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Alfa Romeo Tonale: Der Schöne, nicht das Biest

Der Alfa Romeo Tonale bringt endlich wieder bitter nötigen frischen Wind in das arg zweidimensional gewordene Alfa-Portfolio. Optisch fängt er die feurige Seele der Italiener perfekt ein, aber kann der Tonale den hohen emotionalen Ansprüchen der Marke gerecht werden?

Fotos: Eryk Kepski

Obwohl der Tonale erst auf den Markt gerollt ist, nachdem FCA und PSA zu Stellantis fusioniert sind, steht unser Testwagen nicht auf einer Plattform des 14 Marken umfassenden Riesenkonzerns. Stattdessen teilt er sich seine „Small Wide 4×4“-Unterlage mit dem Jeep Compass. Darauf sitzt nicht nur das außerordentlich schmucke Blechkleid, sondern auch ein Vierzylinder-Benziner mit 160 PS. Klingt schon ganz annehmbar, allerdings würde ein bisschen mehr Hubraum als nur 1,5 Liter irgendwie besser zu der sportlichen Marke Alfa Romeo passen. Dafür bekommt der Otto unter der Haube immerhin Unterstützung von einem 48 Volt-Bordnetz, das mit anschiebt und ganz gemächliche Aufgaben, wie etwa Rangieren, auch ganz alleine übernehmen kann. Apropos Schub: Der kommt bei diesem Modell über die Vorderräder und wird über ein siebengängiges Doppelkupplungsgetriebe dosiert.

Unterm Strich muss man, auch wenn man sich schon beim ersten Blick ein wenig in den Tonale verliebt hat, zugeben, dass diese Zutaten nicht gerade für wallenden Endorphinspiegel beim Fahrer sorgen. Der Alfa tritt durchaus brav an und fährt sich definitiv aktiver als seine Halbgeschwister 3008 und Co., das Feuer der Giulia lässt er jedoch vermissen. Da helfen auch die übergroßen Schaltwippen nicht, die es aus ebenjener ins Cockpit des Tonale geschafft haben. Die sorgen zwar auch wieder für ordentlich Flair, schenken dem Italiener aber weder Zehntel auf dem Rundkurs noch einen höheren Highspeed als seine 212 km/h. Weil das im Zahlensalat noch fehlt: 8,8 Sekunden dauert es aus dem Stand auf Tempo 100 – keinesfalls lahm, aber eben auch nicht richtig spritzig. Da bessert übrigens der ebenfalls verfügbar Plug-in-Hybrid nach, der mit 280 PS Systemleistung nur 6,2 Sekunden braucht. Ob E-Motor und Batterie samt knapp zwei Tonnen Gewicht den Tonale allerdings in puncto Fahrverhalten näher an die gute alte Alfa-Tradition bringen, sei dahingestellt.

Ehrlicherweise muss man sich aber auch die Frage stellen, ob man in einem gut viereinhalb Meter langen SUV unbedingt wie ein Berserker über die Straßen dieser Welt fegen muss. Der Tonale ist ganz offensichtlich als Auto für den Alltag gedacht – mit dem gewissen Extra an Style eben. Schöner wird es in diesem Segment nicht. Und heutzutage rare Elemente wie ein echter Automatikwählhebel (anstatt eines Stummels oder fitzeliger Knöpfchen) wissen auch zu gefallen. Das Cockpit ist knackig und direkt gestaltet. Natürlich kann auch Alfa Romeo inzwischen den obligatorischen Doppelscreen, das Infotainment bleibt aber zielgerichtet und verliert sich nicht in 500 verschiedenen Untermenüs, in denen man so essenzielle Dinge wie Erlebniswelten einstellen kann – danke dafür. Der Startknopf am feinen Lederlenkrad sorgt für Stimmung und auch der Fahrmodus-Schalter sitzt ergonomisch gut immer in Reichweite. Dazu kommen bequeme Ledersessel sowie angemessen Platz vorne wie hinten – fertig ist ein Kompakt-SUV, das eine wohltuend eigenständige Identität hat, ohne sich nur für Spezialisten zu eignen.

Unser Alfa Romeo Tonale ist zwar als Edizione Speciale nicht das Ende der preislichen Fahnenstange, bietet aber alle wichtigen Alltags-Extras und auch noch ein bisserl mehr. Diese Version startet bei 41.000 Euro, im Testwagen kommen noch Feinheiten wie das Leder & Harman Kardon Paket oder die grandiose Lackierung Verde Montreale dazu. Aber selbst komplett vollgestopft mit allem, was die Liste hergibt, treibt man unseren Tonale nicht ganz an die 50.000 Euro. Das kann manch ein Konkurrent auch um deutlich mehr Geld. Wer unbedingt mehr investieren will, greift zur Veloce-Version oder gleich zum Plug-in-Hybrid, der sowieso erst über 50.000 Euro einsteigt.

Alles in allem ist der Tonale immer noch ein echter Alfa Romeo. Er mag nicht mehr ganz so viel Fokus auf Dynamik legen, aber spielt dafür bei der Praxistauglichkeit locker mit der Konkurrenz mit. So wunderschön er jetzt schon ist und dementsprechend atemberaubend er als Quadrifoglio aussehen würde, müssen wir uns von dieser Vision wohl schweren Herzens verabschieden. Für die Raserei bleiben Alfa-Fans weiterhin Giulia und Stelvio – auch wenn die schon ins siebte und sechste Jahr gehen, ist da vorerst kein Ende in Sicht. Vielleicht fahren die auch noch mit E-Fuels, wenn es denn irgendwann so weit ist. Mit dem Tonale begeben sich die Italiener auf einen zukunftsträchtigeren Pfad, indem sie sich der Elektrifizierung öffnen. Und das muss sein, sonst verschwindet die Marke schlicht und ergreifend komplett von der Bildfläche. Der Tonale mag nicht die wilde Bestie schlechthin sein, aber besticht dennoch mit gewisser Verve, die andere Modelle längst über Bord geworfen haben.

Jakob Stantejsky

Freut sich immer, wenn ein Auto ein bisserl anders ist. Lieber zu viel Pfeffer als geschmacklos.

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