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Unser IAA-Messerundgang

Frankfurter Vielfalt

Unser IAA-Messerundgang

Ach wenn doch nur schon morgen wäre. Selten auf einer Automobilmesse haben die Aussteller den Blick so bereitwillig und bedeutungsschwer nach vorne gelenkt wie in diesem Jahr zur IAA in Frankfurt. Weil die Stimmung im Hier und Heute nach Dieselskandal und Kartellverdacht so miserabel ist und die Giganten der Blechbiegerfraktion von allen Seiten von alten Gegnern und neuen Spielern bedrängt werden, malen Männer wie Daimler-Chef Dieter Zetsche, VW-Boss Matthias Müller und BMW-Vorstand Harald Krüger beim Heimspiel im Jammertal wenigstens die Zukunft in schillernden Farben: Designstudien und Technologieträger mit mehr oder weniger Bodenhaftung, aber jeder Menge visionärer Strahlkraft, sollen beweisen, dass sie in Stuttgart, München oder Wolfsburg die Zeichen der Zeit sehr wohl erkannt haben und sich die Deutungshoheit über das Automobil nicht kampflos abnehmen lassen wollen.

Von Thomas Geiger

Dabei setzen die Platzhirsche vor allem auf zwei Karten: Den Elektroantrieb und das autonome Fahren – und oft genug wird beides kombiniert. So zeigt Daimler mit dem lenkradlosen Smart Vision EQ, wie sich der Erfinder des Automobils das Robotaxi vorstellt und lässt dafür eine gläserne Knutschkugel auf die Bühne rollen, die man allenfalls noch benutzen aber nicht mehr besitzen kann. Audi dagegen wechselt ins andere Extrem, macht den A8 von übermorgen zur Langstrecken-Lounge Aicon und will damit selbst in Zeiten des grassierenden Carsharings noch Besitzwünsche und Begehrlichkeiten wecken, weil man nirgends so komfortabel und intim reisen kann wie in den eigenen vier Wänden – selbst wenn sie auf Rädern sind.
Etwas näher an der Realität sind die Elektroautos mit Lenkrad, die vor allem auf einen Hersteller zielen, der in Frankfurt omnipräsent und trotzdem nicht auf der Messe ist: Tesla. Denn egal ob es der für 600 Kilometer ausgelegte Vision iDynamic im Format des BMW 4ers ist, der Vorbote des Mini E als ultimatives Stadtmobil, die elektrische A-Klasse, die Mercedes als EQ A mit 400 Kilometern Aktionsradius ins Rennen schickt, der GLC mit Brennstoffzelle oder die Updates von Audi e-Tron und VW ID Crozz – sie alle sollen den Aufstieg des Neulings aus Kalifornien stoppen und sein noch immer nicht richtig ausgeliefertes und trotzdem omnipräsentes Model 3 in die Schranken weisen. Den Dämon aus dem Silicon Valley fürchten manche Hersteller so sehr, dass sie sogar eine völlige Kehrtwende hinlegen: Der ehemalige Opel-Chef Karl-Thomas Neumann philosophiert zur IAA darüber, wie man Opel zu einer reinen E-Marke hätte machen können und Daimler-Chef Zetsche setzt diese Idee bei Smart sogar um und verbannt dort zum Ende der Dekade den Verbrenner komplett.
Egal ob VW ID Cross, Mercedes EQ A oder BMW Vision iDynamic – zwar werden all diese Konzepte als „seriennah“ oder wie der GLC F-Cell sogar schon als Vorserie gehandelt. Doch bis sie dann tatsächlich auf die Straße kommen, wird es eben doch noch etwas dauern. Im besten Fall 2019, oft sogar erst 2020 und danach gehen die deutschen Hersteller im großen Stil ans Netz. Von den autonomen Visionen mit einem Horizont für 2030 und später ganz zu schweigen.
Nur in die Zukunft zu schauen, das mag angesichts der Stimmungslage verlockend sein. Doch weil die schöne neue Welt noch auf sich warten lässt und der Weg dahin ja irgendwie auch finanziert werden muss, zeigen die Hersteller auf der IAA auch jede Menge neuer Autos, die man schon sehr bald kaufen kann. Nur sind die halt nicht ganz so unkonventionell und innovativ wie die visionären Studien. Dafür allerdings haben viele von ihnen Eigenschaft, die in Zeiten wie diesen nötiger ist denn je: Die allermeisten Serienpremieren sind SUV und damit für schweres Terrain bestens gerüstet.
Angeführt wird die Flut der Geländewagen vom VW-Konzern, der mit SUVs aus allen Rohren schießt: Am unteren Ende der Skala stehen der für VW ungewöhnliche frische und jugendliche T-Roc sowie der dafür umso langweiligere Seat Arona und der ziemlich genau in der Mitte angesiedelte Skoda Karoq und am oberen Ende die dritte Auflage des Cayenne, die in Frankfurt zwar mit Basis-Benziner und Top-Turbo steht, die Diskussion um den Diesel aber durch den zumindest vorübergehenden Verzicht auf den Selbstzünder erst einmal nicht weiter befeuert.

Dazu gibt es aus München einen neuen X3 und den ziemlich übertriebenen Ausblick auf den überfälligen X7, die Koreaner wollen mit dem Doppel Hyundai Kona und Kia Stonic die Stadt erobern, Citroen setzt in dieser Liga auf den C3 Aircross und von Dacia kommt als Kampfansage an alle gebrauchten Kraxler ein neuer Duster, der einmal mehr zum billigsten Geländewagen im Land werden will.

Wenn es denn partout ohne erhöhte Bodenfreiheit und Abenteuer-Optik sein darf, empfehlen sich in diesem Herbst ebenfalls eher vernünftige Autos – allen voran der neue VW Polo oder die für koreanische Marken überraschend leidenschaftlich gezeichneten Hyundai i30 Fastback und Kia Stinger. Weiter oben wird die Luft dagegen eher dünn. Denn außer der neuen Generation des Audi A8, der mit seinem Staupiloten die größte Brücke zum autonomen Fahren schlägt, gibt es in der Oberklasse allenfalls Modellpflegen und –varianten. So hat Mercedes Coupé und Cabrio der S-Klasse überarbeitet und BMW lässt einen neuen M5 von der Leine, der seine 600 PS zum ersten Mal mit Allradantrieb auf die Straße bringt.
Natürlich ist die IAA auch wieder eine Messe für Träumer, bei der mit jeder Menge Luxus und Leistung Lust und Leidenschaft kultiviert wird. Nicht umsonst zeigt Bentley die neue Generation eines noch feudaleren und flotteren Continental und nicht ohne Grund verspricht Ferrari den Besserverdienern mit dem neuen Portofino einen noch stärkeren schnelleren und schöneren Platz an der Sonne. Und selbst diesseits der Oberschicht darf mit Autos wie einem Hyundai i30 N als GTI-Killer oder einem Renault Mégane RS als Kampfansage gegen Golf R und Ford Focus RS. Doch der absolute Überflieger kommt in diesem Jahr aus Stuttgart oder genau genommen aus Affalterbach. Den pünktlich zum 50. Geburtstag zieht die schnelle Mercedes-Schwester AMG auf der IAA das Tuch vom „Project One“ und verspricht mit diesem über 1000 PS starken Hypercar zum ersten Mal ein Formel1-Auto mit Straßenzulassung. Denn unter der ultraflachen Coupéhülle aus Karbon steckt nichts anderes als der Antrieb aus dem Dienstwagen von Formel1-Weltmeister Lewis Hamilton. Zwar passt so ein Auto nicht ganz so recht zum Aufbruch in eine neue Zeit. Doch erstens wird der Silberpfeil für Captain Future schließlich flankiert vom EQ A und dem autonomem Smart, zweitens hat er neben einem hochdrehenden V6-Benziner noch vier Elektromotoren und fährt immerhin 25 Kilometer ohne Strom. Und drittens ist auch der Project One nur eine kühne Vision. Denn bis der Wagen für knapp drei Millionen Euro in einer Auflage von 275 Exemplaren gebaut wird, dauert es noch knapp anderthalb Jahre. Ach wenn doch nur schon morgen wäre.

Jakob Stantejsky

Freut sich immer, wenn ein Auto ein bisserl anders ist. Lieber zu viel Pfeffer als geschmacklos.

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