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Porsche 911 Dakar: Das beste SUV

In den Radkästen prasseln die Kiesel wie Schrotkugeln auf dem Schießstand, der bunte Lack ist stumpf vor Staub und hinter dem wuchtigen Heckflügel baut sich eine meterlange Schleppe aus Sand auf – dieser Porsche 911 ist eine echte Dreckschleuder und Männer wie Thomas Krickelberg sind auch noch stolz darauf. Denn nachdem er die Erinnerung der Elfer-Gemeinde an die legendären Safari-Porsche bislang dem Museum, ein paar Restomoddern und geschäftstüchtigen Tunern überlassen musste, darf er den Sportwagen jetzt als Projektleiter endlich selber in die Wüste schicken und das Tuch vom 911 Dakar ziehen. 

42 Jahre nachdem die Schwaben auf der IAA den Prototypen für den ersten Allrad-Elfer vorgestellt haben, und 39 Jahre nachdem damit René Metge und Dominique Lemoyne als bei der Rallye Paris Dakar als Erste durchs Ziel gefahren sind, wird der Elfer damit wieder zum Geländegänger und je nach Perspektive wahlweise zum SUV unter den Sportwagen oder zum Sportwagen unter den SUV. Jedenfalls braucht man jetzt keinen Macan mehr und keinen Cayenne, wenn man im Porsche durch die Pampa pflügen oder am Skilift auf die Pole Position fahren möchte.

Zwar hat das Vergnügen seinen Preis. Denn mit 289.887,71 Euro kostet der Dakar rund 90.000 Euro mehr als der Carrera 4 GTS, der ihm als Basis dient. Und da ist weder das Rallye-Design-Paket mit dem Livree des Siegerwagens drin, noch der spektakuläre Dachkorb samt LED-Flutlicht, der erst dann so richtig rüberkommt, wenn man auch noch Sandbleche, Klappspaten, staubdichte Reisetasche, Wasser- und Benzinkanister bei Tequipment bestellt. Doch dafür hat Krickelbergs Mannschaft auch einen gründlichen Job gemacht.

Denn statt wie bei Allroad, Alltrack, Allterrain & Co einfach nur ein paar Spacer ins Fahrwerk zu schrauben, ein paar Planken ans Blech zu pappen und die Schürzen mit Edelstahlblechen zu schützen, haben sie dem 911 ausgehend vom Sportfahrwerk neben den fünf obligatorischen Zentimetern mehr Bodenfreiheit auch noch drei variable Zentimeter eingebaut. Gab es das bislang nur an der Vorderachse zum Schutz der Bugleiste und dann auch nur bei Schritttempo, arbeitet das Liftsystem jetzt vorn und hinten und auch bei voller Fahrt: Ein Knopfdruck genügt und der Sportwagen reckt sich und fährt bis Tempo 170 wie auf Zehenspitzen. Und klar, für ein bisschen Deko reicht es natürlich dennoch – zum Beispiel die feuerrot lackierten und fest montierten Bergeösen an Bug und Heck oder die Schmutzfänger, die auf Wunsch hinter den Radkästen im Fahrtwind flattern.

Das Ergebnis ist verblüffend. Denn die insgesamt acht Zentimeter mehr Freiraum erweitern den Aktionsradius dramatisch. Ausgefahrene Feldwege, Schotterpisten voller Schlaglöcher, ja sogar Klettersteige nimmt der Elfer jetzt unter seine grobstolligen Allterrainreifen und stiehlt dabei Cayenne & Co die Schau. Denn nachdem der Fahrer erst einmal den Schmerz überwunden hat, der sich unweigerlich einstellt, wenn sein Schmuckstück zur Drecksschleuder wird, wenn die Federbeine auf den Wellen im Weg durchschlagen, das Buschwerk am Bodenblech kratzt und sich die Schnauze bisweilen in den Sand bohrt, dann pflügt der Dakar erstaunlich flott durch die Pampa und lässt sich auch von tiefen Pfützen, grobem Geröll, Dreck oder Dünen nicht aufhalten. 

Im Gegenteil, je haltloser der Untergrund, desto größer wird der Spaß und nirgendwo ist der größer als in der Wüste – wozu sonst haben Krickelberg und seine Kollegen auch die Kraftverteilung des Allrads überarbeitet, die Quersperre nachgeschärft und zwei neue Fahrprofile programmiert: Offroad für maximale Traktion auf üblem Terrain und Rallye für eine wunderbare Eigendynamik im Heck und den perfekten Drift auf der Düne. Wo der 911 sonst präzise und messerscharf durch die Kurven schneidet, kratzt er die Kurve wie ein Carver auf seinen taillierten Ski, kostet jeden Schwung genussvoll aus und wirkt dabei lässiger und lustvoller denn je. Und wo schon im gewöhnlichen Carrera bei jeder noch so kleinen Bodenwelle die Plomben wackeln und die Bandscheiben leiden, üben die Federung und vor allem die dicken Gummis hier eine mensch- und materialschonende Nachlässigkeit, ohne die Verbindung zur Fahrbahn je abreißen zu lassen. 

Dass sich der Elfer in den Dünen besser schlägt als selbst der Projektleiter erwartet hätte, liegt neben den groben Pirellis auf den vorne 19 und hinten 20 Zoll großen Felge nicht zuletzt am Sechszylinder aus dem Carrera 4 GTS. Klar, zuerst einmal natürlich an den 480 PS und den 570 Nm und der gierigen Gasannahme, die den Drehzahlmesser schnell auf über 6.000 Touren katapultiert. Aber eben auch daran, dass beim Porsche anders als bei allen anderen Wüstenwagen ein paar Zentner mehr auf der Hinterachse lasten und so dramatisch die Traktion verbessern.

Für alle, die es wirklich wissen wollen, hat Porsche sogar eine Rallye-Launch-Control programmiert. Wer die aktiviert, wirbelt erst recht Staub auf – schießt dafür aber dann in 3,4 Sekunden auf Tempo 100 und hält so mit dem GTS Schritt. Dabei ist der Dakar vielleicht der erste und einzige Serienporsche, bei dem Geschwindigkeit eher nebensächlich ist. Nicht umsonst ziehen die Schwaben mit Rücksicht auf die Reifen schon bei 240 km/h die Reißleine – langsamer war der Elfer schon lange nicht mehr. 

Wie es sich für einen ernsthaften Sportwagen gehört, hat Porsche nicht nur auf den Antrieb und die Äußerlichkeiten geachtet. Sondern voll auf Funktion getrimmt und allen Überflusses beraubt, hat Porsche auch die Rückbank weggelassen, dünnere Scheiben montiert und in der ersten Reihe seine klassischen Sportschalen installiert. Das passt zum puristischen Anspruch des Rallye-Autos und hat noch einen angenehmen Nebeneffekt: Mit 1.605 Kilo wiegt der Dakar nur zehn Kilo mehr als ein 911 Carrera 4 GTS mit Doppelkupplung.

Dass Porsche jetzt endlich einen Dakar bringt, ist auch ein später Triumph für Krickelberg. Als Projektleiter ist er der größte Dreckskerl in der Truppe und hat deshalb vehement für das Auto gekämpft – und zwar seit mehr als zehn Jahren. Nachdem er damals allerdings nicht gegen die Bedenkenträger angekommen ist, kam der Offroad-Elfer dem Vorstand jetzt als spleeniger Gegenentwurf zu all den seriösen Elektroplänen offenbar gerade recht. Denn gerade während der Transformation ist es wichtig, dass Porsche auch weiterhin für Lust und Leidenschaft steht und sich deshalb auch mal unkonventionelle Modelle leistet, fasst er die Stimmungslage zusammen. Doch so ganz zufrieden ist er mit den Zahlendrehen in der Zentrale trotzdem noch nicht. Denn mehr als 2.500 Autos wollten sie ihm nicht zugestehen, weil sie schon das für ambitioniertes Ziel hielten – und müssen sich vom Markt eines Besseren belehren lassen: Noch bevor das Auto überhaupt bei den Händlern steht, ist es schon komplett ausverkauft. Gut, dass es ja bald ein großes Facelift für den Elfer gibt und der Dakar dann vielleicht eine zweite, sehr viel größere Runde dreht. 

Und überhaupt: Natürlich ist der 911 Dakar ein Sonderling und nicht viel mehr als ein Spielzeug für große Jungs mit einem noch größeren Sandkasten oder der ultimative Porsche für Poser. Aber der Abenteuer-Elfer funktioniert auch auf Asphalt und im Alltag so viel besser als etwa die halbgare Idee vom Taycan Cross Turismo, der nur nach mehr aussieht und doch nicht mehr bietet. Zumindest ohne die auffällige Beklebung und die rustikalen Anbauteile könnte der Dakar deshalb durchaus etwas Richtungsweisendes haben: Denn die etwas lässigere Abstimmung, die größere Bodenfreiheit und der bequemere Ausstieg tun dem Sportwagen gut und würden Manchem schon reichen, damit er nicht zum SUV greift. Das werden Krickelbergs Kollegen bei Cayenne und Macan vielleicht nicht gerne hören, aber für alle anderen wäre das ein Gewinn.

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