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Lotus Emeya: Lang- statt Rennstrecke

Lotus entfernt sich wieder ein bisschen weiter von seinen Idealen. Zu Zeiten von Elise & Co noch immer mehrheitlich auf der Rundstrecke verhaftet, wandelt sich der einstmals dauerkranke Patient aus England mit der Milliarden-Medizin des chinesischen Geely-Konzerns zunehmend zu einer Marke, die mindestens genauso sehr auf Luxus setzt wie auf Leistung. Und der Wandel zum Akkuantrieb beschleunigt diese Strategie noch. Weil sich das von Firmengründer Collin Chapman  gepredigte Mantra vom kompromisslosen Leichtbau mit dem elektrischen Zeitgeist und seinen zentnerschweren Batterien ohnehin nicht vereinen lässt, haben die Briten die Flucht nach vorne angetreten.

Im letzten Jahr haben sie mit dem Eletre ihren ersten Geländewagen vorgestellt und dabei die gesamte Konkurrenz düpiert. Denn während es bei Porsche allenfalls Plug-In-Hybriden gibt und die anderen eiligen Exoten noch voll auf Verbrenner setzen, steht ihr SUV komplett unter Strom. Und kaum hat es der Eletre aus der Fabrik in Wuhan nach Europa geschafft, fahren sie Porsche & Co schon wieder in die Parade – und ziehen nun auch noch das Tuch von einem Gran Turismo,  der im kommenden Frühjahr zu Schätzpreisen knapp unter 100.000 Euro vor allem gegen den Taycan antreten und entsprechenden Entwürfen von Bentley, Aston Martin oder Lamborghini zuvor kommen soll. War bislang der Rundkurs ihr zuhause und allenfalls noch die Landstraße, zieht es sie damit gar vollends auf die Langstrecke. 

Auf der gleichen Bodengruppe wie beim Eletre haben die Briten dafür eine rund fünf Meter lange Flunder gezeichnet, die sich vorne flach und spitz auf die Straße duckt, hinten weit ausgestellte, vom Radkasten aus durchströmte Kotflügel hat und der Konkurrenz eine in fließenden Linien sanft auslaufende Kehrseite zeigt. 

Innen gibt es gemessen etwa am viersitzigen Evora aus der alten Zeit fast schon verschwenderische Platzverhältnisse sowie dank der vier rahmenlosen Türen obendrein einen menschenwürdigen Zustieg. Und wo früher bei Lotus selbst Straßenautos so spartanisch waren wie Rennwagen, schwelgen die Insassen hier in Lack und Leder und schauen auf ein digitales Cockpit mit einem beweglichem Tablet in der Mitte und einem eigenen Display vor dem Beifahrer.

Die Technik übernimmt der Emeya von seinem hochbeinigen Bruder. Es gibt ihn deshalb mit bis zu 905 PS und knapp 1.000 Nm, mit denen er im besten Fall in weniger als drei Sekunden auf Tempo 100 beschleunigt und mehr als 250 km/h erreicht. Schnell ist der Sportwagen für vier aber nicht nur auf der Straße, sondern auch an der Steckdose: Wenn nach etwa 600 Kilometern Ebbe ist im 102 kWh großen Akku, fließt der Strom bei einer Ladeleistung von 350 kW so schnell, dass schon fünf Minuten für nächsten 150 Kilometer reichen und der Sprung von 10 auf 80 Prozent im Idealfall in 15 Minuten gelingt. 

Natürlich haben Eletre und Emeya außer dem ersten Buchstaben nicht mehr viel gemein mit Lotus-Legenden wie dem Esprit oder der Elise. Doch dafür kann der englische Patient an diesen Modellen genesen und Lotus blüht womöglich richtig auf. Denn während sie im Stammwerk in Hethel selbst in guten Zeiten keine fünfstelligen Stückzahlen geschafft haben, ist die neue Fabrik in Wuhan auf 100.000 Autos im Jahr ausgelegt. Um das auszulasten, haben die Briten noch einen dritten Pfeil im Köcher, der schon wieder auf Porsche zielt. Denn wenn der Emeya stabil läuft, soll ihm ein kleines SUV im Format des Macan folgen, das natürlich wieder ausschließlich mit E-Motor angeboten wird. Und so, wie der VW-Konzern wegen anhaltender Software-Probleme gerade seine Entwicklungen verstolpert, fehlt nicht viel, und auch dieser Lotus fährt wieder als erster von der Rampe – und Porsche direkt in die Parade.

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