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Porsche Taycan Cross Turismo: Schweizer Taschenmesser

Audi e-tron, Mercedes EQC, Tesla Model X – wenn umweltbewusste Besserverdiener ein praktisches Elektroauto gesucht haben, mussten ästhetische Ambitionen bislang hintanstehen. Denn so geräumig die SUV unter Strom auch sein mögen, sind ihre Proportionen – nun ja – ein wenig aus dem Leim gegangen. Doch jetzt beweist ausgerechnet Porsche ein Herz für praktisch veranlagte Schöngeister und stellt dem Taycan dafür im Sommer zu Preisen ab 96.990 Euro auch einen Kombi zur Seite. Weil der bei einem Sportwagenhersteller natürlich nie so heißen darf und weil die Schwaben mit ein bisschen mehr Bodenfreiheit und ein paar Plastikplanken doch auch den SUV-Trend einfangen wollen, nennen sie den Ableger Cross Turismo und hoffen je nach Markt auf einem Verkaufsanteil von bis zu einem Drittel. 

Anders als beim konventionellen Panamera und dem Sport Turismo geht Porsche beim Taycan dafür ein gutes Stück weiter. Technisch gibt es zwar auch hier keine ernsthaften Unterschiede zwischen den Karosserievarianten, doch belässt es Porsche nicht beim verlängerten Dach und der aufrechten Kofferraumklappe, die den Taycan zu einem schnittigen Shooting Brake macht und die klobigen Konkurrenten aus der SUV-Sippe noch unförmiger und ungelenker aussehen lassen.

Sondern garniert wird der Flirt mit dem Alltag zwischen Einkaufszentrum und Erlebnispark mit einem Jack Wolfskin-Outfit: die Radläufe sind mit Kunststoffblenden verbreitert, an den Flanken prangen stabile Schwellerleisten und die Stoßfänger können tatsächlich ein paar grobe Stöße ab. Und weil der Cross Turismo serienmäßig mit einer Luftfederung ausgestattet ist, haben ihn die Entwickler mit ein paar Klicks in der Software noch schnell zwei Zentimeter aufgebockt. Außerdem gibt es als Tribut an die Freizeitgesellschaft allen aerodynamischem Bedenken zum Trotz eine Dachreling samt maßgeschneiderter Transportbox mit einer Porsche-eigenen Freigabe bis 200 km/h und einen Heckträger, auf dem Porsche natürlich am liebsten die hauseigenen e-bikes sieht. Viel praktischer kann ein Porsche diesseits von Cayenne und Macan nicht sein.

Ja, jetzt dürfen die Bordsteinkanten etwas höher und die Schlaglöcher tiefer sein. Außerdem gibt’s für Feldwege einen Gravelmode mit etwas weniger Eingriff für die Traktionskontrolle. Und mit dem optionalen Off-Road-Paket sind auf Knopfdruck nochmal drei Zentimeter mehr Bodenfreiheit drin, dank derer man dann sogar durch Feld, Wald und Wiese kommt, wenn es denn unbedingt sein muss. 

Doch für den Fahrer hält sich der Unterschied in engen Grenzen. Zumal Porsche auf die bekannten Konfigurationen vertraut und nur das neue Basismodell mit seinem Heckantrieb außen vor lässt. Immer mit Luftfeder, Allrad und dem großen „Performance Plus“ Akku ausgestattet, gibt es den Cross Turismo deshalb als Taycan 4, 4S, Turbo, und Turbo S mit 380 bis 625 PS, aus denen mit der Launchcontrol kurzfristig 476 bis 761 PS werden. Und mit den brutto 93,4 kWh aus dem Wagenboden kommt man zwischen 388 und 456 Kilometer weit. Das ist trotz des schlechteren cW-Wertes kaum weniger als beim Fließheck.

Und die 50 Kilo mehr Gewicht oder den angehobenen Schwerpunkt herauszufahren, muss man deshalb schon ein PS-Profi sein oder ein sehr feinfühliges Popometer haben. Erst recht, wenn man im Turbo S sitzt. Denn mit kurzfristig über 1.000 Nm wischt der Cross Turismo alle Gedanken ans Gewicht beiseite und zwingt den Fahrer zum Fokussieren. Natürlich ist der Taycan auch ein großer Gleiter, der souverän über die Autobahn schwebt und mit der großen Klappe jetzt sogar als Urlaubsauto taugt. Doch wer nur nach vorne schaut, der lässt sich von schier immer währender Leistung verführen, freut sich an einem Sprintwert von 2,9 Sekunden und daran, dass Porsche nicht wie Audi oder Mercedes bei 180 oder spätestens 200 km/h abregelt, sondern den elektrischen Turbos Auslauf bis 250 km/h gewährt. 

Alles andere kam für Baureihenleiter Stefan Weckbach nicht in Frage: Die größte Herausforderung war es, die Anforderungen bezüglich Sportlichkeit mit den Fähigkeiten abseits befestigter Straßen unter einen Hut zu bekommen“, sagt Weckbach: „Der Cross Turismo soll einerseits auf der Rundstrecke Leistung bringen und andererseits auf Geröll, Matsch und Schotter funktionieren.“ Deshalb ist  Cross Turismo natürlich kein Hardcore-Offroader geworden, sondern eher ein Allrounder mit erweitertem Aktionsradius, so Weckbach:  „Er ist also eine Art Schweizer Taschenmesser auf bis zu 21 Zoll großen Rädern.“

Aber nicht nur beim Fahren fühlt sich der aufgebockte Taycan vertraut an. Anders als bei Cayenne & Co ist auch die Übersicht keine andere, noch machen sich die zwei Zentimeter beim Ein- und Aussteigen in der Hüfte bemerkbar. 

Umso größer sind die Unterschiede für die Hinterbänkler. Die Beinfreiheit bleibt für ein Auto von fünf Metern noch immer allenfalls durchschnittlich, und die eigens  in die Batterie geschnittenen Fußgaragen helfen bei Schuhgröße 45 auch nur bedingt. Doch zumindest nach oben hin wird es jetzt luftiger. Unter dem verlängerten Dach gibt es fast vier Zentimeter mehr Kopffreiheit, und das große Panoramafenster zum Himmel steigert den lichten Eindruck zusätzlich.

Und dann erst der große Kofferraum. Wo der beim normalen Taycan bescheidene 366 Liter bietet und zudem nur eine schmale Luke hat, gibt’s jetzt einen ordentlichen Zugang und dahinter Platz für 446 Liter. Wer die Rückbank umlegt, kann sogar bis zu 1.212 Liter verstauen und damit dann selbst bei Ikea Vorfahren. 

Sportlich, schnittig und schnell – in vielerlei Hinsicht ist der Taycan auch als Cross Turismo typisch Porsche. Nur in einem Detail machen die Schwaben eine Ausnahme: Beim Aufpreis. Denn der ist mit rund 1.500 Euro für Porsche-Verhältnisse fast schon lächerlich. 

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