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Audi Q4 e-tron: Zwischen den Klassen

Audi reißt die Grenzen ein. Zumindest die zwischen den Segmenten. Denn wenn die Bayern im Juni die ersten Exemplare des mindestens 43.500 Euro teuren Q4 e-tron ausliefern, dann mag der Stromer mit seinen 4,60 Metern nominell noch in die gehobene Kompaktklasse zählen. Der Innenraum dagegen liegt auf dem Niveau eines Q7 und lässt selbst den ersten e-tron vergleichsweise eng erscheinen. 

Möglich macht das der Modulare Querbaukasten des VW-Konzerns, in den Audi nun endlich auch mal greifen durfte. Und weil die Bayern darauf lange warten und sogar Skoda den Vortritt lassen mussten, dürfen sie gleich doppelt durchstarten: Nach einem konventionell geschnittenen Q4 im Juni folgt deshalb ein paar Wochen später für 2.000 Euro Aufschlag auch noch ein Sportback mit schrägem Abschluss. 

Außen fast schon konventionell gezeichnet, bietet der Q4 innen dafür umso mehr Aha-Erlebnisse. Nein, nicht wegen des Ambientes, das anders als beim Plattformbruder ID.4 weniger revolutionär erscheint und zwar auf ein weitgehend digitales Cockpit samt neuem Lenkrad mit Touchfeldern setzt, aber zum Beispiel mit einem analogen Bedienfeld für die Klimatisierung oder einem Fahrschalter am Platz des früheren Getriebewählhebels trotzdem angenehm vertraut wirkt. Sondern die große Überraschung ist das üppige Platzangebot, das vor allem auf den 2,76 Metern Radstand fußt: Während man sich vorne fühlt wie in einem Q5, haben die Hinterbänkler mehr Beinfreiheit als im Q7 und blicken mitleidig auf die Kunden der Konkurrenz: Ähnlich große und teure Wettbewerber wie der iX3 von BMW oder der EQA von Mercedes wirken dagegen wie Kleinwagen. Und als wäre das nicht genug, haben sich die Bayern offenbar auch noch von Skoda inspirieren lassen und ein paar Simply Clever-Ideen entwickelt: Weil es keinen Mitteltunnel mehr gibt, haben sie vorn zwischen den Sitzen nun Platz für eine riesige Ablage, in die sogar ein iPad passt. Und nachdem sie die Türverkleidung neu gedacht haben, gibt’s jetzt in Griffhöhe jeweils einen Halter, der sogar 1,5-Liter-Flaschen fassen. Fehlt eigentlich nur noch der „Frunk“ im Bug, der bei 520 bis 1.490 Litern Kofferraumvolumen allerdings vergleichsweise verzichtbar ist. 

Während Auftritt und Ambiente neu sind, kennt man die Technik unter dem Blech aus dem Konzern. Los geht es zunächst mit drei Varianten als Q4 35 oder Q4 40 mit Heckantrieb und 125 kW oder 150 kW sowie als Q4 50 quattro, der mit einem zweiten Motor an der Vorderachse auf 220 kW kommt und zum Allradler wird. Als schnellster in der Familie schafft er den Sprint von 0 auf 100 in 6,2 Sekunden und bekommt Auslauf bis 180 km/h, während die Hecktriebler bei 160 Sachen eingebremst werden. Den Strom dafür liefern Akkus mit einer Netto-Kapazität von 52 oder 77 kWh, für die Audi Normreichweiten bis zu 520 Kilometern ausweist. Geladen wird dabei Wechselstrom mit bis zu 11 und Gleichstrom mit maximal 125 kW, so dass unter idealen Bedingungen binnen zehn Minuten der Strom für 130 Kilometer fließt.

Er ist zwar wie alle Elektroautos flüsterleise und anders als beim GT gibt’s auch keinen synthetischen Sound. Doch ansonsten fährt der Q4 wie jeder andere Audi: Er ist so kompromissbereit und komfortabel, so präzise und berechenbar abgestimmt, dass sich wirklich jeder gut aufgehoben fühlen wird. Die Progressivlenkung sorgt für ein bisschen Spaß in den Kurven, die adaptiven Dämpfer kaschieren das größere Gewicht. Dass man auf den Batterien im Boden ein wenig höher sitzt, fällt bei einem SUV nicht auf. Und anders als bei E-Autos wie dem Nissan Leaf oder dem DS3 ist das Fahrgefühl alles andere als synthetisch. 

Mit dem Ziel, ein für Umsteiger vom Verbrenner möglichst vertrautes Fahrgefühl zu erreichen, haben die Ingenieure aber eine Eigenheit der E-Autos verschenkt: Das so genannte One-Pedal-Feeling. Wo andere Stromer mit der zum Generator umgepolten E-Maschine schon bis zum Stillstand verzögern, wenn man nur den Fuß lupft, rollt der Q4 im Standard-Modus wie im Leerlauf kilometerweit aus. Und selbst wenn man von „D“ auf „B“ wechselt oder an den Wippen am Lenkrad zieht, braucht man sehr viel Weitblick, um ohne Wechsel auf das Bremspedal rechtzeitig zum Stehen zu kommen. 

Dafür bietet der Q4 eine andere Überraschung – und einen weiteren Klassensprung: Er ist für sein Format ungeheuer handlich. Weil der Antrieb im Heck sitzt und vorne kein Verbrenner mehr im Weg ist, können die Räder viel weiter einschlagen. Während sich die Hinterbänkler wie im Q7 wähnen, kommt dem Fahrer bisweilen selbst der Q2 plötzlich ein bisschen sperrig und ungelenk vor. Auch das ist ein Vorteil der dezidierten Elektro-Architektur, den umgebaute E–Modelle wie der EQA oder der iX3 nicht bieten können. 

Neben diesen neuen Eindrücken bietet der Q4 obendrein auch neue Ausblicke. Denn als erster Audi hat der Q4 ein Head-Up-Display mit Augmented Reality Technik, das eigentlich besser in die Oberklasse passen würde. Nicht umsonst feiert Mercedes eine ähnliche Lösung gerade als Highlight in der neuen S-Klasse. In der Konstruktion sehr viel aufwändiger und wegen des großen Bauraums aber vorerst nur in Elektrofahrzeugen möglich, projiziert das in einer zweiten Bildebene zusätzliche Informationen ins Blickfeld des Fahrers. Die liegen nicht nur deutlich weiter vor dem Auto und werden deshalb noch intuitiver erfasst. Sondern sie orientieren sich zudem an der realen Umgebung: Die Elektronik markiert vorausfahrende Autos oder den Fahrbahnverlauf, platziert Zielflaggen auf dem Parkplatz und lässt den Navigationspfeil wie eine Drohne vor dem Auto schweben, die stets im passenden Moment in die entsprechende Straße weist. 

Kompakte Abmessungen und gewaltige Beinfreiheit, ein Wendekreis wie ein Kleinwagen und Hightech wie in einer Luxus-Limousine – so wird der Q4 e-tron tatsächlich zum Klassenspringer und damit zu einem klassenlosen Auto. Das gilt allerings auch für den Preis. Denn schon die 43.500 Euro liegen deutlich einem vergleichbaren Q3 und voll geladen lässt sich der Preis mühelos in Regionen treiben, in denen sonst ein Q7 zu Hause ist.

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