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Don’t Call it a Beast: Polestar 2 BST 270

Polestar sorgt fortgesetzt für Aufsehen. Nach der jüngst erfolgten Vorstellung des Polestar 3 fährt schon das nächste Highlight vor. Mit der ultrascharfen Polestar 2 Variante „BST 270“ beweist die noch junge Marke gemeinsam mit ihren Lieferanten nicht nur Mut zur Sportlichkeit, sondern vor allem auch höchste Technik-Kompetenz.

Text: Manfred Wolf / Fotos: Polestar

Ascari Race Resort, Spanien. 476 PS aus jeweils einem permanenterregte Synchron-Elektromotor an Vorder- und Hinterachse stemmen gesamt 670 Newtonmeter Drehmoment auf die exklusiv gefertigten, 21 Zoll großen Schmiederäder mit ebenso exklusiv produzierter 245/35-er Pirelli P-Zero Sportbereifung. Die Kraftverteilung funktioniert perfekt, Trotz vollem Lenkeinschlag zirkelt der Bodybuilding-Polestar wie auf Schienen aus der langgezogenen Linkskurve. Die virtuelle Tachonadel schießt auf Tempo 180 zu. Höchste Zeit, die folgende Rechtskurve anzubremsen. Ein forscher Tritt auf das Bremspedal, das sofort den exakten Druckpunkt liefert und selbst nach vier Runden am Limit kaum Fading spüren lässt. Die 375 Millimeter großen Bremsscheiben und die aus Alu gefertigten, mächtigen Vierkolben-Festsättel von Brembo an der Vorderachse halten, was deren Anblick verspricht. Knapp über zwei Tonnen lassen sich nun atemberaubend direkt in die folgende Linkskurve zwingen, die elektromechanische Servolenkung liefert dabei dank Kennlinien-Auswahl – übrigens in allen Modellen serienmäßig – exakte Rückmeldung, was an der Vorderachse passiert.

Innen geht’s voll über den Curb, dennoch herrscht im Chassis stoische Ruhe, Domstreben vorne und hinten helfen dabei. Das Drei-Wege-Fahrwerk von Öhlins, an der Vorderachse sogar mittels im Frunk platzierten Ausgleichsbehältern per Klick-System individuell einstellbar, setzt dem Fahrerlebnis aber endgültig die (schwedische) Krone auf. Nicht nur, dass es den Curb-Überflug völlig unaufgeregt wegbügelt. Vielmehr macht es aus dem – zugegeben extrem gelungenen, aber ursprünglich eben nicht für Rennstrecken-Einsätze konzipierten – 2,1 Tonnen schweren E-Auto eine absolute Fahrspaßmaschine, die bei kundiger Führung das Potential birgt, ebendort so manchen Sportwagen schlicht und ergreifend nass zu machen.

Aber die Reichweite…

Jaja, die Reichweite. Natürlich fließt auf solchen Runden aus dem netto 75 kWh großen Battery-Pack enorm viel Strom in die Synchronmaschinen, natürlich kann man damit nicht stundenlang, Runde an Runde, über die Rennstrecke jagen. Aber darum geht es nicht. „Vergiss‘ nicht, alle Upgrades wurden entwickelt, um das Auto für das Fahren auf der öffentlichen Straße zu verfeinern, und dort ultimativen Fahrspaß zu generieren“, ruft der für das Chassis und diese spezielle Wahnsinns-Variante verantwortliche Chefingenieur Joakim Rydholm noch einmal in Erinnerung, worum es Polestar-CEO Thomas Ingenlath ging, als dieser die Idee hatte, seinen eigenen Polestar 2 zum „Biest“ hochjammen zu lassen. Daraus wurde ein vielbeachteter Auftritt beim legendären Goodwood Festival of Speed, was wiederum so viel Kundeninteresse nach sich zog, dass die Schweden kurzerhand beschlossen, eine limitierte Sonderserie aufzulegen. Ach ja, der Projektname durfte leider nicht bleiben: „Biest“ war wohl zu viel, entsprechend verklausuliert es im Marketing-Sprech zu „BST“…

Telefonterror

„Hallo, hier spricht Polestar. Wir bräuchten bitte 270 Satz Spezialdämpfer.“ Das Wort „Spezialdämpfer“ kann beliebig gegen „Reifen“, „Bremsen“ oder „Felgen“ ausgetauscht werden. Das vermittelt ansatzweise, mit welchen Herausforderungen sich die jeweils zuständigen Lieferanten konfrontiert sahen. Zudem das alles innerhalb weniger Monate serienreif sein und an der Linie im Werk verbaut werden sollte. Ob das für Verwerfungen gesorgt hat? „Wir haben noch immer ein glänzendes Verhältnis zueinander“, beschwören die Vertreter von Polestar und jene der Lieferanten Öhlins, Brembo und Pirelli unisono. Wir glauben es gerne, denn erstens ist der persönliche Umgang sichtlich herzlich, und zweitens scheint es unmöglich, ein dermaßen tolles Produkt unter dem Eindruck von Zwietracht auf die Räder zu stellen.

Zurück auf der Straße

Nachdem sich der Duft von heißen Bremsen und ebensolchem Gummi gelegt hat, rollt der Polestar 2 BST 270 auf die wundervolle, gewundene Berg- und Tal-Bahn, welche die Hochebene von Ronda mit der Mittelmeerküste verbindet. Und genau hier ergibt der ganze Aufwand endgültig Sinn. Der unglaubliche, unvermittelte Antritt (4,4 Sekunden von 0 auf 100 km/h!) ist dabei aber nur ein Bonus. Die echte Fahrfreude kommt aus dem schlicht sensationell abgestimmten Fahrwerk, das in jeder Situation die perfekte Balance zwischen Sportlichkeit und Komfort herstellt. Es gibt im Moment mit ziemlicher Sicherheit kein zweites E-Auto, das eine dermaßen feine Klinge fährt: sportlich, exakt, direkt, satt, souverän. In Verbindung mit dem, auch schon der Serienversion eigenen, sanften Dahingleiten, müssen selbst hart gesottene Verbrenner-Fans zugeben, dass ein solches Fahrerlebnis süchtig macht. Doch eigentlich dürfen wir die geneigten Leser nicht allzu zu sehr anfixen, denn dieser Artikel schließt mit dem einzig negativen Fakt zum Polestar 2 BST 270: Kommen von jenen 270 Einheiten ohnehin nur 16 Stück nach Österreich, so sind diese – bis auf ein Stück – bereits ausnahmslos verkauft. Doch wo Schatten ist, da ist auch Licht: die Polestar-Truppe hat felsenfest versprochen, sehr bald ein weiteres Sondermodell auf-, und damit noch einmal kräftig nachzulegen. Ein Biest kommt eben selten allein.

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