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Countach LPI 800-4: Der Stier steht unter Strom

Die Phrase „früher war alles besser“ ist auch nicht mehr, was sie früher mal war. Denn wenn Lamborghini die Ikone Countach neu auflegt und ihr dabei über 800 Pferdestärken gönnt, dann ist das Hier und Jetzt genau der Ort, an dem man sein will.

Fotos: Eryk Kepski

Montag. Schon bei dem Wort bekomme ich in der Regel mäßige Laune. Doch wenn am Beginn der Woche in der Früh eine Reise nach Sant’ Agata Bolognese ansteht, wird der vielbemühte „Motivation Monday“ tatsächlich mal Realität. Denn was soll man in der 7.000-Seelen-Gemeinde anderes tun, als dem Hauptquartier der Automobili Lamborghini S.p.A. einen Besuch abstatten? Und die Kollegen dort haben eigentlich nur den ganz geilen Scheiß zu bieten. Selbst ihren SUV, den Urus, würde jeder Automobilenthusiast mit Handkuss auf eine Ausfahrt entführen. Aber an diesem Montag steht die absolute Crème de la Crème auf dem Menü des WIENER: Der brandneue Lamborghini Countach LPI 800-4 soll die Geschmacksknospen zum Glühen bringen.

Falls die Verknüpfung zwischen dem umstehenden Bildmaterial und dem Namen Countach noch nicht ganz klar ist, folgt an dieser Stelle die nötige Erklärung. Der Ur-Countach wurde von 1974 bis 1990 rund 2.000 mal gebaut. Seit heuer produziert Lamborghini unter dem selben Namen 112 Exemplare der mit dem Kürzel LPI 800-4 versehenen Neuinterpretation der Legende. Die darf man getrost zu den gelungeneren Wiederbele­bun­gen eines Klassikers zählen. Natürlich hat sich vieles geändert. Mit 4,87 Metern Länge ist der neue Countach im Vergleich zum alten um über 70 Zentimeter gewachsen. In Höhe und Breite ist man dem Vorbild aber weitestgehend treu geblieben, hier sorgen knapp zehn beziehungsweise knapp sieben Zentimeter plus für Maße von 2099 und 1139 Millimeter, wenn man es ganz genau wissen will. Kurz gesagt: der Countach presst sich nach wie vor auf die Straße wie eine Raubkatze auf der Lauer und flößt einem ordentlich Respekt ein. Zugelegt hat er natürlich, mit 1.595 Kilogramm hält sich die Sache angesichts moderner Sicherheitsfeatures und der Hybrid-Technik aber in Grenzen.

Habe ich gerade ­„Hybrid“ geschrieben?! Tatsächlich übernimmt der LPI 800-4 den Antriebsstrang aus dem 2019 präsentierten Prestigeprojekt „Sián“, seines Zeichens das stärkste Serienfahrzeug Lamborghinis. Damit das auch so bleibt, hat man im Countach 5 PS eingespart. Mit 814 PS Systemleistung zerreißt der aber immer noch so ziemlich jeden anderen Supersportwagen in der Luft. 780 Pferde gallopieren in dem 6,5 Liter riesigen V12, 34 Rosse unterstützen aus dem Elektromotor im Getriebe heraus. Zu dem Paket gehören außerdem ein 48 Volt-Bordnetz und statt des handelsüblichen Akkus ein soge­nannter Superkondensator. ­Dessen Vorzüge demonstrieren direkt, zu welchem Zweck der neue Countach elektrifiziert wurde. Er be- und entlädt sich nämlich um ein Vielfaches schneller als Lithium-Ionen-­Zellen und ist so­mit wie geschaffen für bedin­gungs­lose Power. Die E-Maschine ist hier weder zum lautlosen Gleiten da, noch soll irgendwas per Steck­dose geladen werden. Rein elektrisch fahren ist nicht. Und über 130 km/h gönnt sich das Zusatzaggregat auch eine wohlverdiente Auszeit. Ja, der Countach LPI 800-4 ist technisch gesehen ein Hybrid. Aber in Wahr­heit macht er sich die Lieblingstechnologie der automobilen Umweltschützer zunutze, um das letzte Quäntchen Irrsinn auf die Straße zu bringen.

In Zahlen gegossen ­bedeutet das: 355 km/h Höchstgeschwin­digkeit, 2,8 Sekunden auf 100 und 8,6 Sekunden auf 200 km/h. Da legt man lieber (kurz) mal die Ohren an, auch wenn es sich nicht um ein Cabrio handelt. Spitzen sollte man sie allerdings ebenfalls. Denn der gigantische V12 sitzt einem direkt im Nacken und faucht schon bei niedrigen Geschwindigkeiten und Drehzahlen ungeduldig, jederzeit ­begierig darauf, seine gewaltige Kraft zu entfalten. Wobei entfalten so gemütlich klingt. Ein passenderes Wort wäre: Explo­dieren. Wer einmal den Thrust Mode – lamborghinisch für Launch Control – im Countach ausprobiert, vergisst das garantiert sein Leben lang nicht mehr. Corsa-Modus rein, ESP deakti­vieren, dabei lange am Schalter bleiben und schon ploppt eine Meldung auf, ob man sich denn auch wirklich sicher ist. Ist man! Dann latscht man gepflegt auf Bremse und Gas, was die Bestie mit einem Hochschnellen der Drehzahlnadel auf 5.000 Touren quittiert, wo sie mit lautem ­Geheule verharrt. Wer jetzt den linken Fuß hebt, erlebt einen Raketenstart, bei dem Elon Musk und Jeff Bezos vor Neid erblassen. Wie eine Peitsche reißt es den Countach nach vorne (und die Erde vielleicht ein klein wenig nach hinten, da warten wir noch auf wissenschaftliche Unter­suchun­gen) und sogar die abstrus fetten, allradgetriebenen Gummiwalzen haben Mühe, diese Kraft auf den Asphalt zu bringen. Während man eigentlich im Dopaminrausch aufgehen möchte, bändigt man also mit zitternden Händen das Lenkrad und muss viel, viel, viel zu früh auf die Bremse treten.

Generell muss man im Lamborghini Countach LPI 800-4 auf öffentlichen Straßen seine Lust zügeln, weil schon wenige Sekunden dafür reichen, sich von seinem Führerschein und beträchtlichen Teilen des Ersparten zu verabschieden. Mehr als drei Gänge halbwegs legal auszufahren, ist außerhalb Deutschlands ein Ding der Unmöglichkeit. Aber Spaß kann man auch so haben. Die Straßenlage ist göttlich, wenn auch schon fast ­bizarr beinhart, und der Sound zwingt einen förmlich dazu, immer wieder dümmlich grinsend den Drehzahlbegrenzer zu kitzeln. Und egal ob beim Rauf- oder Runterschalten, der Countach schreit, knallt und blubbert die Ekstase seines Fahrers direkt in die Welt hinaus.

Wobei es das nicht unbedingt brauchen würde, um aufzufallen. Im Laufe der rund fünfstündigen Ausfahrt wurden wohl mehr Handys für einen Schnappschuss gezückt, als der Lamborghini Pferdestärken hat. Kein Wunder, denn die gelungene Fusion aus nostalgischem Countach-Keil und modernem Hypercar-Look verdreht jedem den Kopf. Da kann nicht mal ein fanatischer Automobilverächter standhalten. Spätestens, wenn man dann unweigerlich dem Heck des Countach zusieht, wie es am Horizont entschwindet, hat Amor zugeschlagen.

Natürlich waren alle 112 Exemplare des Countach LPI 800-4 in kürzester Zeit ausverkauft. Und die Nummer 0, in deren knallrotes Interieur ich mich einen Tag lang geklemmt habe, wird nach Absolvierung ­diverser Termine ihr Zuhause im Lamborghini-Museum finden. Es war also wohl mit überwälti­gen­der Wahrscheinlichkeit das erste und letzte Mal, dass ich dieses Auto auf der Straße sehe, geschweige denn fahre.

Analog zum Einstieg gibt es also ein aus­ge­lutschtes Sprichwort zum ­Abschied: Weine nicht, weil es vorbei ist, lache wie ein Irrer, weil es überhaupt passiert ist.

Lamborghini Countach LPI 800-4
Hubraum: 6498 ccm
Leistung: 814 PS
Drehmoment: 720 Nm/6750 U/min
Beschleunigung (0-100 km/h): 2,8 s
Höchstgeschwindigkeit: 355 km/h
Verbrauch : 19,5 Liter
Gewicht: 1595 kg
Preis: 2.400.000 Euro

Jakob Stantejsky

Freut sich immer, wenn ein Auto ein bisserl anders ist. Lieber zu viel Pfeffer als geschmacklos.

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