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BYD: Die Zukunft kann kommen

Sie bauen mehr Elektroautos als Tesla, von VW, Mercedes oder BMW ganz zu schweigen – doch ein sonderlich scharfes Profil hat BYD zumindest bei uns in Europa noch nicht. Sondern die elektrischen Erstlinge des chinesischen Weltmeisters waren solide aber eher schnöde Modelle wie der Atto 3 oder der Tang, die wenn überhaupt, dann vor allem mit Preis und Ausstattung gepunktet haben. Zwar hat BYD sein europäisches Profil mit der vom einstigen Audi-Designchef Wolfgang Egger gezeichneten Ocean-Serie dann schon deutlich geschärft und während der kompakte Dolphin noch vergleichsweise konventionell daherkommt, ist der Seal ein schnittiger Verführer, der einen ID.7 und erst recht einen Mercedes EQE brav und bieder aussehen lässt und zudem mit verführerischen Fahrleistungen lockt. Doch haben sie daheim in China noch viel mehr Modelle bei den unterschiedlichsten Marken, die ihnen auch gut ins europäische Puzzle passen würden – und deshalb schon bald mehr oder minder sicher den Weg nach Westen finden werden.

Fotos: Hersteller

Fast schon selbsterklärend sind ist dabei die Erweiterungen fürs bestehende Portfolio. So bekommt der Seal schon im Februar zu Schätzpreisen ab guten 40.000 Euro als Seal U einen praktischen Bruder mit SUV-Silhouette, der technisch allerdings etwas weniger anspruchsvoll wird als die gleichnamige Coupé-Limousine. Denn mit Akkus von 72 oder 87 kWh für 420 oder 500 Kilometer gerüstet, kommt er zunächst nur als 218 PS starker Fronttriebler – und macht dann sogar nochmal einen Schritt zurück: Weil auch die Chinesen merken, dass die elektrische Euphorie spürbar abkühlt, holen sie in dem 4,79 Meter-SUV erstmals einen ihrer Plug-in-Hybriden nach Europa. Mit einem 1,5 Liter großen Vierzylinder steigt die Leistung auf 428 PS, es gibt standesgemäßen Allrad und bei den in China verbauten Pufferakkus von 17 oder 31 kWh sind trotzdem bis zu 160 elektrische Kilometer drin, bevor der Benzintank nochmal 700 Kilometer und mehr möglich macht. Angenehmer Nebeneffekt: Der Preis dürfte so deutlich unter 40.000 Euro sinken. 

Während BYD die Seal-Familie erweitert, frischen die Chinesen im zweiten Quartal den aktuell mindestens 70.000 Euro teuren Tang auf: Der 4,80 Meter lange Siebensitzer bekommt dafür neben ein wenig neuem Zierrat und einem adaptiven Fahrwerk vor allem einen neuen Akku: Statt 86 hat der künftig 108 kWh und kommt dann 530 statt 400 Kilometer weit. Und damit das an der Ladesäule nicht zur Geduldsprobe wird, gibt’s endlich immerhin 11 kW an der Wallbox und 190 kW an der Gleichstromsäule. 

Deutlich spannender wird die Sache dann schon bei Denza – und zwar nicht nur, weil diese Submarke vor einem Jahrzehnt mal zusammen mit Mercedes gegründet wurde und die Schwaben da immer noch ein paar Aktien drin haben. Sondern vor allem, weil die Denzas noch mehr Substanz und Finesse bieten als die Seal-Familie und deshalb Nio genauso bedrängen werden wie Tesla und die vornehmen Europäer. Der Denza N7 zum Beispiel, der eine Art Shooting Brake von 4,80 Metern ist und in China für Preise von umgerechnet knapp über 40.000 Euro verschleudert wird, sieht besser aus und fährt mindestens so souverän wie ein Mercedes EQE – und muss sich auch bei Antrieb und Ambiente nicht verstecken. Der filigrane und freistehende Bildschirm im Cockpit ist größer als so mancher Desktop-Computer, die Grafiken hinter dem Lenkrad und im Head-Up-Display sind hochauflösend, die Materialauswahl zeugt von großzügigen Budgets und die Verarbeitung von hoher Fingerfertigkeit. Und mit zwei Motoren von zusammen 530 PS, einer für chinesische Verhältnisse strammen Abstimmung und scharfen Lenkung macht der Viertürer mehr Spaß, als die Polizei in Peking & Co erlaubt. Deshalb stört es dort auch keinen, dass die Elektronik schon bei 180 km/h wieder den Stecker zieht. Dazu gibt’s einen Akku von 91 kWh, der für bis zu 630 Kilometer reichen soll. 

Während der N7 den Fahrer freut, wird der D9 zum Helden der Hinterbänkler. Denn als Luxusvan mit riesigen Clubsesseln vor mächtigen LED-Screens huldigt er unbeirrt der automobilen Raumfahrt und stiehlt europäischen Großraumlimousinen wie dem VW ID.Buzz und auch dem frisch renovierten Mercedes EQV mühelos die Schau. Angeboten als Plug-In-Hybrid oder reines E-Modell und auf Wunsch sogar mit Trennwand und Kino-Bildschirm zählt er zu einer Fahrzeuggattung, die in Asien mittlerweile selbst Luxuslimousinen das Leben schwermacht und auch in Europa – siehe Lexus LM – so langsam ihre Freunde findet. 

Wo BYD bei Denza auf Luxus macht, bedienen die Chinesen mit FangChengBao die Lifestyle-Kundschaft und schicken die Hipster von Hangzhou oder Hefai ins Abenteuer. Denn der knappe fünf Meter lange Offroader sieht nicht umsonst aus wie die chinesische Antwort auf den Defender. Angetrieben wird er von einer Kombination aus einem 1,5 Liter großen Vierzylinder und zwei E-Motoren, die zusammen auf stolze 687 PS kommen und entsprechend attraktive Fahrleistungen ermöglichen. Und wo der Defender als Plug-In-Hybrid aktuell auf eine elektrische Reichweite von 52 Kilometern kommt, baut der Weltmeister einen Akku von 32 kWh ein und verspricht 125 Kilometer – und trotzdem gibt es den Bao5 in China schon für umgerechnet etwa 50.000 Euro, von denen Land Rover-Kunden nur träumen können.

Das aktuell interessanteste Auto aus Shenzhen ist aber der U8 der neuen Luxusmarke Yangwang – ein Offroad-Koloss von 5,40 Metern, den BYD zum absoluten Aushängeschild aufgerüstet hat. Das gilt fürs Ambiente mit Leder dicker als bei Maybach und Bildschirmen brillanter als bei BMW – und das gilt für die Technik vom adaptiven, mit künstlicher Intelligenz gesteuerten Fahrwerk bis hin zu den vier E-Motoren mit zusammen 1.200 PS und fast 1.300 Nm, die so zusammenspielen, dass selbst die fiebrige Vorfreude auf die elektrische G-Klasse merklich abkühlt. Nicht nur, dass der 3,5 Tonnen schwere Koloss wie der Methusalem von Mercedes auf der Stelle wenden kann, sondern er rutscht auf seinen 22-Zöllern auch quer in Parklücken. Und Wasserdurchfahrten sind für ihn ebenfalls kein Problem: Wenn selbst die 15 Zentimeter mehr Bodenfreiheit nicht reichen, die sich die Luftfederung auf Knopfdruck entlocken lassen, und die Reifen bei einem Meter Wasserstand den Kontakt verlieren, kann der U8 immerhin eine halbe Stunde lang kontrolliert schwimmen. 

Damit den Abenteuern im U8 nicht vorzeitig die Energie ausgeht, belässt es BYD nicht beim 49 kWh großen Akku. Schließlich wäre sonst schon nach 180 Kilometern Schluss. Sondern weil es in der Wildnis so wenig Steckdosen gibt, bauen sie noch einen Zweiliter-Benziner als Range Extrender ein, mit dem die Autonomie auf 1.000 Kilometer steigt. 

Dabei will es BYD aber nicht bewenden lassen und träumt für Yangwang auch von sportlichen Meriten. Während der U8 auf G-Klasse & Co zielt, reift parallel dazu deshalb ein U9 als elektrischer Ferrari-Fighter – 1.300 PS stark, 300 km/h schnell und wilder bespoilert als mancher Rennwagen. Nur dass es davon bislang erst drei Exemplare gibt, während vom U8 Monat für Monat über 1.500 Autos ausgeliefert werden. Und das, obwohl er mit 1,1 Millionen RMB einer der teuersten Neuwagen aus chinesischer Produktion ist.

Zwar haben Autos wie der Denza N7 oder der Fangchengbao Bao5 gute Chancen in Europa und der Yangwang U8 wäre zumindest ein echter Hingucker, der selbst der kommenden Elektroversion der ewigen Mercedes G-Klasse die Schau stehlen würde. Doch wissen sie in der BYD-Europazentrale in Amsterdam selbst, dass die Modelle das eine und die Marken das andere sind und fremdeln deshalb noch mit der Vorstellung, das chinesische Portfolio eins zu eins zu übernehmen. Der Marktstart der Denza-Modelle zum Ende dieses Jahres ist – unter welchem Label auch immer – nach aktueller Nachrichtenlage aus Shenzhen zwar bereits beschlossene Sache. Doch hinter Bao5 und U8 stehen deshalb noch ein paar Fragezeichen. 

Die Chancen stehen zumindest für das urtümlich anmutende Aushängeschild mit seiner faszinierenden Offroad-Technologie nicht schlecht. Warum sonst sollten die Chinesen das erste Exemplar für den Genfer Salon bereits auf den Weg geschickt haben?

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