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Elektromobilität – bitte warten!

Schöne neue Elektrowelt

Bitte warten!

2016 wird’s endlich ernst mit der Elektromobilität: VW bringt mit dem e-Golf zum TDI-Preis die „Demokratisierung“ des elektrischen Fahrens. In unserer smarten Wienerstadt schießen die Ladestationen wie die Schwammerln aus dem Boden. Wer’s glaubt… Die Kinderkrankheiten der Elektromobilität vermiesen uns das elektrische Gleiten.

Von Bernhard Katzinger

Auf seiner Jahrespressekonferenz im Dezember hat Porsche Austria angekündigt, 2016 eine große Elektroauto-Offensive zu starten: Der e-Golf – ein rein elektrisch betriebenes Fahrzeug mit ca. 150 km Reichweite – wird gleich viel oder sogar weniger kosten als der TDI in Highline-Ausstattung. Das ist eine gute Nachricht. Denn elektrisches Fahren ist in den Städten ein Segen. Oder: Kann es werden, wenn es gelingt, einige nervige Kinderkrankheiten in den Griff zu kriegen.

E-Mobilität wird sich, so der allgemeine Tenor, in den Städten zuerst durchsetzen. Bei Berufspendlern, die am Tag 50 Kilometer oder weniger zurücklegen. Aber: Wir Städter leben in Wohnungen und parken überwiegend auf der Straße. In den Tiefgaragen unserer Wohnanlagen gibt’s oft noch nicht einmal eine 220 Volt-Steckdose. Und selbst wenn man vom Arbeitgeber einen Abstellplatz zur Verfügung gestellt bekommt, fehlt dort mit ziemlicher Sicherheit ebenfalls der Stromanschluss.

Trotzdem werden Stromtankstellen schwerpunktmäßig bei Einkaufszentren, Supermärkten oder in Tiefgaragen von Bahnhöfen errichtet. Und wer fährt schon beim täglichen Pendeln ins Einkaufszentrum oder zum Bahnhof?

Bei Wien Energie, Betreiber der TankE-Ladestationen, ist man sich des Problems zwar bewusst, bedauert aber, nicht sehr viel tun zu können. Oft scheitert das Nachrüsten der Tiefgaragen daran, dass es dazu das OK aller Eigentümer braucht. Lösungen für das Laden am Fahrbahnrand fehlen bis dato völlig.

Tanke, wo bist du?

Herauszufinden, wo sich die nächste Ladestation befindet, ist gar nicht so einfach. Jeder Anbieter kocht erstmal sein eigenes Süppchen. Eine aktuell gehaltene Karte aller Stromtankstellen für Wien – Fehlanzeige! Die Website www.tanke-wienenergie.at ist, während dieser Artikel entsteht, über Tage nicht erreichbar. Der Anbieter verweist auf eine App – die derzeit nur für Android (wie sich herausstellt: nur für einige Android-Versionen) verfügbar ist.

In einer perfekten Welt würde mir das Navi, z.B. das unseres aktuellen Testwagens, einer B-Klasse Electric Drive, als Sonderziel E-Tankstellen abieten. Dieses sinnvolle Feature fehlt leider.

Das Reichweitenproblem: Subtraktion im EV-Zeitalter

Die angesprochene B-Klasse ist im Grunde ein tolles Auto, weil man bei Platzangebot und Komfort keine Kompromisse gegenüber den fossil angetriebenen Versionen eingehen muss. Und rein theoretisch kann es 230 Kilometer mit einer Akkuladung fahren.

Soweit die graue Theorie. In der Praxis sieht das so aus: Ich starte mit 177 km Restreichweite auf dem Display. 12,2 Kilometer später zeigt dasselbe Display an, dass ich noch 122 km weit komme. Der Fairness halber: Ich habe vorher den Speicher gelöscht, damit der Bordcomputer so optimistisch wie möglich an die Sache herangeht – und erst im Stop&Go-Berufsverkehr seine Prognose revidieren muss.

Am nächsten Tag das gleiche Spiel: Ich starte mit 119 km Restreichweite. Der Computer sollte mein Fahrprofil jetzt gelernt haben. Nach erneut 12 Kilometern Fahrt, wieder im Berufsverkehr: 83 km Restreichweite.

Insgesamt habe ich nach 26 Kilometern Fahrt Energie verbraucht, die laut Bordcomputer für 100 Kilometer ausreichen hätte sollen. Vielleicht passen Elektromotor und Stadtverkehr doch nicht so gut zusammen, wie immer suggeriert wird?

Morgen, morgen…

Man kann nicht bestreiten, dass an allen Ecken am elektrischen Verkehr gearbeitet wird: Zum Beispiel starten Angebote, welche alle Anbieter zusammenfassen – die VW Think Blue. Card zum Beispiel. 2016 startet in Wien ein Projekt für E-Taxis – im Zuge dessen sollen bis 2018 im Wiener Stadtgebiet 25 Schnelladestationen entstehen, die nicht nur den Taxlern, sondern allen EV-Fahrern zur Verfügung stehen.

Ich gebe zu, dass ich sehr gern elektrisch durch die Stadt gleite. Mir geht das Dieselbrummen nicht ab. Bessere Luft und weniger Lärm in der Stadt – in der ich nicht nur fahre, sondern auch wohne – sind mir nicht wurscht.

Also: Kriegt das in den Griff! Denn im Moment kann man niemandem einen Vorwurf machen, der beim Elektroauto dankend abwinkt.

Bernhard Katzinger

War bis 2017 Teil der Motorblock-Redaktion.

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