Das böse, böse SUV

Wenn dich ein linksliberaler Innenstadt-­Bobo mit ganz viel Verständnis für alles und jedes, vor allem aber mit einem gesunden PC-Bewusstsein, plötzlich höchst ableistisch „Spast“ schimpft, dann fährst du wahrschein­lich gerade ein Sports Utility Vehicle. Warum die derzeit feinstverkaufte Gattung Automobil die einen so provoziert, aber die anderen so begeistert, lässt sich weder mit Datenblättern oder Werbeprospekten noch mit feingliedrig parametrisierten Studien von VCÖ, DUH und ähnlichen Gebinden erklären. Also wählten wir die empirische Variante der Langzeitbeobachtung und führten uns ein paar exemplarische Vertreter der Gattung zu Gemüte, die das Spannungsfeld SUV ganz gut umreißen. Das führte zur einen oder ­anderen g’schmackigen Erkenntnis, wenn auch keineswegs zu einem endgültigen Fazit. Fest steht: Das SUV hat mehr Existenz­berechtigung, als manche Menschen gut finden.

Text: Franz J. Sauer, Maximilian Barcelli, Jakob Stantejsky
Fotos: Eryk Kepski

Rolls-Royce Cullinan
My Home is my Kastl

Es wäre ja nicht so, dass der wohlbekohlte Mensch von Jet-Set-Welt im Fonds eines stinknormalen Rolls-Royce Phantom Extended, eines Bentley Flying Spur oder einer Mercedes-Maybach-Langversion von der Stange nicht genug Platz hätte. Da geht sich auch einiges an Beinen aus, von einem selbst und aber auch vom jüngst geehelichten Topmodel mit den besonders langen Ansprüchen (die letzten Sätze sind übrigens bereits gegendert zu verstehen). Trotzdem scheint der Trend auch im obersten Oberluxussegment des Automobilbaus in Richtung SUV zu weisen, anders ließe sich der Launch von ­Modellen wie Bentley Bentayga oder Rolls-Royce Cullinan nicht erklären – wiewohl klar zu verstehen ist, dass es bei herkömmlichen Hochstelzern wie einem Range Rover oder einem Mercedes der G-Klasse doch ein bissel nach Kohlsuppe riecht im Stiegenhaus. So was fährt der schnöde Vorstand von ­irgendeinem börsennotierten Konzern ja schließlich auch, und zwar noch dazu zumeist höchstselbst. Wie gewöhnlich …

Witzig auch, dass sich in Gestalt des kleinsten, gemeinsamen Vielfachen namens SUV der Luxuslimousinenhersteller mit dem Luxussportwagenhersteller trifft, schließlich launchen auch Marken wie Aston Martin (DBX) oder Lamborghini (Urus) neuerdings SUVs.
Die absolute Oberoberklasse der Kohorte stellt also eindeutig der Rolly (wie wir Freunde sagen …) Cullinan dar, und er bietet für den beachtlichen Geldbetrag von knapp einer halben Million Euro tatsächlich einiges an Mate­rialwert: Allein das Ledergestühl samt Bezug kostet im Einkauf einen satten Hunderter, und vom durchgängig gemaserten Edelholz fangen wir hier gar nicht erst an. Von Sport kann beim Cullinan übrigens kaum die Rede sein, so wie hier die Physik am Hochbau zerrt. Aber darum geht es auch bei den ­kleineren SUVs den wenigsten, insofern bringt der große Rolls ein wenig Schwung in den Klassenkampf. Oder so irgendwie.

Audi e-tron 50 Sportback quattro
Bitte weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen.

„Jössas na, scho wieder so a Suff. Owa warum heat ma nix?“ Ja, mit dem Audi e-tron ins Zentrum des siebten Wiener ­Gemeindebezirks vorzustoßen, birgt das eine oder andere Triümpfchen fürs geschundene Automenschen-Herz. Die Bild-Laut-Schere geht bei einem Auto wie diesen aber so was von nicht zusammen. Womit wir uns allerdings auch bei der Sinnhaftigkeit dieses vollelektrischen SUVs ein wenig verheddern: Ein Auto vom Formate eines formidablen Reisemobils, das einen gerade mal von Wien bis ins Grazer Umland bringt, und das auch nur bei bestem Rückenwind und wenig Stau? 230 Kilometer Reichweite (Werksangabe: 347 km) stellte uns der kommode wie schicke Audi, der uns als Sportback tatsächlich noch besser gefällt als in der großen Version (der WIENER berichtete), bereit, dann ging’s an den Stromzutz, so einer da war. Die wirklich weite Reise wird so zum pausenreichen ­Erlebnis, zumal ja der Feldversuch meist auch wenig mit der theoretisch engmaschig gestrickten Schnellader-Versorgung entlang der Autobahnen zu tun hat.

Also ist der e-tron doch hauptsächlich was für die Stadt, wo man für ihn einen ausgewachsenen Parkplatz benötigt, im Gewusel der stinkenden Mitbewerber – weil an der Ladesäule verparkt im Regelfall der Stromer, der schon früher da war, arschlochhaft die gesamte Fläche; Dass E-Autofahrer die ­besseren Menschen sind, ist nichts als ein sich hartnäckig ­haltendes Gerücht.

Das, was da an der Seite aussieht wie ein eben erst abgefahrener Außenspiegel, ist ein elektronischer solcher, der ein Kamerabild vom Geschehen hinter einem auf höchst unvorteilhaft platzierte Bildschirme wirft. Fortschritt gut und schön, aber was soll das bitte bringen außer Ärger allenthalben? Vom Christkind wünschen wir uns stattdessen eine etwa doppelt so große Batterie und etwas fetzigere Hinweise auf das Stromerwesen des e-tron. Der Unkundige hält uns mit diesem ­Sattel nämlich kaum für einen Zero-Emission-Jünger und freut sich diebisch über das vermeintlich abgebrochene Flügerl.

Dacia Duster
Des Börsels bester Freund

Also, was haben wir bisher gelernt? SUVs können sowohl etwas für Richie Rich als auch für Greta sein. Nur teuer sind sie garantiert, so oder so. Doch halte er ein! Es gibt auch echte Working Class Heroes unter den geländegängigen Gesellen. Das unangefochtene, weil unanfechtbare Paradebeispiel ist der Dacia Duster. Gehen wir von der angesprochenen halben Mille aus, könnte man sich um ­einen Cullinan 27 Exemplare des frankorumänischen Kraxlers gönnen. Selbst ein Einstiegs-e-tron ist noch für drei Duster plus ein paar Hakerl in der Aufpreisliste gut. Ab 18.490 Euro – und da ist der Allrad­antrieb schon mit dabei! Mit so einer Ansage kann in Europa in diesem Segment niemand mithalten. Nicht einmal ansatzweise.
Und spätestens seit der Dacia-Übernahme durch Renault vor gut zwanzig Jahren muss man auch wirklich keine Angst mehr vor den Rumänen haben. Schließlich steckt unter dem Blech mittlerweile französische Technik (manch oberorigineller Stammtisch-Experte würde jetzt sagen, dass man sich gerade deshalb Sorgen machen sollte), und allerlei moderne Sicherheitsfeatures sind mit an Bord oder jedenfalls gegen Aufpreis zu bekommen. Von A nach B fahren kann der Duster garantiert genauso gut wie jedes andere SUV. Auch wenn dazwischen unwegsames Gelände liegen sollte.

Irgendwo muss natürlich der Preis rausgeholt werden, eh klar. Die Lösung lautet: vor allem im Interieur simplistischstes Design und Hartplastik, bis die Schwarte kracht. Klingt jetzt vielleicht arg, aber bei jeder anderen Marke südlich von Rolls und Co. steigt man in der Basis ebenfalls ins Kunststoff-Wunderland ein – nur eben um ein bis zwei Handvoll Riesen mehr. Der Dacia Duster leidet an keinerlei Star­allüren, ist ein ehrlicher Hackler. Was nicht bedeutet, dass er völlig ohne Finesse daherkommt. Nur liegt die eben in der Zugänglichkeit statt in irgendeinem Protz-Bonus, den eh keiner braucht. Kann da echt noch jemand böse sein?

BMW X5 M Competition
Der Antichrist
Einverstanden, den veganen Aloe-Vera-Smoothie wird die Birkenstock-Tante aus Wien 7 einem wohl weniger nachwerfen, wenn man im Suzuki Ignis Hybrid an ihr vorbeigurkt. Es sind eher SUVs wie jenes, das Sie gerade großflächig in „Marina Bay Blau metallic“ bewundern, die den Hass der Leute auf sich ziehen. Und Sie bewundern – oder bewundern halt nicht: einen BMW X5. Noch dazu ­einen von der allerschlimmsten Sorte, mit Verbräuchen, die nicht einmal knapp im zweistelligen Bereich liegen, und so viel Power, dass er auf der Gerade einen Porsche 911 zum Brunch verspeist. Einen X5, der direkt aus der Hölle kommt. Soll heißen: von der M GmbH.

Die Motorsportabteilung der Münchner nimmt sich den X5 seit der zweiten Generation vor. Er war gemeinsam mit seinem Coupé-Geschwisterchen, dem X6, das erste BMW-SUV, das sich als waschechter M bezeichnen durfte – auch wenn uns E30-Puristen für diesen Satz jetzt gerne steinigen würden. Vielleicht auch gar nicht mal zu Unrecht. Apropos E30-Puristen: SUV-Hass, den können nicht nur Herr und Frau Bobo. Auch viele eingefleischte Oldtimer-, Sportwagen-, Kombi- und Limousinen-Fans stehen den Skyscrapern unter den Autos argwöhnisch gegenüber. „Warum hoch sitzen, wenn man auch tief über den ­Asphalt fliegen kann?“ – „Sieht halt nicht so ästhetisch wie ein Kombi aus.“ –„Und Herrgott noch einmal! Dieser Schwerpunkt. Muss das denn sein?“

Im Falle eines BMW X5 M darf die Sinnfrage freilich gestellt werden. Ob es tatsächlich nötig ist, ein Fahrzeug höher zu legen und komfortabler auszurichten, nur um es anschließend wieder tiefer zu legen und härter zu dämpfen, soll dann jeder für sich selbst entscheiden. Das tut der Konsument auch, indem er kauft. Dementsprechend hat so ein 625 PS starker und in 3,8 Sekunden auf 100 km/h wuchtender BMW X5 M Competition seine Daseinsberechtigung. Und wir unseren Spaß.

Mercedes-Benz GLS 400d 4MATIC
Der Riese haust in New Orleans
Bistu deppat, is das groß (oß … oß … oß …). Eine andere Reaktion kann es gar nicht geben, außer, man besteigt den Benz GLS auf ­einem Parkplatz im amerikanischen Flyover-Mittelwesten, wo der Parkplatz vorm Walmart eben hauptsächlich von XXL-Pick-ups und Ford Excursions bevölkert wird (ird … ird … ird …). Dort geht der GLS als schlanker Europäer durch. Aber nur dort (ort … ort … ort …).

Wie Sie am Echo bemerken: Wir schreiben diese Zeilen am Rücksitz des GLS thronend (end … end … end …). Und hinter uns befindet sich noch ein Zimmer mit zwei Extrasitzen und Platz dahinter für mehr als ein Surfbrett (ett … bett … nett …). Erst in seiner innersten Mitte macht einem das Riesen-SUV klar: Es ist eigentlich gar kein solches. Und zwar kann es nämlich auch Gelände (ände … ände …) so wie manch Manager sich beim

Abendprogramm im ­innerstädtischen Kletterpark vielleicht auch ganz patent anstellt. ­Ansonsten ist der Mercedes-Benz GLS aber so was wie eine Ersatzdroge für all jene, die sich dereinst einen Luxus-Minivan (etwa: V-Klasse) gekauft hätten, derlei aber nicht mehr übers Herz bringen, weil weniger mehr out ist als diese Fahrzeuggattung. Insofern gibt der GLS tatsächlich und im wahrsten Sinne des Wortes die eierlegende Wollmilchsau, obwohl er von den Experten (eppen … otteln … offern …) der Deutschen Umwelthilfe jüngst zum sinnlosesten Auto des Planeten oder so auserkoren wurde (zwar mit der ­wirklich eher sinnfreien, superstarken AMG-Maschine im Bauch, aber bitte).

Klar, dem Autofeind an sich ist ein Auto wie dieses ein Dorn im Auge. Bis er dann halt auch nicht mehr ganz so grad stehen kann und gelegentlich zur Behandlung zum Orthopäden muss. Und recht froh darüber ist, mehr oder minder ohne Bücken ins Auto ein- und auch wieder aussteigen zu können.
Letzteres haben wir übrigens etwa mitten im dritten Absatz ­getan. Deshalb gab’s ab da fast kein Echo mehr …

VW T-Roc Cabriolet
Wie jetzt hoch?
Ein klassisches Argument von SUV-Gegnern ist ja jenes, dass sich diese Semi-Offroader überall aufhalten – nur eben nicht im Gelände. Dafür vor allem in der Stadt. „Sinnlos!“, rufen die ­Hater. „Au contraire!“, antworten wir. Denn genau in der Stadt spielt das Sports Utility Vehicle seine Trumpf-Asse aus. Nicht gerade, weil das Risiko eines Feindkontakts zwischen Frontschürze und Bordsteinkante geringer ist. Und auch nicht, weil die Übersicht ja ach so toll ist und man locker-flockig über den 40-Tonner sieht. (Das Konzept geht sowieso flöten, sobald alle – oder zumindest viele – SUVs fahren.) Sondern weil in der Stadt Platz ein begrenztes Gut ist – insbesondere der Parkplatz. Deshalb ist es ganz rational und unemotional betrachtet durchaus sinnvoll, ein Auto höher zu bauen. Mehr Raum auf derselben Länge? Klingt vernünftig! Aber auch nur so lange, bis man ­besagtem Auto das Dach absägt.

So geschehen beim VW T-Roc. Dieser verkörpert das SUV wohl am besten. Nämlich nicht, wie ihn manch Bobo darstellt – als große, gefährliche und umweltbelastende Dieselschleuder –, sondern so, wie er meist gekauft wird: in Golf-Größe, mit ­querverbauten, normalstarken Motoren und auf einer Front­antriebsarchitektur mit Option auf Allrad. Weil das, zugegeben, etwas bieder wirkt, hat man das mit 7.180 Einheiten meistneuzugelassene SUV Österreichs 2019 nun zum lifestyligen Cabrio transformiert. Ein ähnlicher Versuch von Range Rover ging mit dem Evoque Cabrio 2016 schon ziemlich in die britische Cordhose. Dass das mit dem T-Roc Cabrio anders laufen wird, darf bezweifelt werden. Schade, eigentlich. Ein Paar Hintertüren und 37 Prozent weniger Kofferraumvolumen wirken eigentlich recht fair als Tausch gegen das Gefühl der grenzenlosen Freiheit, das einen ereilt, wenn man sich montags um 17 Uhr offen über die Südosttangente staut.

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