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Mercedes E-Klasse Innenraum – Ode an die Generation Smartphone

Der neue Mercedes E-Klasse Innenraum

Wer im April 2016 zum ersten Mal im Mercedes E-Klasse Innenraum sitzt, wird seinen Augen nicht trauen. Nichts mehr mit gediegener Eleganz, Generation Smartphone hat das Steuer übernommen!

Text: Thomas Geiger
Das liegt vor allem an den beiden 12,3-Zoll-Bildschirmen hinter dem Lenkrad, die noch besser integriert sind als in der aktuellen S-Klasse, ohne dass leidige Abdeckleisten oder überflüssige Schalter den gelungenen Gesamteindruck des so genannten „Widescreen“-Cockpits stören würden. „Cinemascope statt Kaminzimmer“ lautet das Motto, wenn in Echtzeit gestochen scharfe Grafiken über die beiden Displays flimmern und man sich mit den vom Blackberry entlehnten Cursor-Tasten im Lenkrad kinderleicht durch die neuen Menüs hangelt oder seine Anzeigen weitgehend selbst konfiguriert.

Dazu gibt es genau wie in C- oder S-Klasse auf dem Mitteltunnel die Kombination aus Drehrad und Touchpad und weil es offenbar dem Geist der Zeit entspricht eine Ambientebeleuchtung mit 64 Farben. Je nach Geschmack wirkt das allerdings genauso verspielt wie der ziemlich ornamental beleuchtete Startknopf, der vor dem Anlassen auch noch pulsiert – so viel Spielerei passt zu einem Mini, aber nicht zu einem Mercedes.
Wie es sich für ein gutes Kino gehört, haben die Schwaben aber nicht nur an der Leinwand bzw. den Displays gearbeitet, sondern auch an den Sitzen. Denn als Traumwagen von Vielfahrern und Handlungsreisenden präsentiert die E-Klasse ihre digitale Datenshow gerne in Überlänge. Und damit man am Ende trotzdem entspannt und ausgeruht aussteigt, bieten die neuen Sessel mehr Massagefunktionen als die Hot-Stone-Sitze aus der S-Klasse. Und genau wie bei der großen Schwesterlimousine sind natürlich auch hier alle Konsolen und Auflagen beheizt. Außerdem hat Mercedes zum ersten mal eine Sitzverlängerung entwickelt, bei der es keine lästige Krümmelfalte mehr gibt. Schluss also mit den Popcorn-Resten an der Hose, um im Bild mit dem Kino zu bleiben.

Dass Mercedes sich so viel Mühe mit dem Innenraum gegeben hat, liegt auch an der Vielzahl der neuen Assistenzsysteme. Denn das Fahren selbst wird in der Baureihe W213 so nebensächlich wie nie zuvor. Schuld daran ist der „Drive Pilot“, mit dem die Schwaben die Grenzen des autonomen oder zumindest assistierten Fahrens wieder ein Stück weiter verschieben. Schließlich hält die Limousine jetzt auf weiten Strecken alleine die Spur, nimmt mit Blick auf die Fahrbahnmarkierung oder den Vordermann  auch Kurven ohne Zutun des Fahrers und braucht selbst zum Überholen nur noch ein kurzes Kommando mit dem Blinkerhebel. Zwar muss der Fahrer regelmäßig Anwesenheit und Aufmerksamkeit quittieren. Aber statt wie bislang ins Lenkrad zu greifen, muss er jetzt nur noch die Sensortasten im Lenker berühren, um der Elektronik wieder ein paar Sekunden Ruhe und Entspannung abzuringen.

Aber die E-Klasse fährt nicht nur weitgehend alleine auf der Autobahn. Sie scannt auf Kreuzungen auch den Querverkehr oder weicht bei drohenden Kollisionen mit Fußgängern nach einem dezenten Hinweis des Fahrers alleine aus. Und statt den Fahrer beim Parken nur zu unterstützen, rangiert sie per Fernbedienung vom Smartphone aus selbst in die Lücke.

Bei so vielen elektronischen Errungenschaften rücken die Neuheiten unter dem Blech fast in den Hintergrund. Dabei hat die Limousine auch in den klassischen Gewerken nachgelegt. Nicht minder leidenschaftlich als von Bits und Bytes erzählt Chefingenieur Michael Kelz deshalb von den drei unterschiedlichen Fahrwerken und den fünf Fahrvorprogrammen, die er so weit gespreizt hat, dass der Taxler im nacktem Basis-Modell genauso zufrieden ist wie der Schnellfahrer im E 63, für den AMG um die 600 PS bereit stellen wird. Er schwärmt vom neuen Vierzylinder-Diesel OM 654, der mit seinem Alublock einen großen Anteil daran hat, dass die E-Klasse etwa 70 Kilo abspeckt und in der sparsamste Version ohne Plug-In-Modul wohl keine vier Liter mehr verbrauchen wird. Als E 220d mit 190 PS steht dieser Zweiliter-Motor gleich im April in der Startaufstellung, genau wie der E200-Benziner mit 184 PS. Kelz beruhigt das Gewissen mit der Aussicht auf Steckdosen-Hybriden für Benzin und Diesel und einen Mild-Hybrid mit 48Volt-Technik und versichert den Vielfahrern, dass es aller Sparbemühungen zum Trotz in der E-Klasse wie in der C-Klasse keinen Dreizylinder geben wird. Und er flüstert etwas vom Feinschliff im Windkanal, mit dem nicht nur der Luftwiderstand auf ein Rekordniveau (CW= 0,23) sinkt, sondern auch der Geräuschpegel.

Wer die E-Klasse in all ihrem Glanz erleben will, der muss allerdings tief in die Tasche greifen. Zwar soll sich am Grundpreis nur wenig ändern, so dass die Limousine künftig wohl bei 42 000 Euro starten dürfte. Doch mit Rücksicht auf knauserige Fuhrparkchefs und die Stammkundschaft der Taxifahrer gibt es all die elektronischen Errungenschaften von den riesigen Displays über die Kuschel-Komfort-Sitze bis hin zu den LED-Scheinwerfern und sogar der Navigation nur gegen Aufpreis.  Ohne Aufschlag reicht es statt für Cinemascope eben doch nur für ein aufgefrischtes Kaminzimmer mit analogen Instrumenten, kleinen Monitoren, konventionellen Sesseln  – und für das typische „Willkommen daheim“-Gefühl.

Rainer Behounek

War bis 2017 Teil der Motorblock-Redaktion.

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