IAA Messerundgang: Erst Kater, dann Party
Sie stand nun wahrlich unter keinem guten Stern. Denn Corona und die Sorge ums Klima haben der Autobranche im Allgemeinen und der IAA im Besonderen arg zugesetzt und die Nähe zur Bundestagswahl hat dem Branchengipfel genauso wenig geholfen wie der Umzug von Frankfurt nach München oder das Konzept mit einem halben Dutzend Veranstaltungsorten und langen Transferetappen auf der stauanfälligen „Blue Lane“ dazwischen. Deshalb war es in den letzten Wochen ein bisschen so wie vor Omas 80. Geburtstag: Jeder weiß, dass er um die Feier kaum herumkommt, schließlich könnte es die letzte sein. Natürlich hat keiner darauf große Lust. Und so Mancher hat heimlich gehofft, dass er sogar ausfällt. Doch genau wie es auch bei Omas Achzigstem immer ein paar nette Momente geben kann, hat sich auch die Autobranche zumindest am ersten Pressetag redlich geschlagen und groß aufgefahren. Denn die PS-Welt hat verstanden, hat den Wandel angenommen und sich mit einem Dutzend elektrischer Neuheiten als „fit for future“ präsentiert.
Ganz vorne dabei auf der Electric Avenue ist gerade Mercedes. Denn nachdem sich die Schwaben mit ihrer dezidierten Elektroplattform lange Zeit gelassen haben, machen sie jetzt Tempo und stellen dem EQS nicht nur den EQE zur Seite, sondern zeigen gleich auch noch ein elektrisches SUV für die Luxusklasse, das in München als Maybach vorfährt und die nächste Sub-Marke unter Spannung stellt. Und sogar AMG schwimmt mit dem Strom und nimmt sich des EQS an, der als 53er auf 560 kW kommt und dann endlich auch 250 Sachen fährt. Als wäre Daimler damit nicht schon breit genug aufgestellt, machen die Schwaben gleich ihren dicksten Dinosaurier fit für die Zukunft und geben einen ziemlich konkreten Ausblick auf die elektrische G-Klasse, die mit vier radnahen Motoren und Untersetzungsgetriebe auch weiterhin der Maßstab im Gelände sein soll.
Während Mercedes seinem Ruf als Luxusmarke gerecht wird und erst einmal an die Haute Vollée denkt, besinnt sich VW auf seine Wurzeln und gibt mit dem ID Life einen ersten Ausblick auf einen elektrischen Volkswagen, der die neue Mobilität ab 2025 erschwinglich machen soll. Oder was eben in Zeiten wie diesen so „erschwinglich“ heißt. Denn unter 20.000 Euro und damit für fast doppelt so viel wie ein Up wird der gute vier Meter lange Crossover wohl nicht zu haben sein, stellen die Niedersachsen in Aussicht.
Immerhin muss sich dann niemand mit minimaler Mobilität bescheiden. Denn 400 Kilometer Reichweite sind gesetzt und anders als ID.3 & Co darf der Kleine mit seinem 172 kW-Motor sogar bis auf 180 km/h beschleunigen. Und wem das nicht reicht, der schaut halt zur Seat-Tochter Cupra, wo auf der gleichen Basis des geschrumpften MEB der Urban Rebel steht. Wie alle Studien ein wenig überzeichnet, bekommt er statt des Wolfsburger Faltdachs aus Luftpolster-Folie einen riesigen Heckflügel und lockt mit 320 kW.
Allerdings ist der VW-Konzern mit seiner elektrischen Massenbewegung nicht alleine: Denn auf Breitenwirkung setzt auch Renault mit dem Mégane E-Tech, der seine Weltpremiere an diesem Montag feierte. Ohnehin schon europäischer Marktführer und seit zehn Jahren im Geschäft mit den E-Autos haben die Franzosen in diesem Kompakten all ihr Know-how gebündelt und wollen so vor allem den MEB-Modellen aus Wolfsburg Paroli bieten.
Und die Chinesen sind ja auch noch da – in diesem Fall Wey und Ora, zwei Marken aus dem Imperium von Great Wall Motors, die mit dem Coffee 01 ein stattliches SUV gegen e–tron & Co und mit dem Cat einen charmanten Kleinwagen im Retro-Design gegen den Renault Zoe ins Rennen schicken.
Zweiter Trend neben der Elektrifizierung ist das autonome Fahren, das nach einer gewissen Ernüchterung der letzten Jahre jetzt gerade wieder Oberwasser gewinnt. Überall sieht man deshalb Technologieträger, die gespickt sind mit Sensoren und Scannern und bald führerlos fahren sollen – und bei Audi wachsen beide Trends im Grand Sphere Concept zusammen. Denn als erste Luxuslimousine konsequent auf das Autonome Fahren ausgelegt, will der designierte Nachfolger des A8 eben nicht nur mit einer spektakulären Silhouette und einem sauberen Antrieb für über 600 Kilometer glänzen, sondern auch mit einem revolutionären Innenraum, in dem der Chef wieder in der ersten Reihe sitzt und auf dem zur Projektionsfläche reduzierten Armaturenbrett in seine digitale Welt abtaucht.
Zwar glänzen in München fast alle Marken mit einem gewissen Faszinationspotential mit Abwesenheit und man sucht vergebens nach Lamborghini, Ferrari, Bentley, Aston Martin oder Bugatti. Doch zumindest Porsche lässt die Vollgasfraktion nicht ganz im Stich – und hat für die IAA eigens eine Studie gebaut. Dieser Mission R fährt zwar dem Zeitgeist folgend ebenfalls voll elektrisch, ist aber allein der Raserei verpflichtet – und hat das Zeug, bis zur Mitte des Jahrzehnts erst zum Rennwagen für den Kundensport und dann zum Nachfolger von Boxster und Cayman zu werden.
Dass es mit einem Elektroantrieb alleine zur Rettung der Welt nicht getan ist, will in München der Schweizer Microlino beweisen: Unsere Autos sind zu groß und zu schwer, sagt Firmenchef Wim Ouboter, der mit den Micro-Scooter Millionen gemacht hat und mit diesem Geld jetzt als Gegenentwurf zu Tesla &Co die Isetta aufleben lässt. Klein wie in den Fünfzigern, nur sehr viel cooler und mit rund 12.500 Euro noch immer halbwegs bezahlbar, soll sie die Städte vor dem Verkehrskollaps bewahren und der Rushhour zugleich den Schrecken nehmen. Und der Microlino ist nicht alleine: Sondern überall auf der Messe sieht man mehr oder minder charmante Minis mit vielen smarten Details, die eine halbe Klasse unter dem Auto für Entlastung in der Stadt sorgen wollen.
Damit bedienen die Anbieter eine Lücke, die bald noch etwas größer werden dürfte. Denn in München hat auch der Abschied vom aktuellen Smart begonnen, der bislang vielen als Champion der City gegolten hat. Statt ForFour und ForTwo zeigt Daimler gemeinsam mit Joint Venture-Partner Geely das Concept #1, mit dem in einem Jahr das nächste Kapitel der Smart-Geschichte beginnen soll. Und das wird groß, sehr groß sogar. Denn das Concept #1 ist ein schmuckes aber für smart-Verhältnisse gewaltiges und erstaunlich seriöses SUV von 4,30 Metern. Aber immerhin fährt auch das – natürlich – elektrisch.
Aber es sind nicht nur die neuen Minis, die weit über die Energiewende unter der Haube hinausdenken. Auch BMW spinnt den Faden der Nachhaltigkeit ein wenig weiter und will mit neuem Gedankengut zum nachhaltigsten Premiumhersteller der Welt werden. „Closed Circle“ heißt dabei die Devise, und Recycling ist das Gebot der Stunde: Alle Bauteile stammen aus der Wiederverwertung und sind auf ebendiese ausgelegt. Was man daraus bauen kann, zeigt ein vier Meter langes Space Shuttle, das auch als übernächste Generation des i3 durchgehen könnte – und buchstäblich ein BMW für die Tonne ist. Denn am Ende seines Autolebens lässt sich der i Vision Circular komplett recyceln.
Natürlich gibt es neben all diesen Visionen auch ein paar ziemlich greifbare Autos eher konventioneller Machart – die trotzdem alle irgendwie elektrifiziert sind. Denn ohne Stecker traut sich kaum jemand nach München. VW lässt den Taigun deshalb genauso zu Hause wie Porsche den neuen 911 GTS, Audi den RS3, BMW den X8 und Mercedes den neuen SL. Petrolheads müssen sich deshalb mit einem Kia Sportage oder einem VW Multivan begnügen, die beide zumindest als Plug-In-Hybrid auf der Bühne stehen. Und selbst der Dacia Jogger ist nur ein schwacher Trost. Denn auch wenn der Siebensitzer für 15.000 Euro zum Preisbrecher unter den Familienkutschen werden will und deshalb erst mal nur als Benziner oder Diesel dasteht, macht die Elektrifizierung selbst vor ihm nicht Halt: In 18 Monaten kommt er als erster Dacia auch als Hybrid und stromert dann zumindest für ein paar Kilometer.
Klar ist die IAA nur noch ein Abklatsch ihrer selbst und so richtig heiß wird Omas 80. Geburtstag natürlich nicht gefeiert. Doch zumindest ist die Autoindustrie gut gerüstet für die Herausforderungen der nächsten Jahre. Dass die Stimmung – zumindest am ersten Messetag – trotzdem eher verhalten ist und man sich in den Hallen fühlt wie in einem Gemischtwarenladen der Mobilität kann man den Autoherstellern kaum zum Vorwurf machen. Denn obwohl sie ihre Open Spaces in der Stadt erst einen Tag später öffnen dürfen und obendrein von der Pandemie und den Hygiene-Konzepten eingebremst werden, machen sie das beste aus der Pflichtveranstaltung und zeichnen ein fast optimistisches Bild. Und falls es später doch noch zu Protesten kommen sollte, lohnt sich vielleicht nochmal ein Abstecher zu Mercedes. Dort steht als Willkommensgruß an den Sieger der Bundestagswahl die neue S-Klasse auch als „Guard“, der mit einer neuartigen Panzerung zum sichersten Auto der Welt werden will – und so zum Garant wird für eine ungestörte Fahrt über die Blue Lane.