ID.3 noch immer ein VW ist und die letzten paar analogen Bedienelemente, wie die Hebel für Blinker und Scheibenwischer, aus etlichen Autos bekannt sind. Neu hingegen: Der Wählautomatikschalter für’s Getriebe. Der ist hinters Lenkrad gewandert, wodurch der Mitteltunnel recht klein ausfällt. Resultat: Auch ein Shaquille O’Neal kann den ID.3 fahren. Vermutlich.

So lang wie ein Golf, so viel Platz wie in einem Passat.

Überhaupt ist der Innenraum sehr luftig, vorne wie hinten, Plattform sei Dank. Verstärkt wird dieser Eindruck noch vom gnadenlos minimalistischen Design. Auf der minimalistischen Seite muss man auch die Qualität der Materialien einordnen. Es gibt ein bisschen Stoff, ein bisschen Softtouch und ein bisschen viel Hartplastik. Weil das alles optisch bis ins kleinste Detail durchkomponiert ist, und auch das bisschen viele Hartplastik mit Designfalten versehen ist, fühlt man sich im ID.3 trotzdem wohl.

Weil der Innenraum mit Liebe zum Detail designt wurde, macht er einen wertigeren Eindruck, als das viele Hartplastik vermuten lässt.

Unbehagen löst auch die Reichweite nicht aus: Drei Batteriegrößen gibt es. In der von uns getesteten First Edition, die bereits restlos ausverkauft ist, ist der mittlere Akku verbaut, nutzbare Kapazität: 58 kWh. Damit soll man laut WLTP bis zu 429 Kilometer weit kommen. Mit einer Fahrweise, die Elektroautos gar nicht mögen, in einer Jahreszeit, die Elektroautos gar nicht mögen, kamen wir auf rund 300 Kilometer. 400 Kilometer sind also schon drinnen, was für die Kompaktklasse mehr als okay ist. Und wem das nicht reicht: Einen 77 kWh-Akku gibt’s ja auch.

Wobei man dann schon tief ins Börserl greifen muss: Der Einstiegspreis der Version mit großer Batterie liegt bei rund 44.000 Euro. Der 58-kWh-Akku startet hingegen knapp unter der 40.000-Marke. Dann aber mit „nur“ 145 PS. Die in Wirklichkeit ausreichen, zumindest suggeriert die 204 PS-Variante das. In 7,3 Sekunden geht’s von 0 auf 100 km/h, womit er nicht weit vom Golf GTE entfernt ist. Fraglich, ob man das braucht. Spaß macht’s natürlich schon, die Leistung abzurufen, weil die halt – E-Auto-typisch – sofort anliegt.

Fährt sich unspektakulär – was nicht negativ gemeint ist.

Ansonsten fährt sich der ID.3 recht unspektakulär. Lenkung, Fahrwerk, Bremsen? Erstens: Exakt und wenig Feedback, was aber nicht stört. Und weil Heckantrieb: kein Zerren, kein Ziehen. Zweitens: Tiefer Schwerpunkt, komfortable Federung. Drittens: Solide, auch mit den Trommeln hinten. One-Pedal-Driving gibt’s übrigens nicht, gebremst wird, nun ja, mit dem linken Pedal halt. Summa summarum: ein Volkswagen. Und irgendwie auch nicht. Alles neu – und doch bekannt.

Witzige Details. Anders als bei anderen E-Autos braucht man das linke Pedal übrigens noch.

Fehlt noch die Antwort auf die Frage, wieso der ID.3 jetzt ID.3 heißt? Das hat – haha – drei Gründe. Weil er erstens ein Kompaktauto ist und so Luft nach unten und oben bleibt. Weil er zweitens in drei verschiedenen Akkukapazitäten verfügbar ist. Und weil er nach Käfer und Golf die dritte Zäsur in der Geschichte von VW darstellen soll. Sagt zumindest VW. Ob sie damit recht behalten – we will see.

Maximilian Barcelli

Bei 7.000 Touren beginnt der Spaß für den mehr begeisterten denn begnadeten Autofahrer.

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